Datenkultur: Schlüssel zur digitalen Transformation?

Die Großkonzerne der Life Sciences Industrie haben nicht den Ruf, besonders modern aufgestellt zu sein. Durch die permanenten Risiken milliardenschwerer Investitionen, ein enges regulatorisches Korsett sowie entsprechend starre Hierarchien sind sie vielmehr ein Sinnbild der „alten Welt“. Gleichzeitig liegen hier die Chancen der Digitalisierung auf der Hand: beispielsweise durch die datengestützte Entwicklung von Arzneimitteln. Doch die Konkurrenz durch junge Unternehmen mit Startup-Charakter wächst. Am Ende werden diejenigen den Markt dominieren, die Schnelligkeit und Agilität im großen Stil skalieren können.

Der Weg zu diesem Ziel ist eine Reise, die nicht ohne Um- und Irrwege bleiben wird. Besonders wichtig ist es, das ganze Team mitzunehmen und jede und jeden Einzelnen zu motivieren. Dabei stehen nicht etwa die besten Tools im Vordergrund, sondern die Schaffung einer Datenkultur. Ein Beispiel dafür ist ein Unternehmen aus der Life Science Industrie. BestlifeX – den richtigen Namen darf ich leider nicht nennen – vollzieht seit einigen Jahren den digitalen Transformationsprozess mit einem datengetriebenem Mindset.

Große Chancen treffen auf große Herausforderungen

BestlifeX möchte die Basis für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens schaffen. Als Global Player hat es dafür gute Voraussetzungen – und gleichzeitig die Schwierigkeit, Prozesse, die jahrzehntelang gut waren, neu auszurichten. Der Pharma-Markt verlangt zunehmend personalisierte Lösungen, präventive und integrierte Therapieansätze sowie beschleunigte Produktentwicklungszyklen. Um da mitzuhalten, will BestlifeX interne und externe Daten wie zum Beispiel Genomdaten oder auch Social Media-Inhalte unternehmensweit nutzen. Zwar gab es bereits in der Vergangenheit diverse Initiativen in diese Richtung. Jedoch sind die Qualität und Verfügbarkeit von Daten unzureichend, überall bestehen Datensilos und die tatsächliche Verwertung der Daten ist nur in Einzelfällen sichtbar. Kurzum: Die Investitionen der Vergangenheit waren nicht falsch, haben aber zu wenige Ergebnisse geliefert.

Unternehmensführung und Aufsichtsgremium sind entschlossen, viel Geld in die Hand zu nehmen, um vom Wandel der Branche und bevorstehenden Disruptionen zu profitieren. Sie sind überzeugt, dass ein schnelleres Time-to-Market mit dem richtigen Portfolio nur mithilfe großflächiger Datennutzung gelingen kann. Im Unterschied zu früheren Ansätzen wurde deshalb ein ganzheitliches Transformationskonzept entwickelt, das sich über alle Geschäftseinheiten erstreckt, sämtliche Aspekte von der Strategie über Organisation, Prozesse, Technologie und Unternehmenskultur beinhaltet und dadurch nachhaltig wirken soll.

Die damit verbundenen Herausforderungen – technisch wie menschlich – sind groß. Es bedarf eines tief verankerten Bewusstseins, dass Daten als Produkte betrachtet werden, die einen Mehrwert liefern können. Erst wenn die Nutzung von Daten zum selbstverständlichen Teil von sämtlichen Problemlösungsprozessen im Unternehmen geworden ist, kann die Transformation gelingen.

Datenkultur als Enabler für die Nutzung neuer Technologien

BestlifeX hat sich bewusst auf diese Reise begeben und die Transformation auf vier Säulen gesetzt:

Datenstrategie
Jeder Geschäftsbereich wurde aufgefordert, im Rahmen einer eigenen Datenstrategie seine datengetriebenen Ziele für die nächsten Jahre auszuformulieren. Eine eigens geschaffene „Data Value“-Organisation soll den Geschäftsbereichen bei der Identifikation der strategischen Bereiche helfen, bei denen eine bessere Nutzung von Daten den höchsten Wertbeitrag generieren kann. Daraus werden dann konkrete Anwendungsfelder und Dateninitiativen abgeleitet.

Organisation und Governance
Datenqualität setzt voraus, dass die Zuständigkeiten dafür klar verteilt sind. Insbesondere in Konzernen mit globaler Präsenz und vielen Tochtergesellschaften dürfen datenrechtliche Themen nicht vernachlässigt werden. Wem gehören die Daten? Wie können Daten im Unternehmen compliant geteilt werden? Welche Prozesse müssen dafür etabliert werden? Aufbau- und Ablauforganisation hierfür sind ein wichtiger Bestandteil des Transformationsprojektes von BestLifeX.

