ESG-Vorgaben: Die IT als Herausforderung und Problemlöserin zugleich
Gastbeitrag von Alexandra Classen, Partner & Technology Modernization Solution Lead EMEA bei der Information Services Group (ISG).
Die langjährige gesellschaftliche Diskussion rund um den Datenschutz hat völlig neue Gesetze, Geschäftsmodelle, aber auch neue Möglichkeiten im Bereich der Cybersicherheit entstehen lassen. Ähnliches geschieht nun mit dem Blick auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (Environmental, Social, Governance – ESG). So fordern mittlerweile viele Investoren ein auf ESG-Kriterien bezogenes Risikobewusstsein und betrachten Verpflichtungen etwa in Form eines Fahrplans zur Klimaneutralität als Voraussetzung für ihre Investitionen.
Auch die Gesetzgeber sind aktiv: Die Europäische Union zum Beispiel hat neue Regelwerke in Form der „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) formuliert. Diese könnte schon für das Geschäftsjahr 2023 relevant werden – falls das europäische Gesetzgebungsverfahren und die anschließende Umsetzung in nationales Recht nach Plan verlaufen. Die CSRD definiert Berichtspflichten für Unternehmen hinsichtlich Umweltschutz, Menschenrechten, sozialer Verantwortung, Behandlung von Mitarbeitern, Korruptions- und Bestechungsbekämpfung sowie Diversität in den Führungsetagen.
Die Endverbraucher wiederum sind zu großen Teilen bereit, mehr für nachhaltige, regenerative und ethische Produkte und Dienstleistungen zu zahlen – beziehungsweise Angebote zu meiden, die diese Anforderungen nicht erfüllen.
Fachkräfte pochen auf Nachhaltigkeit
Nicht zuletzt setzt der Fachkräftemangel ESG-Themen auf die unternehmerische Tagesordnung. Denn wenn Firmen aus ESG-Perspektive wenig zu bieten haben, fallen sie mehr und mehr durchs Raster. So fand im Jahr 2021 eine Umfrage der Jobplattform StepStone unter 12.000 Arbeitnehmern und 47.000 Studierenden in Deutschland heraus: 76 Prozent der Befragten räumen Nachhaltigkeit bei ihrem Arbeitgeber einen hohen Stellenwert ein. Für vier von zehn Befragten ist Nachhaltigkeit sogar ein entscheidendes Kriterium bei der Jobwahl.
Auf dem Weg, die ESG-Ziele zu erreichen, kommt der Unterstützung in Form von IT-Lösungen eine Schlüsselrolle zu. So zeigte 2021 eine Studie des deutschen Digitalverbands Bitkom, dass digitale Technologien fast die Hälfte dazu beitragen können, die Klimaziele für das Jahr 2030 zu erreichen. Die Studie betrachtet dabei nicht nur das CO2-Einsparpotenzial, sondern auch den CO2-Fußabdruck der digitalen Infrastruktur selbst und berechnet den Netto-Klimaeffekt.
CO2-Bilanz der eigenen IT zumeist noch unbekannt
Diese Nettobilanz im Auge zu behalten, ist sehr wichtig, da die IT-Industrie selbst, zumindest Stand heute, noch zu den größeren Klimasündern zählt. Auf IT-Produkte und -Dienstleistungen insgesamt entfallen derzeit rund 5 Prozent des weltweiten Energiebedarfs und 1,4 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen – letzteres ist vergleichbar mit der Luft- oder Schifffahrtsindustrie.
Zugleich weisen mehrere aktuelle Studien darauf hin, dass nur eine einstellige Prozentzahl der IT-Verantwortlichen über eine Strategie darüber verfügt, wie ihre IT klimaneutral und nachhaltig werden kann. Und noch nicht einmal die Hälfte weiß, wie groß der CO2-Fußabdruck ihrer IT-Infrastruktur und -Services überhaupt ist.
