Bei Capterras Besuch auf der SaaStock in Berlin haben wir uns zum Ziel gesetzt, Insights und Handlungsempfehlungen der Experten zu sammeln, damit SaaS-Unternehmen ihre Cloud-Produkte und -Services erfolgreich in Deutschland verkaufen und mit der internationalen Konkurrenz mithalten können.
“Die Akzeptanz von SaaS hat sich in Deutschland stark gewandelt, da die neue Generation an Entscheidern die Vorteile besser versteht.” Mit diesem Zitat beendete Dr. Ricco Deutscher, CEO der billwerk GmbH, seinen Vortrag auf der diesjährigen SaaStock in Berlin. Die SaaStock ist eine globale SaaS-Konferenz, die Gründer, Investoren und Führungskräfte zusammenbringt. Sie findet jährlich in den wichtigsten SaaS-Metropolen statt – zuletzt am 7. Juni in Berlin. Gründer und Führungskräfte tauschen hier ihre persönlichen Erfahrungen aus. Bei der nächsten SaaStock, die vom 15.-17 Oktober in Dublin stattfindet, werden auch wieder die neuesten SaaS-Trends sowie Best-Practice-Beispiele aus der Branche vorgestellt.
Es ist kein Geheimnis mehr, dass viele deutsche Unternehmen skeptisch gegenüber Cloud-Software sind. Deutschland ist im Vergleich zu vielen anderen Ländern Europas und besonders gegenüber den USA noch rückschrittlich, was den Einsatz von SaaS angeht. Dies soll sich jedoch ändern.
Laut der CIO-Umfrage 2017 von Gartner, die IT-Trends im deutschen Markt mit denen auf internationaler Ebene vergleicht, werden deutsche CIOs in diesem Jahr den höchsten Betrag an neuen Förderungen für Business Intelligence & Analytics, ERP und Cloud-Lösungen ausgeben. Im Vergleich zu den weltweit befragten CIOs liegt Deutschland mit den geplanten Ausgaben hier über dem Durchschnittswert. Ihre Ausgaben für die Digitalisierung wollen deutsche Unternehmen im Jahr 2018 um 14 Prozent steigern.
Deutschland ist mit Abstand der größte europäische Markt für Software. Auch, wenn Deutschland bei der Einführung von SaaS ein paar Jahre hinter den USA zurückliegt, glauben wir bei Capterra, dass Software-Käufer in den kommenden Jahren immer mehr SaaS-Lösungen nutzen werden. Hierzu habe ich auf der SaaStock in Berlin mit Experten gesprochen.
Aus den Erfahrungen der deutschen Führungskräfte, aber vor allem aus den Schwierigkeiten, die internationale SaaS-Anbieter beim Verkauf ihrer Produkte in Deutschland haben, ergeben sich die folgenden Expertentipps.
Der erste Schritt, um ein SaaS-Produkt erfolgreich an den deutschen Kunden zu bringen, besteht darin, die Mentalität und Denkweise deutscher Unternehmen zu verstehen. Denn diese sind derzeit meist noch misstrauisch und zurückhaltend, was den Einsatz von Cloud-Produkten angeht.
Nick Franklin, CEO von ChartMogul, beobachtete hierzu: „Die Akzeptanz von SaaS ist in Deutschland geringer als in anderen Ländern und der Verkauf von Cloud-Software ist schwieriger. Der Hauptgrund könnte eine leichte Abneigung gegenüber Veränderungen sein, und die Tendenz, Entscheidungen etwas vorsichtiger treffen zu wollen, anstatt einfach neue Dinge schnell auszuprobieren. So ist zum Beispiel die Early-Adopter-Mentalität, die im Silicon Valley sehr stark vertreten ist, in Deutschland nicht so stark ausgeprägt.“ Er merkt zudem an, dass lediglich 2 Prozent des Umsatzes von ChartMogul (Sitz in Berlin) aus Deutschland kommen, wohingegen 98 Prozent aus dem Ausland stammen.
Bedenken hinsichtlich Datensicherheit und -schutz, eine lange Adaptionszeit neuer Prozesse und eine vorsichtige, sehr bedachte Art, Entscheidungen zu treffen und neue Technologien zu implementieren, sind typisch für viele Kunden des deutschen Mittelstands und machen es schwierig, Cloud-Produkte zu verkaufen. Dies trifft jedoch nicht auf alle Unternehmen in gleicher Weise zu. Es ist wichtig, den deutschen Mittelstand und Startups getrennt zu betrachten.
