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Hamiedha Sahebzada von ServiceNow: „Anders sein“ ist wertsteigernd

Wie beurteilen Sie die Rolle der Frauen in MINT-Berufen in Deutschland, insbesondere im Technologiesektor?
Eine positive Entwicklung in den MINT-Berufen in den letzten Jahren ist die steigende Varietät in den Bereichen, in denen Frauen tätig sein können und auch schon sind. Der Technologiesektor ist hier meiner Meinung nach Vorreiter, denn immer mehr Frauen füllen Positionen aus, die früher Männern vorbehalten waren. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, doch wir sind noch lange nicht am Ziel. Frauen spielen zwar in vielen fachlichen Bereichen eine Rolle, aber nicht auf allen Ebenen. Führungspositionen bleiben häufig noch Männern vorbehalten. Frauen haben zudem oft das Gefühl sich beweisen und stark positionieren zu müssen. Männliche Kollegen in derselben Position stoßen nicht auf denselben Widerstand. Doch wenn die Ausgangslage in den identischen Rollen nicht gleich ist, gibt es eine Diskrepanz. Entweder führt das zu einer Eskalation oder zu einer Lösung – und an dieser wird in den letzten Jahren vermehrt in deutschen Unternehmen gearbeitet.

Was wird auf Hochschul- und Ausbildungsebene gut gemacht, und bei welchen Initiativen gibt es Ihrer Meinung nach noch viel zu tun?
Es gibt bekannterweise Fächer, in denen mehr Frauen zu finden sind, wie in den Geisteswissenschaften, während wiederum in technischen Bereichen mehr Männer zu finden sind. Diese Unausgeglichenheit gilt es abzubauen. Wir als Unternehmen setzen darauf, die Frauen an Hochschulen und Universitäten aktiv anzusprechen und ihnen die zahlreichen Möglichkeiten in den MINT-Bereichen aufzuzeigen. Mein Team und ich versuchen in dedizierten Programmen die Themen-Barriere zu durchbrechen und die Diversität, die wir im Unternehmen leben, auch extern weiterzutragen. In unseren Workshops sprechen wir über Software-Technologie und IT-Plattformen, entwickeln mit den jungen Frauen App-Ideen und wecken so spielerisch Interesse. Dabei sind die Teilnehmerinnen von der Entscheidungsfindung bis zur Applikationsentwicklung involviert. Das baut Vorurteile und Klischees ab, denn IT ist nicht nur stundenlanges programmieren vor dem eigenen Rechner, sondern bietet eine große Anzahl an Themengebieten und Tätigkeiten. Das bedeutet auch, dass die unterschiedlichsten Talente und Kompetenzen in den MINT-Bereichen Platz finden.

Welche Berufsbilder haben Ihrer Meinung nach das größte Potenzial und/oder die meisten Chancen für Frauen?
In der IT sind wir schon etwas weiter als in anderen klassischen Berufszweigen – die Branche ist beispielsweise ausbalancierter als der Erziehungsbereich in Deutschland – und das schon seit mehreren Jahren. Der Technologiesektor hat erkannt, dass „anders sein“ wertsteigernd ist, und lebt nach dem Motto: Egal wer du bist, du kannst alles machen, woran du Interesse hast. In Deutschland stehen Frauen dadurch auch diese Berufsbilder mittlerweile offen. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die MINT-Branche nicht proaktiv nach Männern sucht, sondern keine Frauen findet. Unternehmen suchen motivierte Mitarbeiter, die in ihrer Position einen guten Job machen. Natürlich bedeutet das nicht, dass die Technologie-Welt von Frauen bevölkert ist. Wir leben immer noch in einer Welt, in der Männer in technischen und handwerklichen Berufen angesiedelt sind und Frauen in geisteswissenschaftlichen und sozialen Berufen. Der Kern des Problems ist der bekannte Status Quo, die Gewohnheit, die Frauen davon abhält in MINT-Berufen Fuß zu fassen. Den Abbau solcher geistigen Barrieren haben wir uns als Software-Unternehmen zum Ziel gesetzt. Wir haben mittlerweile erfolgreich ein diverses und offenes Arbeitsumfeld geschaffen und arbeiten stetig daran uns in der Hinsicht zu verbessern, um Frauen dieselben Chancen zu geben, wie den Männern.

