Die Verbraucher haben den Komfort und die Informationsangebote des digitalen Handels längst für sich entdeckt. Selbst ältere Menschen haben begonnen, ihr Konsumverhalten zu ändern und kaufen regelmäßig Waren und Dienstleistungen online. Aber vor allem die jüngere, digital-native-Generation hat noch viel höhere Erwartungen an Marken und digitale Einkaufserlebnisse. Tatsächlich ist für mehr als die Hälfte der Kunden das Online-Einkaufserlebnis von Marken ein wichtiger Faktor für ihre Kaufentscheidung.
Aber was bedeutet das für die Automobilindustrie? Seien wir ehrlich, die Branche ist nicht dafür bekannt, dass sie bei der digitalen Transformation eine Vorreiterrolle übernimmt – sei es beim Kaufprozess oder beim kompletten Lebenszyklus eines Produkts. Bedenkt man die neue, jüngere Generation von Verbrauchern, die die Zukunft der Mobilität entscheidend mitgestalten wird, müssen die Automobilhersteller ihren Vertrieb modernisieren. Ansonsten müssen sie sich damit abfinden, dass langfristiges Geschäftswachstum bald zum Erliegen kommen wird.
Autohersteller müssen erkennen, dass die Käufer der Zukunft nicht mehr allein durch schicke oder komfortable Autos zu überzeugen sind. Stattdessen wird der Erfolg vom digitalen Einkaufserlebnis und der Berücksichtigung individueller Kunden-Bedürfnisse abhängen – von der Konfiguration des Fahrzeugs bis zum Kauf sowie anschließend bei Reparatur, Wartung und Wiederverkauf. Mit anderen Worten: Die Automobilindustrie wird sich neu erfinden müssen.
Neue Präferenzen von Verbrauchern haben in allen Branchen zu Marken mit verstärktem D2C-Fokus (Direct-to-Customer) geführt. Anstatt sich auf traditionelle Einzelhandels- und Weiterverkaufsmodelle zu verlassen, ermöglicht das D2C-Modell den Marken, die Verantwortung für die Customer Journey – und damit für ihre Marke – selbst zu übernehmen. Das ermöglicht einen Schwerpunkt auf die Bereitstellung personalisierter Produkte und digitaler Erlebnisse für Endverbraucher:innen.
Auch in der Automobilbranche ist der D2C-Trend angekommen und Autohäuser haben erkannt, dass ihr Einfluss bei der Steuerung des Verkaufs von Neufahrzeugen schwächer wird. Nach Angaben des Automobil-Berichts 2021 ist nur rund ein Viertel der Fahrzeugbesitzer der Ansicht, dass ihr Autohaus ihre individuellen Bedürfnisse kennt. Es überrascht nicht, dass mehr als 50 Prozent der Autokäufer:innen das Produkt vor dem Kauf ausprobieren möchten – und zugleich Zugang zu umfassenden Produktinformationen haben wollen.
Anders ausgedrückt: Autokäufer erwarten ein digitales Einkaufserlebnis zum Beginn des Kaufprozesses, wenn sie sich über Fahrzeuge informieren. Bei der Probefahrt wollen sie dann nahtlos in die Offline-Welt eintauchen. Und schließlich möchten sie die Wahl haben, ob sie den Kauf digital oder vor Ort tätigen.
Das Aufkommen von Elektrofahrzeugen stellt in diesem Kontext ein weiteres Problem für das Überleben der traditionellen Autohäuser dar. In der Regel erwirtschaften die Autohäuser etwa 50 Prozent ihrer Bruttomarge mit der Betreuung der Kunden nach dem Kauf und nur etwa 10 Prozent mit dem Verkauf von Neufahrzeugen. McKinsey prognostiziert einen Rückgang der Ausgaben für Ersatzteile bei Elektrofahrzeugen um 40 Prozent im Vergleich zu Fahrzeugen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren. Bei den Serviceleistungen dürfte dieser Rückgang sogar noch höher ausfallen.
Auch wenn der Übergang zu Elektrofahrzeugen graduell erfolgen wird und der größte Teil der Serviceverkäufe bis weit über das Jahr 2030 hinaus auf Verbrennungsmotoren entfallen wird, wird der Wandel kommen und es ist wichtig, sich darauf vorzubereiten. Derzeit ist der Ersatzteilemarkt für Produkte und Dienstleistungen sehr wettbewerbsintensiv. Es gibt viele unabhängige Drittanbieter und es wird für den Rest des Jahrzehnts ein solides jährliches Wachstum im zweistelligen Bereich erwartet.