Capterra beauftragte Dr. Ricco Deutscher, über die SaaS-Vorlieben deutscher Unternehmen und der Favorisierung deutscher, europäischer oder amerikanischer Lösungen zu sprechen. Er teilte uns hierzu mit: „Der deutsche Mittelstand bevorzugt ganz klar deutsche SaaS-Softwareprodukte – wegen des Datenschutzes und der Unterstützung europäischer Standards und Normen. Europäische SaaS-Produkte werden meistens ähnlich wie deutsche Produkte angesehen, da die Datenschutzbestimmungen vergleichbar sind.“ Auf die Frage, ob auch Startups der Einsatz deutscher Produkte wichtig ist, antwortete Dr. Ricco Deutscher: „Startups sind hier unbedarfter. Weil die regulatorischen Anforderungen da oft noch nicht so hoch sind, werden bei Startups mit Blick auf mehr Funktionen und besserem Service häufiger US-Produkte eingesetzt. Die Situation ändert sich dann oft grundlegend, wenn die Unternehmen wachsen, und damit die Anforderungen an deutsche beziehungsweise europäische Standards und Normen steigen.“
Startups sind innovativer, risikofreudiger und offener, was die Digitalisierung allgemein sowie den Einsatz internationaler Produkte angeht. Der deutsche Mittelstand ist schwerer von neuen Technologien zu überzeugen. Deutsche Anbieter haben besonders hier einen deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber amerikanischer Cloudsoftware.
Aber wie kann man den deutschen Mittelstand nun von seinem Produkt überzeugen?
Benedikt Burkhardt, Head of Sales Deutschland bei Gocardless, ist gerade dabei, ein Büro in München zu eröffnen und die Firma nach Deutschland zu bringen. Ich habe Benedikt Burkhardt nach seiner Strategie und nach den Schwierigkeiten gefragt: „In Deutschland stehen die zwei Komponenten Trust und Security an erster Stelle. Das muss ich verstanden haben, um in den deutschen Markt einzusteigen. Qualität sowie Innovation kommen erst an zweiter Stelle.“
Er fügt hinzu: „Wir haben zum Beispiel ein US-Rechenzentrum. Mit diesem schlossen wir jedoch ein DSGVO-Abkommen ab, damit die von deutschen Unternehmen gewünschten Standards eingehalten werden. Jetzt heißt es, dies aggressiv an deutsche Kunden zu kommunizieren.“
Eine aktuelle Umfrage von Capterra zeigt außerdem, wie wichtig Reviews für die Auswahl von Software sind: Fast 60 Prozent der Deutschen betrachten nutzergenerierte Bewertungen als kritisch für die Wahl einer Businesssoftware. Für Unternehmen werden Nutzerbewertungen immer wichtiger, denn diese stärken das Vertrauen in einen Anbieter. Dennoch stützen die meisten Nutzer Entscheidungen auf ihrer eigenen Meinung und Erfahrung. Deshalb ist es wichtig, dass sie die Tools vor dem Kauf kostenlos testen können und ihre eigenen Erfahrungen damit machen können. Wer das Vertrauen der Kunden gewinnt und langfristig aufrechthält, kann mit seinem Unternehmen und Produkt überzeugen.
In Unternehmensbereichen, die keinen Umgang mit sensiblen Unternehmensdaten erfordern – wie zum Beispiel bei Content-Management-Systemen – werden häufig amerikanische Cloud-Produkte genutzt. Wenn es um unternehmenskritische Anwendungen geht, werden jedoch Cloud-Lösungen aus dem deutschen und europäischen Raum stark bevorzugt, wie auch ein Capterra-Report über die Nutzung von Cloud-Software in Deutschland zeigt.
Dr. Ricco Deutscher erwähnte in seinem Vortrag unter anderem, dass billwerk das zuvor verwendete E-Mail-Marketingprogramm MailChimp für Transaktions-Emails ihrer Kunden durch andere Software ersetzt hat, da das US-Produkt von deutschen Kunden kritisch angesehen wurde.
Im persönlichen Interview erklärt Dr. Ricco Deutscher, woran das lag: „Bei einer E-Mail-Marketing-Software zum Beispiel spielt die Unterscheidung zwischen einem deutschen und einem europäischen Produkt kaum eine Rolle. Hauptsache, es ist kein amerikanisches, auch wenn der Service besser sein sollte. Es gibt jedoch auch Tools, bei denen deutsche SaaS-Anbieter eindeutig die Nase vorn haben. Das sind Tools, bei denen deutschlandspezifische Standards und Normen wie zum Beispiel GoBD in der Software benötigt werden, so wie es zum Beispiel bei billwerk der Fall ist. Gerade diese spezifischen Funktionen sind in der Entwicklung aufwändig und sind für den Preisunterschied zu amerikanischen Produkten verantwortlich.
Bietet ein Produkt für den deutschen Markt spezifische Anforderungen an, ist es wichtig, dies zu kommunizieren und die Vorteile eindeutig herauszustellen. In diese Funktionen zu investieren, ist ein wichtiger Schritt, um mit der internationalen Konkurrenz mitzuhalten.
