Plattform – Segen oder Hype
Die Themen Plattformökonomie und Online-Marktplätze sind seit ein paar Jahren die Trendthemen, wenn es um E-Commerce, Digitalisierung und die Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen geht. Für die einen ist es das einzig Heilbringende, für die anderen einfach nur ein weiterer Hype, der kaum Relevanz im Markt hat. Dabei drehen sich die Diskussionen nicht nur um Transaktionsmodelle im Endkundengeschäft. Auch im B2B-Bereich werden die Themen heißgeredet. Aber worum geht es genau und sind Marktplätze das Nonplusultra oder braucht es eher eine differenziertere Betrachtung? Der folgende Beitrag bringt zumindest im B2B-Bereich Licht ins Dunkle.
Was sind B2B-Marktplätze überhaupt?
Worüber sprechen wir bei B2B-Marktplätzen überhaupt? Dazu zuerst ein wenig trockene Theorie: Abseits klassischer Onlineshops, auf denen eine Vielzahl unterschiedlicher Kunden mit exakt einem Anbieter in einem N:1 Modell interagieren, gibt es in der digitalen Welt noch zahlreiche andere Transaktions- bzw. Vertriebsmodelle. Dazu gehört z. B. das eProcurement, bei dem eine direkte Verbindung zwischen den Warenwirtschaftssystemen der Verkäufer und Einkäufer etabliert wird. Dabei handelt es sich immer um eine 1:1-Beziehung. Ein weiteres Modell sind die Lieferantenplattformen, über die der Einkauf großer Unternehmen die Beschaffung systematisiert. In diesem Modell agieren dann N Anbieter/Lieferanten mit einem Unternehmen als Einkäufer. Wie beim Onlineshop-Modell eine N:1 Beziehung, allerdings mit vertauschten Rollen.
Und dann gibt es noch die B2B-Marktplätze bzw. Beschaffungsplattformen. Hier treffen sich in einer n:n Beziehung die Lieferanten einer Branche (z.B. Metallverarbeitung) oder einer Warengruppe (Büromöbel) und deren potenzielle Kunden (z. B. Metallverarbeitende Betriebe).
Wie funktionieren die Marktplätze?
B2B-Marktplätze sammeln also ein spezialisiertes Angebot auf einer Plattform und wollen damit die zentrale Anlaufstelle für eine bestimmte Kundengruppe sein. Die Idee und Funktionsweise ist im Prinzip jedem von Amazon geläufig, auch wenn Amazon bis auf wenige Ausnahmen als Vollsortimenter auftritt. Sucht der Kunde etwa eine Bohrmaschine, kann er bei Amazon aus einer Fülle von Angeboten unterschiedlichster Hersteller wählen. Das Besondere dabei, die Produkte werden meist nicht von Amazon selbst angeboten, sondern von den Herstellern selbst bzw. Zwischenhändlern. Amazon tritt also nicht als Händler, sondern als Vermittler auf … und verdient u. a. über eine Umsatzprovision an dieser Vermittlung. Nicht wesentlich anders funktionieren die B2B-Marktplätze von Contorion oder Mercateo.
Der Marktplatzbetreiber selbst kann dabei ebenso wie Amazon mit eigenen Produkten vertreten sein (Contorion etwa mit ihrer Eigenmarke Stier oder Klöckner & Co. mit seinen Stahl-Produkten auf dem Marktplatz XOM seines Tochterunternehmens). Dann handelt es sich um einen hybriden Ansatz zwischen Handelsplattform und Marktplatz. Bei einem reinen Marktplatzmodell lebt der Betreiber nur von der Transaktionsprovision bzw. Registrierungsgebühren. Wenn die Marktplätze aber erst mal einige Jahre erfolgreich laufen, ist es für die meisten Betreiber sehr attraktiv, selbst als Anbieter einzusteigen.
Keine eindeutige Abgrenzung der Modelle
Eine ganz klare Definition, was ein B2B-Marktplatz ist und was nicht – bzw. die Abgrenzung gegen andere Modelle – fällt aber schwer, die Grenzen sind eher fließend. Manche dieser Plattformen sind offen, manche geschlossen, bei einigen werden nur bestimmte Sortimente für bestimmte Kunden freigegeben, bei anderen gibt es keine Beschränkungen. Beschaffungsplattformen wie Simple System bieten sowohl den Direkteinstieg ins Sortiment und den Kauf über einen klassischen Checkout als auch individuell zusammengestellte Lieferantenkataloge und die Direktorder via eProcurement.