Im Sinne eines dezentralen „Data Mesh“-Ansatzes wurden dabei Datendomänen mit klarer Ownership definiert. Daten innerhalb dieser Domänen können vom jeweiligen Domain-Owner auf Anfrage geteilt werden, wodurch der unternehmensweite Datenzugang vereinfacht und beschleunigt wird.

Datenplattform und Technologie
Basis der Transformation ist eine cloud-basierte, sichere und skalierbare Datenplattform für das gesamte Unternehmen. Über sogenannte Daten-Pipelines wird sie durch Quellsysteme gefüttert und macht die gesammelten Daten über verschiedene analytische Tools auswertbar. Das Front-End bildet ein Datenkatalog, der Transparenz über sämtliche verfügbare, interne und externe Datensätze schafft.

Im Sinne eines „Datenshopping-Erlebnisses“ kann hier im Rahmen eines zügigen und gleichzeitig rechtskonformen Prozesses jeder unternehmensinterne Nutzer Zugang zu den dort katalogisierten Datensets bekommen. Daten werden somit als Produkte betrachtet, die man als Endnutzer per App „bestellen“ kann. Je nach Fragestellung können sie mit weiteren Datensets kombiniert sowie über verschiedene Technologieanwendungen ausgewertet und modelliert werden.

Datenkultur und -Mindset
Die beste Technologie scheitert in der Anwendung, wenn die zuständigen Mitarbeiter*innen nicht dahinterstehen. Deswegen wurde bei BestlifeX ein besonderer Fokus auf das Thema Kultur und Mindset gelegt. Ein stärker datenzentriertes Denken über sämtliche Funktionen hinweg ist das Ziel. Bei jeder Fragestellung im Geschäftsalltag soll geprüft werden: Kann ich das mithilfe von Daten noch besser und/oder schneller angehen? Mitarbeiter*innen sollen zu „Data Citizens“ entwickelt werden, die in der Lage sind, datenbasiert zu arbeiten und datenzentrierte Entscheidungen zu treffen.

Die zugehörigen Maßnahmen umfassen ein Kursangebot von Daten-Literacy Trainings für alle Mitarbeiter:innen bis zu Expertentrainings in Form einer eigenen Data Science Academy. Neben der Datenkompetenz wird vor allem darauf gesetzt, zum Beispiel über Data Thinking-Workshops und Hackathons Neugier zu wecken. Das Top-Management begibt sich gemeinsam mit dem Team auf die Reise. Formal benannte Daten-Navigatoren begleiten darüber hinaus in jeder Geschäftseinheit den Wandel hin zu mehr datengetriebenen Entscheidungsprozessen.

Mit jedem Teilergebnis Momentum erzeugen

Am Ende fließen bei BestlifeX das aktive Arbeiten an Kompetenz und Kultur sowie die technologische Weiterentwicklung zusammen. Die Summe der Initiativen ergibt das große Ganze und das offene Teilen aller Learnings schärft das gemeinsame Bewusstsein für eine neue, datengestützte Stärke. Egal ob Produkte besser vermarktet werden oder die Forschungspipeline einen Schub bekommt – das Momentum der Transformation bei BestlifeX ist spürbar.

Ist das Projekt abgeschlossen? Nein. Der Prozess nimmt viele Jahre in Anspruch, was Teil der Erfolgsgeschichte ist. Es geht bei dieser Reise nicht darum, anzukommen, sondern Agilität und Datenzentriertheit so tief in der Kultur zu verankern, dass man wandelbar bleibt. Schließlich muss ein solches ganzheitliches Datenökosystem in ständiger Veränderung bleiben, um sich an veränderte Rahmenbedingungen anpassen zu können. Im Sinne eines nutzerzentrierten Ansatzes wurde auf der Grundlage einzelner Anwendungsfälle bereits demonstriert, dass Daten entlang der gesamten Kette die Wertschöpfung verbessern und beschleunigen können. Die nächsten Jahre werden davon geprägt sein, diese Initiative kontinuierlich weiterzuentwickeln. Bis die Initiative nicht mehr als solche wahrgenommen wird, weil sie längst Alltag geworden ist.

Dr. Sonia Vilaclara
ist Senior Principal bei Santiago Advisors. Als Beraterin für die Chemie-, Pharma- und Hightech-Industrie unterstützt sie Unternehmen dabei, Veränderungsprozesse zu konzipieren und zu begleiten. Schwerpunkt der von ihr geleiteten Transformationsprojekte sind IT und Digitalisierung, Innovation sowie Forschung und Entwicklung.

Roger Homrich

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