Für Autohersteller ist es sinnvoll, ihre Originalteile über so viele Kanäle wie möglich zu vertreiben, um ihren Marktanteil zu maximieren. Daher sind D2C-Kanäle auf dem Ersatzteilemarkt eine weitere Option, um zusätzliche Einnahmen zu erzielen und engere Beziehungen zu den Kund:innen aufzubauen.
Neue Marktteilnehmer, insbesondere reine Elektrofahrzeughersteller, profitieren bereits heute von den Margengewinnen, die D2C-Geschäftsmodelle ermöglichen. Anstatt sich auf traditionelle Einzelhandels- und Weiterverkaufsmodelle zu verlassen, schalten diese Autohersteller den Zwischenhandel aus und konzentrieren sich auf die Entwicklung eines einfachen, kohärenten Einkaufserlebnisses für ihre Kund:innen.
In den letzten Jahren haben auch einige etablierte Premium-Automarken D2C für ihre Elektrofahrzeuglinie eingesetzt, während manche Hersteller es für andere Teile ihres Geschäfts wie Merchandise-Produkte einführen.
Nichtsdestotrotz sind Kund:innen mit den digitalen Einkaufserlebnissen in der Automobilindustrie weit weniger zufrieden als in jeder anderen Branche. Obwohl Autohersteller den Autokauf mit Konfiguratoren zum Selbstgestalten, Möglichkeiten zum Auffinden von Bestandsprodukten, digitalen Probefahrten und kontaktloser Fahrzeugauslieferung verbessert haben, fragen sich viele Verbraucher:innen: Geht das nicht besser? Das liegt in erster Linie an mangelnder Preistransparenz und fehlenden Gestaltungsmöglichkeiten beim Kaufprozess, aber auch an in sich unstimmigen Abläufen rund um den Autokauf.
Der Direktvertrieb muss reibungslos funktionieren und die Produkte müssen so geliefert werden, wie die Käufer:innen sie brauchen.
Aber bei D2C geht es nicht nur darum, ein verbessertes, personalisiertes und unkompliziertes Einkaufserlebnis zu bieten. D2C gibt Marken darüber hinaus einen vollständigen Einblick in die verschiedenen Phasen der Customer Journey. Das ermöglicht es Herstellern zu verstehen, wer ihre Kund:innen sind und wonach sie suchen.
Daten sind entscheidend für die Bindung von Kund:innen. D2C ermöglicht es Herstellern, relevante Marktinformationen über die Bedürfnisse der Verbrauchern selbst zu sammeln und so bessere Autos zu entwickeln. Das beinhaltet die Analyse einer Vielzahl von Daten, darunter:
Die Automobilhersteller haben jetzt die historisch einmalige Chance, die Kund:innen über digitale Plattformen direkt zu erreichen. Aber diese Plattformen müssen durchdacht gestaltet sein und gut gewartet werden, um den Kund:innen ein hohes Maß an personalisierten Angeboten und Komfort beim Online-Einkauf zu bieten.
Je mehr Automobilhersteller über ihre Kund:innen erfahren, desto individueller und personalisierter kann ihr Angebot werden. Das führt zu einem besseren Erlebnis für Kund:innen und höheren Umsätzen. Dank einer ohnehin schon engen Bindung an ihre Kund:innen, die jede Woche viele Stunden mit ihren Produkten verbringen, hat die Automobilindustrie die perfekten Voraussetzungen, ein echter Pionier zu werden, wenn es um personalisierte Erlebnisse geht.
Es gibt fünf Möglichkeiten, D2C in der Automobilbranche umzusetzen.
Der Weg zu D2C wird für Automarken aufgrund einer Vielzahl von branchenspezifischen Vorschriften schwierig werden. Franchise- und Einzelhandelsgesetze sowie Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre der Verbraucher:innen müssen sorgfältig geprüft werden. Das alles wird eine entscheidende Rolle bei der Planung der Zukunftsstrategie der Automobilhersteller spielen. Tesla hat gezeigt, wie man einige der Probleme umgehen kann, aber für etablierte Automarken mit bestehenden Händler-Netzwerken wird die Umsetzung von E-Commerce mehr Fingerspitzengefühl erfordern.
Unabhängig davon, für welchen Ansatz sich die Automobilhersteller entscheiden, ist der Wechsel zu einem D2C-Vertriebsmodell unvermeidlich, da die Verbraucher:innen mehr Komfort und Flexibilität verlangen. In einigen Jahren wird der digitale Autokauf gängige Praxis sein. Mit neuen D2C-Vertriebsmodellen und digitalen Tools können die Automobilhersteller selbst „im Fahrersitz sitzen“ und sicherzustellen, dass sie nicht den Anschluss verlieren.
Denny Pezic
Global Vertical Lead, Automotive & Mobility bei Valtech
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