Eine Sonderrolle nehmen reine Vermittlungsplattformen wie „Wer liefert Was“ ein, die B2B-Einkäufer und B2B-Verkäufer über bestimmten Produkten und Leistungen zusammenbringen, die jedoch keine Transaktionen ermöglichen. Geld wird hier durch die Vermittlung des Leads verdient bzw. durch Servicegebühren.
Wer profitiert bei Martkplatzmodellen?
Marktplätze bieten für alle Akteure Vorteile. Für Kunden sind die großen Vorteile natürlich, dass sie Preise vergleichen und aus einem größeren und diversifizierteren Sortiment als beim einzelnen Hersteller bestellen können. Anbieter – egal ob Großhändler oder Hersteller –profitieren umgekehrt von einer hohen Anzahl an Kunden, die sich bereits auf dem Marktplatz tummeln und die nicht aktiv akquiriert werden müssen. Darüber hinaus erspart man sich eventuell Entwicklung und Betrieb eines eigenen Shops, aber dazu gleich mehr. Diesen Komfort, sich ins gemachte Nest setzen zu können, finanziert man als Händler allerdings über Umsatzprovisionen und diverse Lizenzen und Servicepauschalen.
Den größten Profit bringt das Marktplatzkonstrukt allerdings derjenigen Partei, die auch das größte Risiko trägt, dem Betreiber. Neben der Entwicklung der Plattform, wofür es mittlerweile viele spezialisierte Softwarelösungen gibt, ist zu Beginn vor allem die Akquise von Kunden und Händlern eine große Herausforderung. Ohne Kunden keine Reichweite für Händler, ohne Händler kein Kundeninteresse und keine Bestellungen. Hier heißt es in der Regel einen langen – finanziellen – Atem zu haben, bis sich der Aufbau des Marktplatzes amortisiert. Wenn er es denn überhaupt tut. Mercateo beispielsweise ist seit 2.000 am Markt, hat aber erstmals 2008 Gewinne eingefahren. Bei Contorion ist es bis heute unklar. Gerade im B2B liegt der Vorteil häufig eher in er Konzentration von Marktmacht. So steht hinter dem Marktplatz Contorion und der Beschaffungsplattform Simple System etwa die mittelständische Hoffmann SE, die damit konsequent auf digitales Zusatzgeschäft setzt – aber vor allem auf digitales Know-how aufbaut.
Interesse an Marktplätzen
Nach dem jüngsten B2BEST Barometer von ECC KÖLN und der Creditreform, einer Umfrage unter 142 Großhändler und Hersteller, geben 66 Prozent an, B2B-Plattformen als zusätzlichen Vertriebskanal nutzen zu wollen. Rund 69 Prozent möchten sogar selbst eine B2B-Plattform entwickeln bzw. ihren Shop dazu weiterentwickeln. Zum aktuellen Zeitpunkt nutzen bereits 32 Prozent dieser Unternehmen B2B-Marktplätze. Dies deckt sich mit Zahlen einer Bitkom-Umfrage von 2019 unter 500 Unternehmen. Hier sahen immerhin ca. 45 Prozent der Befragten B2B-Verkaufsplattformen als Chance für ihr Geschäftsmodell. Dieses Interesse forciert auch das Angebot: Nach einer Studie von ecom consulting zur Marktplatzentwicklung ist die Anzahl der B2B-Plattformen von 2015 bis 2020 um ca. 150 Prozent gestiegen.
B2B Shop und/oder B2B-Marktplatz?
Generell profitieren Anbieter – wie auch bei einem B2B-Shop – vom digitalen Marktzugang. Käufergruppen, die über analoge Kanäle nicht oder nicht mehr erreicht werden, lassen sich so erschließen. Hinzukommen Zeit– und Kostenvorteile. Der Eintritt gelingt relativ schnell und wie erwähnt ohne Investition in die Shopentwicklung, den Aufbau der dazugehörigen Infrastruktur sowie den fortlaufenden Betrieb des B2B-Shops. Wir reden von jährlichen Investitionen im 6-stelligen Bereich. Je nach Marktplatz entfallen auch die Ausgaben für die Auftragsabwicklung oder den Aufbau einer eigenen Versandlogistik. Das Online-Marketingbudget wird wesentlich geringer ausfallen als beim eigenen Shop, da der Marktplatz für Reichweite sorgt. Hersteller und Großhändler erhalten „freien“ Zugang zu einer ansehnlichen, prinzipiell kaufwilligen Kundschaft. Die Promotion auf der Plattform kann hingegen wieder etwas kosten, dürfte aber in keinem Verhältnis zu den Akquisekosten via Google Ads oder anderer Werbekanäle stehen. Die große Reichweite der Beschaffungsplattformen ist dabei Fluch und Segen zugleich, denn es wird für viele Hersteller und B2B-Händler immer kostspieliger, mit den eignen SEO-Maßnahmen gegen das gute Ranking der Plattformen anzukommen.