Ist das Geschlechtergefälle größer als in unseren Nachbarländern? Wenn ja, warum?
Ich kann nur von eigenen Beobachtungen in meiner Rolle als Vertrieblerin in den Bereichen EMEA Central und Süd sprechen, aber im Vergleich zu unseren Nachbarländern sehe ich kein größeres Geschlechtergefälle. Ich habe jedoch einen großen Unterschied zwischen Nord und Süd beobachtet, und zwar innerhalb Europas, als auch global gesehen. In anderen Teilen der Welt wie zum Beispiel Indien sind Frauen in technologischen Berufen Alltag – ein Gefälle ist nicht vorhanden, es herrscht eine Balance. Dasselbe gilt für Europa, hier gibt es beispielweise mehr Frauen in der IT in den südlichen Ländern wie Spanien und Italien. Der Grund dafür könnte einerseits darin liegen, dass eine Barriere gar nicht erst aufgebaut wird und es selbstverständlich ist, dass Mann und Frau in diesen Bereichen arbeiten. Die Ursache könnte aber auch in der wirtschaftlichen Lage vieler dieser Länder zu finden sein: In wirtschaftlich schwachen Ländern locken die MINT-Bereiche mit einem höheren Einkommen, um die eigene Familie zu versorgen. Das lockt Frauen als auch Männern in dieses Metier. In Deutschland oder Frankreich ist das nicht der Fall. Die Wahl des Berufs ist anders motiviert, es wird mehr Wert auf eigene Interessen als auf den wirtschaftlichen Faktor gelegt – einfach weil es möglich ist. Das zeigt auch, wie wichtig es ist, das Interesse an technischen Themen bei Frauen schon im jungen Alter zu fördern, damit bei der Berufswahl alle Optionen bekannt sind. Das würde auch den Fachkräftemangel in Deutschland bekämpfen. Anstatt den Blick über die eigenen Grenzen hinaus zu wenden, könnten Talente in den eigenen Reihen gefunden werden.  Denn wenn sich statt nur der Hälfte der Bevölkerung  alle von einem riesigen Berufszweig angesprochen fühlen, erweitert das den Pool der Bewerber immens.

Wie haben Sie das letzte Jahr erlebt, hat sich der Abstand verringert oder ist die Situation ähnlich?
Im letzten Jahr gab es eine globale Bewegung, die von hoher Dynamik geprägt ist und das Kredo verfolgt: Jedem stehen alle Türen offen. Für Frauen bedeutet das auch offene Türen zu Führungspositionen. Das heißt nicht, dass es seit letztem Jahr eine Balance zwischen Männern und Frauen in diesen Positionen gibt. Frauen brauchen aufgrund der männerdominierten Historie oft mehr Unterstützung, um auf der Karriereleiter heraufzuklettern. Aber die Chancen für Frauen haben sich im letzten Jahr enorm erhöht, wenn nicht sogar die der Männer übertroffen. Und dieser Trend geht weiter: Ich denke, in den nächsten Jahren wird sich vor allem die jahrzehntelange Dysbalance ausgleichen und Frauen sich auf allen beruflichen Ebenen und in allen Bereichen ausbreiten.

Sind Sie der Meinung, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um diese Kluft zu verringern? Was sollte Ihrer Meinung getan werden, um dies zu erreichen? Und um die “gläserne Decke” zu durchbrechen?
Um die Geschlechterkluft zu verringern, stehen Unternehmen und auch bestehende Führungskräfte in der Pflicht tagtäglich Vorurteile abzubauen und Frauen den Freiraum zu bieten, den Männer schon erhalten. Die Maßnahmen können dabei sehr unterschiedlich ausfallen. Für mich stehen erfahrene Mentoren für Frauen an oberster Stelle. Diversität ist dabei besonders förderlich: Mentoren können Männer oder Frauen, externe oder interne Personen sein. Vielfalt führt bekanntlich zu mehr Innovation und Kreativität. Eine inspirierende und reflektive Beziehung zu einer Vertrauensperson fördert die Selbstfindung und stärkt die eigenen Ziele und Visionen – unabhängig von Geschlechterrollen.

Unternehmen sollten auch aktiv Maßnahmen ergreifen, um Führungsrollen in den MINT-Bereichen von männlichen Charakterzügen zu befreien. Die Geschäftswelt ist geprägt durch selbstbewusste, starke und bestimmende männliche Führungskräfte. Eine Studie zeigt, dass sich weibliche Führungskräfte charakterlich von Frauen ohne Führungspositionen unterscheiden und sich ihren männlichen Pendants annähern. Und es steht außer Frage, dass Frauen diese Charaktereigenschaften mitbringen. Es ist jedoch fraglich, warum weiblich konnotierte  Charakterzüge auf Führungsebene nicht zu finden sind und es de facto keinen Raum dafür gibt. Anstatt Frauen in ein maskulines Korsett zu stecken, empfehle ich Unternehmen, die Stärken ihrer weiblichen Mitarbeiter zu nutzen – und zwar auch charakterlich. Denn Kooperation und Einfühlsamkeit sind vor allem bei Führungskräften förderlich. Um diesen Raum zu schaffen, muss ein Umdenken angeregt werden auf jeder Ebene des Unternehmens.

Hamiedha Sahebzada
ist Sales Director Creator Workflow EMEA Central bei ServiceNow Deutschland. Zuvor war sie unter anderem als. AppEngine Solution Sales Manager bei ServiceNow tätig sowie als Enterprise Account Manager bei Oracle.

Roger Homrich

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