Gerät der gut geölte Kampagnenkreislauf aber aufgrund technischer oder prozessualer Probleme ins Stocken, hilft auch die beste Datenstrategie nicht weiter – das gesamte System muss auf den Prüfstand. Um dieses besser zu verstehen, hilft ein Blick auf die Gesetze der Physik.
Marketing ist seit jeher ein beliebtes Testfeld für neue Technologien. Während Fachbereiche in vielen Unternehmen immer noch nach den richtigen Anwendungsfällen für künstliche Intelligenz, Automatisierung oder Predictive Analytics suchen, sind die Lösungen bei der Ausführung digitaler Werbekampagnen oder der Abwicklung von Kundenanfragen längst alltäglich. Trotzdem stoßen Unternehmen bei der Transformation ihrer Marketingabteilungen zu agilen und datengetriebenen Organisationen immer wieder auf Hürden.
Viele dieser Probleme sind systemischer Natur, also direkt auf die Architektur der Prozesse und IT-Landschaft zurückzuführen. Der Aufbau des Kampagnenmanagements spielt dabei eine besonders wichtige Rolle. Wenn es hier stockt, kommen die Vorteile datengetriebener und agiler Prozesse niemals voll zum Tragen. Um gängige Probleme im Kampagnenmanagement besser zu veranschaulichen, lohnt sich ein Exkurs in die Physik. Genauer gesagt: die Fluiddynamik.
Zunächst die Grundlagen: Die Menge einer Flüssigkeit, die sich in einer festgelegten Zeitspanne an einem beliebigen Punkt durch ein Rohr bewegt, wird mit dem Volumendurchfluss beziffert. Dieser entspricht der Fläche des Rohrs (Ai) an dem Punkt I multipliziert mit der Geschwindigkeit der Flüssigkeit (vi). Der Volumendurchfluss muss im gesamten Rohr konstant sein. Die Kontinuitätsgleichung für Flüssigkeiten lässt sich wie folgt formulieren: A1* v1 = A2 * v2. Die Gleichung besagt, dass die Geschwindigkeit der Flüssigkeit immer dann zunimmt, wenn der Querschnitt des Rohres kleiner wird – und umgekehrt.
Das Prinzip lässt sich gut an der Gartenbewässerung veranschaulichen: Für die gut erreichbaren Blumen reicht der Wasserdruck eines herkömmlichen Gartenschlauches in der Regel völlig aus. Gilt es aber schwerer erreichbare Beete zu erwischen, müssen wir mit dem Daumen an der Öffnung des Gartenschlauchs nachhelfen, um den Wasserdruck und damit die Reichweite zu erhöhen.
Betrachten wir den Marketingzyklus als ein geschlossenes System aus verschiedenen Rohrteilen, das mit diversen Verbindungstücken, Ventilen und Messgeräten verbunden ist, können wir gewisse Ableitungen für das Kampagnenmanagement treffen. Dafür müssen wir uns vorstellen, dass die Flüssigkeit in diesem Rohrsystem eine laufende Kampagne darstellt.
Die Situation könnte etwa so aussehen: Ein Unternehmen plant mehrere Kampagnen und Kanalaktivierungen, das zugrunde liegende IT-System ist dabei direkt mit dem jährlichen Finanzplanungszyklus verbunden. Alle genehmigten Programme werden automatisch finanziert – die Kampagne beginnt im System zu „fließen“. Dann bemerkt die Fachabteilung, dass die Rohrverbindungen zu den Kreativprozessen und Agenturen nicht richtig sitzen. Es kommt zu einer Verengung im Querschnitt der Pipeline.
Gemäß dem Kontinuitätsgesetz steigt dadurch der Druck hinter der betroffenen Stelle. Alle nach der Verengung liegenden Organisationen und Plattformen arbeiten also automatisch schneller. Aufgrund des hohen Tempos können die davor liegenden Organisationen die Nachfrage nach Werbemitteln aber nicht mehr so einfach bedienen, so dass auch die Mediaagenturen nicht mehr in der Lage sind, geplante Aktivierungen zu schalten. Für die vor dem Flaschenhals angesiedelten Teams bedeutet eine solche Situation viel Stress, müssen diese doch mit dem erhöhten Tempo Schritt halten. Die Folge: nachlässig durchgeführte und qualitativ minderwertige Kampagnen.
Um solche Probleme zu vermeiden und ein perfekt aufeinander abgestimmtes Marketing-System aufzubauen, müssen Unternehmen den Fluss ihrer Kampagnen kontinuierlich analysieren – von der ersten Idee bis zur finalen Umsetzung. Nur so lassen sich potenzielle Flaschenhälse im System identifizieren und auflösen. Das bedarf nicht nur einer prozessualen Perspektive, sondern auch einem starken technologischen Fokus. Denn Engpässe lassen sich nur mit perfekt orchestrierten IT-Plattformen vermeiden. Unter idealen Voraussetzungen können Unternehmen nach diesem Prinzip leistungsstarke Marketing-Maschinen aufbauen, die konstant von Daten, Budgets und Kreativität angetrieben werden. Das Ziel: ein globales, nahtlos bereitgestelltes Portfolio sämtlicher Paid-, Owned- und Earned-Aktivierungen.
Mathias Elsässer
ist Partner, Marketing Advisory bei PwC Deutschland. Der Physiker beschreibt in seinem aktuellen Buch „Intelligent data-driven Marketing – When Physicists start thinking about Marketing”, wie Unternehmen die Transformation zu einem agilen und datengetriebenen Marketing gelingt. Er ergänzt die Theorie dabei um anschauliche Gedankenexperimente aus der Welt der Naturwissenschaften – von Strömungsdynamik über harmonische Schwingungen bis zu den Gesetzen der Thermodynamik.
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