In ihrem Koalitionsvertrag hatte sich die Bundesregierung ambitionierte digitalpolitische Ziele gesetzt. Der 10-Punkte-Check im Ampelsystem von eco – Verband der Internetwirtschaft zeigt jedoch, dass diese nach einem Jahr Regierung überwiegend nicht erfüllt werden konnten. Aus Sicht des Verbands stehen fünf von zehn digitalpolitischen Projekten auf rot, weil sie entweder Stillstand verzeichnen, hinter den im Koalitionsvertrag gesteckten Zielen zurückfallen oder zunächst eine politische Weichenstellung erfolgen muss. Hierzu zählen die Zuteilung digitaler Zuständigkeiten, Digitalstrategie und -budget, die Vorratsdatenspeicherung sowie die Themenbereiche digitale Nachhaltigkeit und digitaler Staat.
Grünes Licht bei der Digitalisierung verzeichnet aus Sicht des Verbands lediglich der Bereich digitaler Infrastruktur. Bei der Nutzung von Daten, New Work und europäischer Netzpolitik zeigen sich laut eco bislang keine klaren Trends, weshalb hier die Ampel auf gelb steht.
Auch einem Großteil der Deutschen geht der von der Bundesregierung angestrebte digitale Aufbruch nicht schnell genug, wie eine repräsentative Civey-Umfrage im Auftrag von eco zeigt: Rund 72 Prozent wünschen sich, dass die Bundesregierung die digitale Transformation in Deutschland entschiedener vorantreibt.
Ein Grundproblem sieht eco Vorstandsvorsitzender Oliver Süme darin, dass unklare digitale Zuständigkeiten die Netzpolitik der Ampel verlangsamen würden. Dies zeige sich auch in der Digitalstrategie. „Die Digitalstrategie ist zwar veröffentlicht. Doch es bleibt weiterhin offen, wie die jeweiligen Zielvorgaben konkret umgesetzt werden sollen”, sagt Süme. „Eine vorausschauende Digitalpolitik darf sich nicht zwischen bürokratischem Hickhack verschiedener Ressorts zerreiben lassen.“ Ein zusätzlicher Bremsklotz bei netzpolitischen Projekten sei, dass die Ampel noch immer nicht das angekündigte Digitalbudget geschaffen habe.
Auch beim Thema digitale Verwaltung sieht Süme Defizite und dringenden Handlungsbedarf. Aus seiner Sicht bleibe die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes weit hinter den Erwartungen zurück. Die Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen und Bürokratieabbau komme nur schleppend voran.
Der Wunsch nach einer digitalisierten Verwaltung ist im vergangenen Jahr auch in der Bevölkerung gewachsen, wie das digitalpolitische Meinungsbarometer von eco und Civey zeigt: Hatten vor der Bundestagswahl im September 2021 noch rund 38 Prozent der Befragten angegeben, dass die Ampel besonders dringend die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung angehen müsse, waren es im November 2022 schon rund 43 Prozent. Gleichzeitig waren zuletzt lediglich drei Prozent der Befragten zufrieden mit dem Stand der digitalen Verwaltung in ihrem Bundesland.
Noch schlechter schneidet aus Sicht der Bevölkerung jedoch der Bereich Cybersicherheit ab: Hier rutschten die Zufriedenheitswerte seit September 2021 von 3,4 auf 1,6 Prozent. Zuletzt erklärte knapp jede:r Zweite die Cybersicherheit als dringlichste digitalpolitische Aufgabe der Bundesregierung. Vor der Bundestagswahl hatte dies noch etwa jede:r Dritte angegeben.
„Der Krieg in der Ukraine bedeutet auch Handlungsbedarf beim Thema Cybersicherheit, die Sorge vor weltweiten Hackerangriffen ist auch bei den Menschen in Deutschland angekommen“, sagt Süme. Gleichzeitig deute die vom BMI vorgelegte Cybersicherheitsagenda auf eine Abkehr der im Koalitionsvertrag verankerten Ziele hin. Süme: „Die Cybersicherheitsagenda enthält Forderungen und Maßnahmen, die dem Ziel, mehr Verschlüsselung in Deutschland einzuführen, abträglich sind.“
Auch beim Thema nachhaltige Digitalisierung verstrickte sich die Bundesregierung zuletzt mit widersprüchlichen Regulierungsansätzen: Während das Energieeffizienzgesetz Rechenzentren als energieintensiv einstuft und daher sogar spezielle Regelungen für sie vorsieht, wird die Branche bei der Strompreisbremse aktuell nicht berücksichtigt. „Rechenzentren sind das Fundament der digitalen Transformation und bieten allein durch die Abwärmenutzung genügend Nachhaltigkeitspotenziale“, so Süme. „Doch solange die Ampel nicht einen Markt der Abwärme-Abnehmer schafft und den Betreibern ausreichend Grünstrom zur Verfügung stellt, sehe ich hier leider rot.“
Indes teilt mehr als jede:r Zweite in Deutschland die Meinung, dass die Bundesregierung die Betreiber kritischer Infrastrukturen wie Rechenzentren im Zuge der Energiekrise stärker unterstützen sollte als bisher.
Doch es gibt auch Verbesserungen beim Thema digitale Infrastrukturen unter der Ampelregierung. Mit ihrer im Juli 2022 veröffentlichten Gigabit-Strategie und dem Aufbau des Gigabit-Grundbuchs sei die Ampel ihrem Ziel eines beschleunigten Ausbaus gigabitfähiger Infrastruktur deutlich nähergekommen, so Oliver Süme. So erfolgt aktuell eine Potentialanalyse zum privatwirtschaftlichen Ausbau und Förderbedarf. Die erste Ausbaustufe des Gigabit-Grundbuchs soll noch im Dezember 2022 veröffentlicht werden.
Dieser Trend spiegelt sich auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung: Stand der Ausbau digitaler Infrastruktur vor der Bundestagswahl noch deutlich an der Spitze der digitalpolitischen Wunschliste der Deutschen (52,8 Prozent), belegt dieser Themenbereich nun Platz drei hinter der Cybersicherheit und digitalen Verwaltung. Auch sind die Zufriedenheitswerte beim Ausbau digitaler Infrastrukturen seit September 2021 von 4,3 auf 10,5 Prozent gewachsen.
Süme: „Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Bundesregierung die Digitalisierung als zentrale Herausforderung erkannt hat und sich darum bemüht, diese vor dem Hintergrund der globalen Entwicklungen und Herausforderungen umzusetzen. Ich würde mir allerdings ein stärkere Koordinierung zwischen den Ressorts und eine strategischere Einbeziehung digitaler Lösungspotenziale für aktuelle Herausforderungen wie beispielsweise dem Umgang mit dem voranschreitenden Klimawandel wünschen.
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