Auf der SaaStock diskutierte ich außerdem mit Stan Massueras, EMEA Sales Director bei Intercom, und Alex Popp, Co-Founder von Demodesk, darüber, wie Anbieter SaaS bestmöglich in Deutschland verkaufen und wo die Unterschiede in der Herangehensweise zu den USA liegen.
Stan Massueras erklärte hierzu: „In Deutschland sind Datensicherheits- und Privatsphärebestimmungen am wichtigsten. Daher versenden wir an deutsche Unternehmen als erstes Informationen zu den Themen Datensicherheit und DSGVO sowie Informationen über unser Rechenzentrum, bevor wir versuchen, ihnen etwas zu verkaufen.“
Alex Popp bemerkte: „Unsere Hauptbeobachtung waren Unterschiede beim Verkauf an kleine und mittelständische Unternehmen. In Deutschland beginnen sie gerade erst mit der Digitalisierung. Der Umstieg auf die Cloud und die Notwendigkeit, sie über die Vorteile der Software-Automatisierung aufzuklären, sind Hauptgründe für den Verkauf. Wenn wir mit dem Verkauf beginnen, beraten wir sie zunächst über die Vorteile digitaler Prozesse – unsere Lösung steht an zweiter Stelle. Die USA sind in dieser Hinsicht weit voraus.“
Vanessa Stock, Mitbegründerin von Pitch, sucht für ihr Startup gerade neue Mitarbeiter. Sie erklärte in ihrem Vortrag, dass sie nach internationalen Experten suche, da diese eine größere Vielfalt in ihr Unternehmen brächten. Vanessa Stock sagte dazu im Interview: „Um ein internationales Unternehmen aufzubauen, empfiehlt es sich, internationales Personal einzustellen. Dafür ist Berlin der perfekte Standort.“
Ich fragte auch Nick Franklin, warum Berlin ein guter Standort für SaaS-Firmen sei: „Berlin hat eine tolle Startup-Kultur. Zudem ist es billiger als andere Städte in Deutschland – und vor allem billiger als London. Berlin hat viele englischsprachige Investoren. Außerdem kann man hier viele großartige Mitarbeiter und viele Ingenieure finden.“
Vanessa Stock meint daher: „Es ist wichtig, die PR-Strategie für jeden Kundenmarkt spezifisch anzupassen. Unternehmen müssen sich mit dem Markt vertraut machen und schauen, was das generelle Nutzerverhalten und der Bedarf ist. Dann muss das Messaging angepasst werden. Das Interesse deutscher Kunden wird anders geweckt als das von US-Nutzern. Daher muss auch die vermittelte Botschaft an dieser Stelle anders sein”.
Fazit
Viele deutsche Anbieter lassen sich von den internationalen Big Playern im Cloud-Geschäft abschrecken. Sie haben Bedenken, dass sie hinsichtlich Preis und Service, aber auch unter den Gesichtspunkten Innovation und Funktionen, nicht mithalten können. Dabei haben deutsche Unternehmen gegenüber internationalen SaaS-Unternehmen einen Vorteil: Deutschen Anbietern wird vertraut.
Datensicherheitsbestimmungen, Rechenzentren in Deutschland, DSGVO sowie weitere Regularien und Vorschriften sind Faktoren, die deutsche KMUs bei der Auswahl an Cloudsoftware als wichtig erachten. Besonders bei Software-Rubriken, die mit sensiblen Unternehmensdaten zu tun haben, liegt der Vorzug stark bei deutschen Produkten. Weiterhin werden häufig länderspezifische Funktionen benötigt, mit denen ein amerikanischer Anbieter meist nicht dienen kann. Selbst, wenn man in Deutschland von einem hohen englischen Sprachniveau ausgehen kann, werden trotzdem Produkte und Inhalte auf Deutsch geschätzt.
Deutsche Cloud-Anbieter, die Vorteile richtig kommunizieren und die Schwachstellen internationaler Anbieter verstehen und für sich nutzen, haben selbst gegenüber den Top-Cloud-Produkten eine starke Wettbewerbsposition.
Über den Autor: Thibaut de Lataillade verfügt über 25 Jahre Erfahrung im General Management, Sales und Marketing in Bereichen wie Consulting, Life Sciences und Technologie. Er ist Head of International bei Capterra.
Über Capterra: Capterra ist die führende Online-Ressource für Business Software Käufer. 1999 gegründet, bietet Capterra verifizierte Nutzerbewertungen und unabhängige Testberichte in über 500 Softwarekategorien. Von Abrechnungssoftware bis Zeiterfassung – Capterra deckt alles ab. Jeden Monat hilft Capterra mehr als drei Millionen Käufern, die passende Software zu finden. Capterra ist eine Gartner-Firma.
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