Erste große IT-Dienstleister zeigen, dass sie sich dieses Mankos bewusst sind und positionieren sich gezielt als Unternehmen, das ESG-Ziele systematisch verfolgt. Ein Vorreiter ist etwa Infosys, das nicht nur eine „Infosys ESG Vision 2030“ entwickelt und veröffentlicht hat, sondern auch den Fortschritt auf dieser „ESG Journey“ kontinuierlich kommuniziert – zum Beispiel in einem jährlich erscheinenden ESG Report. Demnach hat das Unternehmen bereits Klimaneutralität erreicht.
Cloud verbessert die Klimabilanz
Ein weiteres Beispiel sind Hyperscaler wie AWS, Google oder Microsoft Azure. Ihr CO2-Fußabdruck ist zwar für sich genommen sehr groß. Zugleich sind sie jedoch mit am besten dafür aufgestellt, wenn es darum geht, etwa über künstliche Intelligenz (Advanced AI) oder Data Analytics die Betriebseffizienz ihres Rechnerparks massiv zu erhöhen und dadurch Emissionen einzusparen.
Auch weist Cloud Computing eine generell günstigere Klimabilanz auf als der IT-Betrieb onsite. Eine von Accenture durchgeführte Studie verglich den Betrieb von drei Microsoft-Geschäftsanwendungen – Exchange, SharePoint und Dynamic CRM – zum einen in den Rechenzentren von Kunden mit zum anderen dem Betrieb in Cloud-Rechenzentren von Microsoft. Das Ergebnis: Der cloudbasierte Betrieb senkte die CO2-Emissionen bei weniger als 100 Nutzern um durchschnittlich 90 Prozent oder mehr. Bei mehr als 10.000 Anwendern lag die Einsparung immerhin noch bei 30 bis 60 Prozent.
ESG als Business Case
Der größte Treiber für ESG besteht jedoch darin, dass das Thema die Chance bietet, die Effizienz interner Abläufe und Lieferketten durch eine Kombination aus Cloud, IoT, Daten, digitalen Zwillingen und intelligenter Automatisierung zu verbessern. ESG-Initiativen sind fast immer auch wirtschaftlich durchgerechnete Business Cases.
ESG kommt dadurch heute eine strategische Rolle zu. Es geht nicht mehr darum über Einzelaktivitäten, „Gutes zu tun“, sondern diese Aktivitäten über Governance-Prozesse in die gesamte Struktur des Unternehmens einzuweben. Insbesondere in Europa können Unternehmen auf diesem Weg mit Orientierungshilfen rechnen. Denn im weltweiten Vergleich ist die EU-Regulierung zu ESG weit fortgeschritten. Es ist daher zu erwarten, dass durch die EU-Taxonomie den Unternehmen nicht nur neue Regularien auferlegt werden, sondern auch für Standardisierung und Klarheit gesorgt wird, an denen sich Unternehmen rechtssicher orientieren können.
Gesamte Lieferketten betrachten
Diese Regeln wirken sich unter anderem auch schon bei der Auswahl von IT-Providern aus: Wie müssen Sourcing-Vereinbarungen mit neuen Lieferanten aussehen, damit ein Unternehmen die geforderte ESG-Konformität entlang der gesamten Lieferkette vorhalten und nachweisen kann? So stellt zum Beispiel die Information Services Group (ISG) in den von ihr begleiteten IT-Service-Ausschreibungen immer häufiger fest, dass ESG-Kriterien eine entscheidende Rolle spielen. Ein ISG-Kunde etwa wurde nach Energiemanagement-Zertifizierungen gefragt, wie sie die EU-Taxonomie vorsieht. Oder: ISG selbst durfte kürzlich erst dann bei einem Kunden aktiv werden, nachdem das Unternehmen seine Menschenrechtserklärung hochgeladen hatte.
Der „ESG-Umbau“ stellt Unternehmen vor ähnliche Herausforderungen wie auch andere große Transformationen: Man braucht neben aus der Strategie abgeleiteten Zielen die richtigen Prozesse, Organisationsformen, Verantwortliche und die richtigen Skills zur Operationalisierung der Strategie. Dies bedeutet zum Beispiel und vor allem auch: zusätzliche (neue) Fachkräfte oder die Schulung des bestehenden Personals. Die Unternehmen müssen also mehr als „nur“ die richtigen Daten zusammenbringen, sondern die Transformation von der gesamten Organisation aus gesehen angehen (siehe auch Infokasten).
