Wie beurteilen Sie die Rolle der Frauen in MINT-Berufen in Deutschland, insbesondere im Technologiesektor?
Ich glaube, dass der Bedarf an Frauen in MINT-Berufen unglaublich groß ist, und deswegen spielen sie auch eine wichtige Rolle an den Stellen, wo sie bereits sind. Die Herausforderung ist, noch mehr Frauen dafür zu begeistern, beruflich in diesen Bereich zu gehen. Das theoretische Verständnis der Unternehmen in Deutschland dafür ist wirklich groß, die praktische Umsetzung hakt hier und da noch. Aber auch das Interesse der Frauen ist einfach noch nicht hoch genug. Daran müssen wir dringend weiter arbeiten.
Was wird auf Hochschul- und Ausbildungsebene gut gemacht, und bei welchen Initiativen gibt es Ihrer Meinung nach noch viel zu tun?
Es gibt schon viele Initiativen, die schon richtig gute Arbeit machen. Cybermentor beispielsweise stellt jungen Mädchen ein Jahr lang eine Mentorin zur Seite, die sie bei vielen Fragen beraten kann. Oder auch Jugend hackt und natürlich die Hacker School. Wir arbeiten dafür, Kinder und Jugendliche für IT zu begeistern, und hier speziell auch die Mädchen. Es gibt You Code Girls, eine Plattform in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Bildung Digital und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Es geht darum, wie Mädchen und junge Frauen abgeholt werden, und hier müssen verschiedene Ebenen mitgedacht werden: die Ausbildungsebene und die Hochschulebene. Hier werden wir von vielen Unternehmen schon toll unterstützt, um Hacker School @yourschool zu machen. Fazit: Es gibt gute Ansätze, aber der Ausbaubedarf ist weiterhin vorhanden. Wir müssen uns noch besser vernetzen.
Welche Berufsbilder haben Ihrer Meinung nach das größte Potenzial und/oder die meisten Chancen für Frauen?
Wir wissen, dass rund 65 Prozent der heutigen Grundschulkinder einmal in Berufen arbeiten werden, die es jetzt noch gar nicht kennen. Insofern ist grundsätzlich der gesamte Bereich, in dem diese neuen Beruf entstehen, hochinteressant. Im KI-Bereich haben wir aktuell keine 17 Prozent Frauen, dabei ist es unglaublich entscheidend, dass Frauen mehr in diesen Bereich mit reingehen, insbesondere, wenn wir den Faktor berücksichtigen, dass wir damit für alle Frauen einen sinnvollen Mehrwert schaffen können. Grundsätzlich sind es die Berufsbilder, wo fachliche Fähigkeiten kombiniert sind mit sozialen Kompetenzen und vernetztem Denken, wo wir die größten Chancen haben für Frauen – insbesondere verbunden mit flexiblem Arbeiten, um Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren zu können.
Ist das Geschlechtergefälle größer als in unseren Nachbarländern?
Wir fokussieren uns bei der Hacker School mit unserer Arbeit und Wahrnehmung auf Deutschland und sehen, dass wir hier ein großes Gefälle haben. Die Situation in den Nachbarländer kann ich nicht wirklich beurteilen. Ich gehe davon aus, dass bei uns das Gefälle so groß ist, weil wir schon sehr lange in tradierten Rollenbildern arbeiten und immer noch versuchen, diese traditionsgemäß zu verstetigen. Das ist etwas, das wir dringend angehen müssen.
Wie haben Sie das letzte Jahr erlebt, hat sich der Abstand verringert oder ist die Situation ähnlich?
Wenn ich diese Frage auf “Frauen in Führungspositionen” beziehe, kann ich ganz klar sagen, dass dadurch, dass die Digitalisierung einen großen Schritt nach vorne gemacht hat – auch im Bildungssystem, auch im Verständnis der Rolle von Unternehmen in diesem Prozess – dass wir jetzt wirklich eine großartige Gelegenheit haben, als Frauen anders wahrgenommen zu werden. Wir haben jetzt eine Quote für Vorstandsfrauen, was auch ein Schritt in die richtige Richtung ist. Dadurch gibt es Diskussionen, aber diese sind gut, denn wir müssen hinterfragen, wie wichtig es ist, ausgeglichen und divers zu arbeiten. Diese Diskussion ist der Anfang, aber der Abstand wird sich dadurch zukünftig weiter verringern.
Sind Sie der Meinung, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um diese Kluft zu verringern? Was sollte Ihrer Meinung getan werden, um dies zu erreichen?
Ich bin davon überzeugt, dass jeder und jede bei sich selbst anfangen muss. Insbesondere Frauen müssen sich ihrer Vorbildfunktion bewusst werden. Wir müssen aber auch aufhören, darauf zu warten, dass die Männer uns fragen, ob wir “mitspielen” möchten. Wenn ich etwas ändern möchte, muss ich selbst aktiv werden, Dinge verstehen und in der Lage sein, das Spiel mitzuspielen. Dementsprechend bin ich klar der Auffassung, das so etwas, wie eine Quote durchaus hilfreich ist. Es hilft auch, dass wir mit der Hacker School in Schulen gehen und dort geschlechterübergreifend begeistern, dass wir GIRLS Hacker School machen. Wir müssen aktiv werden und nicht lamentieren.
Wie hoch ist der Anteil der Frauen in Ihrer Organisation? Ergreifen Sie Maßnahmen, um eine paritätische Vertretung zu erreichen? Worin bestehen diese?
Wir sind ein gemeinnütziges, Sozialunternehmen aus dem Bildungsbereich. Bei uns ist der Anteil von Frauen innerhalb der Organisation höher, als im Durchschnitt. Wo möglich, stellen wir aber auch gerne Männer ein. Wir versuchen aber auch eine echte Diversität hinzukriegen: jung & alt, männlich, weiblich & divers, egal, woher jemand kommt, welchen kulturellen Hintergrund er/sie mitbringt oder ob eine körperliche Behinderung vorliegt, spielt keine Rolle. Wir wollen Diversity und Parität, wo immer es möglich ist.
Welche Erfahrungen haben Sie selbst gemacht, und haben Sie sich jemals von Ihren Kollegen im Stich gelassen gefühlt, weil Sie eine Frau sind?
Ich habe hier keinerlei negative Erfahrung gemacht, dass mich ein Kollege wegen meines Gechlechts im Stich gelassen hätte. Ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass ich manchmal mehr Unterstützung bekommen habe, als mir zusteht, vielleicht weil ich eine Frau bin. Ich habe das Gefühl, dass ich wegen meiner Kompetenzen akzeptiert werde und keine Diskiminierung wegen meines Geschlechts erfahre.
Dr. Julia Freudenberg
ist seit 2017 CEO der Hacker School, die Kinder und Jugendliche für das Programmieren begeistern soll. Ziel der Hacker School ist es, dass jedes Kind in Deutschland – unabhängig von Geschlecht und Herkunft – einmal programmiert haben soll, um die digitale Welt verstehen und mitgestalten zu können. Julia Freudenberg, hat Wirtschaft an der Fernuni Hagen studiert und an der Leuphana Universität Lüneburg über Sustainability Management promoviert. Danach war sie in verschiedenen Positionen bei Unilever tätig.
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