Digitale Souveränität: Mehr als ein Wunschtraum?

„Keine politische Souveränität ohne digitale Souveränität“, so die Botschaft eines aktuellen BITMi-Positionspapiers. Wird die Bedeutung der Digitalisierung in der Politik noch unterschätzt, oder ist diese Botschaft angekommen?
Patrick Häuser: Insbesondere Fachpolitiker wissen um die Bedeutung der Digitalisierung. Doch in weiten Teilen der Politik fehlt insgesamt das Bewusstsein dafür, dass wir uns durch das Verschleppen der digitalen Transformation in eine sehr problematische Lage manövrieren und massiven Wohlstandsverlust in der Zukunft riskieren. Es ist bekannt, dass wir einen massiven Rückstand, etwa in Bereichen wie dem Breitbandausbau, haben. Ebenso sind wir bei der Verwaltungsdigitalisierung im europäischen Vergleich weitgehend abgehängt.

Ein potenzieller Verlust politischer Souveränität kommt durch eine andere Entwicklung erschwerend hinzu: Wir begeben uns bei der Gestaltung des digitalen Wandels in große Abhängigkeiten von Anbietern aus anderen Weltregionen, insbesondere den USA, aber auch China, wie neue Studien zuletzt gezeigt haben. Wie problematisch das sein kann, sehen wir jetzt – leider viel zu spät – im Energiebereich. Daraus sollten wir lernen.

Warum also führen wir die Debatte, die wir aktuell um eine zeitgemäße Energiepolitik führen, nicht auch dringend um den Zustand unserer Digitalisierung? Das würde uns wirklich weiterhelfen. Das Bewusstsein für diese Notwendigkeit und ihrer Tragweite fehlt in der Politik nach meiner Beobachtung größtenteils noch immer.

Sie sagen in dem Positionspapier: „Wir brauchen eigene Hard- und Softwarelösungen, eigene Dienstleistungen, eigenes intellectual property Made in Europe.“ Was sind die drei größten Herausforderungen bisher, dass wir dies noch nicht erreicht haben?
Ein wichtiger Faktor ist, dass große Technologieunternehmen den digitalen Markt über Jahre weitgehend unreguliert und mit großem Tempo für sich erschließen und so große Marktanteile, insbesondere im B2C-Bereich, für sich sichern konnten. Erst jetzt zieht die Politik allmählich nach: Besonders auf EU-Ebene werden durch große digitalpolitische Gesetzespakete derzeit Anstrengungen unternommen, um wieder mehr Chancengleichheit herzustellen.

Das ist ein sehr mühsames Unterfangen, aber insgesamt dreht sich der politische Wind (Digitalsteuer, DMA/DSA, KI-Regulierung, etc.). Durch den Digital Markets Act beispielsweise werden sich in Zukunft dominante Tech-Giganten einem fairen Wettbewerb um die besten digitalen Lösungen und Produkte stellen müssen. Das ist eine sehr gute Nachricht für unsere mittelständisch geprägte Digitalbranche.

Eine zweite Herausforderung ist, dass der Staat bei der Digitalisierung bislang nicht vorneweg geht. Er selbst digitalisiert sich nur schleppend und lebt keinen Fortschritt vor, wodurch die Transformation insgesamt lahmt. Eine durchdigitalisierte Verwaltung wäre schließlich nicht nur für den Bürger effizienter, sondern würde auch viele Planungs- und Genehmigungsverfahren für Unternehmen beschleunigen.

Wir müssen zudem die Entstehung digitaler Geschäftsmodelle in Europa massiv unterstützen. Dafür gibt es zahlreiche Stellschrauben, wie etwa ein verbesserter Zugang zu Daten. Aber auch der Zugang zu Wachstumskapital muss für KMU verbessert werden, etwa indem der Aufwand eines Börsengangs für diese Unternehmen deutlich reduziert wird. Es gibt eine ganze Reihe an Maßnahmen, die darauf einzahlen, in Europa eigene Tech Champions zu schaffen.

Ein weiteres Zitat von Ihnen: „Warum also greifen wir immer auf die großen amerikanischen Anbieter zurück, wenn es gleichwertige Lösungen aus Deutschland gibt?“. Doch gibt es wirklich diese gleichwertigen Lösungen? In welchen Bereichen hätten wir diese bereits? Wo wären noch Abstriche bei Funktionen oder Komfort erforderlich, wenn man digital souverän sein möchte?
Im B2C-Bereich ist es tatsächlich so, dass wir nahezu keine Chance mehr haben, noch aufzuholen und gleichwertige Lösungen anzubieten. Das gilt für Hardware ganz besonders. Hier sind die Felle verteilt und der Alltag der Endkonsumenten wird längst durch Produkte der großen Tech-Konzerne bestimmt. Im B2B- und B2G-Bereich sieht es jedoch anders aus.

Im Bereich der Cloud-Lösungen etwa haben wir starke Player in Europa, die ein hohes Maß an Datensouveränität ermöglichen. Gerade bei staatlichen Aufgaben sollten wir stärker auf diese Anbieter setzen. Stattdessen vertrauen wir häufig reflexartig auf große Hyperscaler. Das erscheint uns mit Blick auf die digitale Souveränität nicht zielführend.

Natürlich müssen wir nicht alles selbst machen – das wäre auch schwer möglich und wenig sinnvoll. Wir sollten also keinen Protektionismus betreiben und uns abschotten, aber unbedingt unsere Selbstbestimmung in wesentlichen Bereichen der Digitalisierung wahren. Wenn wir es schaffen, die Marktvielfalt zu vergrößern, indem wir europäische Angebote stärken, dann sind wir in der Gestaltung des digitalen Wandels insgesamt freier.

Wie können Lücken geschlossen werden bei bestehenden Angeboten aus der EU? Durch mehr öffentliche Aufträge zum Beispiel, die die Anbieter stärken und die so ihre Lösungen ausbauen können?
In der Vergabe öffentlicher Aufträge liegt sicher ein großer Hebel. Aus unserer Sicht spricht zum Beispiel nichts dagegen, die digitale Souveränität zu einem Vergabekriterium zu machen. So sollte künftig bei IT-Ausschreibungen die Einhaltung europäischer Standards, etwa in Bezug auf Datenschutz ebenso wie die wirksame Durchsetzbarkeit europäischen Rechts gegenüber einem Anbieter, eine Rolle spielen.

Wenn Sie die Situation in den USA vergleichen mit der in der EU: Was sind die größten Unterschiede? Wird in den USA gezielter gefördert, um souverän zu sein?
Mehr Förderung ist aus unserer Sicht gar nicht so entscheidend. Wichtiger wäre eher ein Abbau von regulatorischen Hemmnissen, die KMU häufig ausbremsen. Ebenso braucht es ein positiveres Mindset, was Gründung und Unternehmertum angeht. Insgesamt herrschen in den USA noch deutlich bessere Rahmenbedingungen, die Wachstum, Innovation und Gründungskultur beflügeln.

Die bereits angesprochenen Börsengänge kommen dort, selbst wenn man die viermal höhere Bevölkerungszahl berücksichtigt, um ein Vielfaches häufiger vor: Im Jahr 2020 waren es sieben IPOs in Deutschland und 200 in den Vereinigten Staaten. Ähnlich verhält es sich bei der Verfügbarkeit von Wagniskapital. Hier könnte eine KMU-freundlichere Politik noch viel bewirken.

Oliver Schonschek

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