Bewertung der Wirtschaftlichkeit
Bei der Nutzung eines Marktplatzes scheint auf den ersten Blick die geringere Marge der größte Nachteil zu sein. Eine Umsatzprovision von 10 Prozent und mehr sind sicherlich keine Kleinigkeit. Bei realistischer Betrachtung gilt es aber auch den Invest für einen eigenen Shop und die eigenen Marketingmaßnahmen gegenzurechnen. Letztlich handelt es sich hierbei also nicht um einen Nachteil, sondern um eine Frage der korrekten wirtschaftlichen Bewertung vor dem Hintergrund der eigenen Produktpolitik.
Herausforderung Leistungskommunikation
Echte Nachteile sind zum einen die Abhängigkeit vom Plattformanbieter in nahezu allen Belangen. Zum anderen fehlen die Möglichkeiten, das eigene Portfolio vom Wettbewerb abzuheben und USPs wie besondere Qualität, ergänzende Mehrwertdienste oder den herausragenden Kundenservice zu kommunizieren. Für Neukunden zählt faktisch nur der Preis – und das ist eben bei vielen Plattformen der eher unattraktive Listenpreis. Zwar lassen sich in der Regel individuelle Preise für Bestandskunden abstellen, die aber – wie beim eigenen Shop auch – erst nach dem Login sichtbar werden. Und schließlich fehlen meist die Möglichkeiten, erklärungsbedürftige Produkte sinnvoll zu vertreiben. Der eigene Produktkonfigurator oder das Beratungstool lassen sich auf fremder Infrastruktur eben nicht verwenden.
Was ist beim Einstieg zu beachten?
Für den Einstieg kann es, wie wir gesehen haben, mehrere Gründe geben. Wie immer im E-Commerce sollte die Entscheidungsgrundlage aber nicht ein Bauchgefühl, sondern eine belastbare Anforderungsanalyse und Kosten-Nutzen-Betrachtung sein. Was spart man im Vergleich zum Aufbau und Betrieb einer reichweitenstarken E-Commerce-Lösung unter Berücksichtigung der geringeren Margen, der geringeren Entwicklungsfähigkeit der Kundenbeziehung und den daraus resultierenden geringeren Umsätzen pro Kunde? Sicher muss man hier mit Annahmen arbeiten und nicht immer lässt sich ein ganz klares Fazit ziehen. Daher empfiehlt es sich meist ein Einstieg auf Raten, sprich mit einem reduzierten Sortiment. Allerdings wird man hier damit rechnen müssen, dass auch der Betreiber ein Wort mitreden will. Schließlich geht es ihm darum, die Attraktivität seines Angebots sinnvoll weiterzuentwickeln.
Der eigene B2B-Marktplatz
Spannend sind Marktplätze und Online-Verkaufsplattformen aber auch als strategisches Instrument, um eine starke Marktposition digital weiter auszubauen bzw. für die Zukunft zu sichern. Ein Marktplatz bietet die Möglichkeit, das eigene Angebot um passende Produkte und Marken Dritter zu ergänzen und so attraktiver zu werden. Es hilft, die Lieferantenbeziehung zu verbessern und stärkt die Position gegenüber dem Wettbewerb. Ganz wie beim Aufbau eines klassischen Handelsgeschäfts, nur eben online und kundenorientierter. Beispiele für diese Strategie sind etwa der Wucato Marketplace von Würth oder die Beschaffungsplattform XOM für die Werkstoffindustrie, hinter der das Duisburger Stahl- und Metallhandelsunternehmen Klöckner & Co steht. Hier geht es nicht mehr um die Optimierung der Handelsmarge. Der Aufbau von B2B-Marktplätzen ist vor allem eine Investition in die Zukunft und eine Verteidigungsstrategie gegen potenziell disruptive Online-Pure-Player. Ob sich der Marktplatz trägt, hängt damit auch nicht von den Entwicklungskosten ab, sondern ob das jeweilige Marktplatzkonzept im Markt zünden kann.
Fazit
Marktplätze sind auch im B2B ein interessantes Thema und kein reiner Hype. Ob der Einstieg – und vor allem in welcher Form – sinnvoll ist, hängt aber von einer komplexen Gemengelage ab: Digitales Know-how, Budgets, Sortimentspolitik, Zielgruppenpotential, betriebswirtschaftliche Erwartungshaltung, Strategie des Betreibers usw. müssen über einen langen Zeitraum betrachtet werden. Die letztliche Entscheidung ist immer abhängig vom Einzelfall, das Potenzial ist aber sicher groß genug, um sich intensiv damit zu beschäftigen.
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