Von der Einzelmaßnahme zur Strategie
IT-erfahrene Transformations-Spezialisten können hier Unternehmen dabei unterstützen, ihre Maßnahmen rechtzeitig zu planen und umzusetzen – mit einem Ende-zu-Ende-Ansatz, der alle Provider in der Supply Chain miteinbezieht. Weitere Aspekte sind vor allem: Wie „ESG-ready“ sind Unternehmen heute schon (Assessment)? Wie kann IT dabei helfen, die notwendigen Reifegrade zu erreichen? Und wie muss ein Maßnahmenplan aussehen, der auch wirklich der Umsetzung der ESG-Ziele dient?
Letztlich geht es darum, bisherige Einzelmaßnahmen strukturiert und ganzheitlich in eine einheitliche Strategie zu integrieren und auszubauen. Das verschafft Unternehmen zudem den Vorteil, dass sie ESG-relevante Informationen nicht mehr mühsam zusammensuchen müssen, sondern zentral verfügbar haben. Auf diese Weise erreichen sie nicht nur die gesetzten ESG-Ziele, sondern sparen auch beim ESG-Management deutlich Aufwände ein.
5 Erfolgsfaktoren auf dem Weg zur ESG-Konformität
1) Gesamtüberblick schaffen
Unternehmen benötigen eine Komplettübersicht ihres ESG-Fußabdrucks – sei es direkt im eigenen Unternehmen oder indirekt über ihre Lieferketten. Dies kann der Umfang der selbst oder von Partnern verursachten CO2-Emmissionen sein oder ob bei (Unter-)Auftragnehmern Zwangsarbeit vorkommt. Vor allem größere Unternehmen benötigen ein System, das all diese Prozesse kontinuierlich verfolgt. Digitalisierung und Automatisierung sind bei einem solchen Monitoring unverzichtbare Ansätze.
2) Daten zentral verfügbar machen
ESG-relevante Daten liegen bislang und üblicherweise nur dezentral und weit verstreut vor. Selbst in großen Unternehmen gibt es keinen entsprechenden zentralen Datenpool, der alle relevanten Daten enthält. ESG-relevante Daten müssen deshalb mithilfe entsprechender IT-Lösungen zentralisiert, strukturiert, messbar gemacht und analysiert werden.
3) Erfolg regelmäßig messen
Einzelne Unternehmen haben zwar bereits eine ESG-Strategie entwickelt. Sie müssen aber auch sicherstellen, dass sie über KPIs verfügen, welche die erzielten Fortschritte regelmäßig messen. Konsequenter Einsatz von Datenanalytik, digitalisierte und automatisierte Geschäftsprozesse sind hier äußerst hilfreich, um die Fortschritte bei der ESG-Zielerreichung kontinuierlich zu verfolgen.
4) Die richtigen (IT-)Fachkräfte für die richtigen Aufgaben
Letztlich ist der Umstieg auf ESG-konforme Standards ein klassisches Transformationsprojekt. Dies bedeutet auch immer, jene Fachkräfte auszubilden oder neu zu einstellen, die für die neuen Aufgaben gebraucht werden. So sollte sich ein Unternehmen zum Beispiel fragen, welche IT-Bereiche besonders ESG-relevant sind, etwa Rechenzentren – und das entsprechende Know-how aufbauen.
5) Unterstützung holen
Insbesondere wenn IT eine wichtige Rolle spielt, bietet sich die Unterstützung externer Partner an, die über Erfahrungen mit (IT-)Transformationsprojekten verfügen. Sie sind in der Lage, den jeweils aktuellen „ESG-Reifegrad“ zu analysieren und daraus abzuleiten, welche individuellen Maßnahmen im Unternehmen den größten Fortschritt bringen.