Drei von vier europäischen Versicherungsunternehmen erwarten, dass das Zusammenwirken geopolitischer Spannungen, hoher Inflationsraten und steigender Rezessionserwartungen den digitalen Wandel ihrer Branche forcieren wird. Dies führe zu einem deutlichen Ausbau der bereits laufenden Automatisierungsprogramme und einer verstärkten Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern. So die zentralen Ergebnisse des „Pulse Check – State of European Insurance Industry 2022“, einer Expertenbefragung des Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Information Services Group (ISG) unter 200 Business-Entscheidern und IT-Experten der europäischen Versicherungswirtschaft durchgeführt hat.
Wie stark der Handlungsdruck aus Sicht der Versicherungsunternehmen wächst, zeigt ein genauerer Blick auf die betriebswirtschaftlichen Folgen der oben genannten Krisen. Für eine Mehrheit der Befragten wächst die Wahrscheinlichkeit, dass es sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr zu einem merklichen Rückgang der Prämieneinnahmen kommen könnte. Parallel dazu wird ein weiterer Anstieg der betrieblichen Ausgaben erwartet. Haupttreiber sind die inflationsbedingt steigenden Güter- und Dienstleistungspreise, die vor allem die Schadensregulierung belasten werden. Zudem erschwert das stark gestiegene Zinsniveau die Refinanzierung. Als weitere Risikofaktoren gelten die zunehmende Volatilität an den Finanzmärkten, der starke Anstieg der Cyberbedrohungen und die sich zuspitzende Klimakrise.
„Mehr noch als in den Pandemiejahren wird es deshalb eine der zentralen Aufgaben sein, die Ertragsleistung zu erhalten und nach Möglichkeit weiter auszubauen“, sagt ISG-Partnerin Anna Medkouri. Vor diesem Hintergrund gehen 94 Prozent der Befragten davon aus, dass die Gewinnung von Neukunden zu den drängendsten unternehmerischen Prioritäten der kommenden beiden Jahre zählt. Ähnlich hohe Bedeutung messen die Befragten dem Thema Bestandskundenbindung bei. Dementsprechend forcieren die Unternehmen die Entwicklung digital ausgerichteter Geschäftsmodelle und erhöhen den Einsatz von Technologien, die zu einem besseren Kundenerlebnis und zu einer geringeren Kostenquote führen.
Zwei von drei Befragten messen dem Thema Kostensenkung ebenfalls eine hohe Priorität bei. In einer geringeren Kostenquote sehen sie eine der zentralen Voraussetzungen dafür, Bestandskunden besser binden und die Ertragslage ihrer Unternehmen zumindest halten zu können. Denn: Vor dem Hintergrund der sich weiter eintrübenden Konjunktur wächst die Bereitschaft der Kunden, auf Policen zu wechseln, die zwar nur eine Grundversorgung bieten, dafür aber wesentlich preisgünstiger sind.
Der Trend zu einer höheren Preissensibilität wird dazu führen, dass Versicherungsunternehmen ihre Preispolitik, ihr Produktangebot und ihr prozessuales Vorgehen noch einmal grundlegend überdenken müssen. Als mögliche Wege zur Kostensenkung werden zum Beispiel Verbesserungen im Underwriting, eine hochpersonalisierte Risikobewertung und ein aktiveres Bestandsmanagement diskutiert.
Ein wichtiger Hebel zur Kostenreduktion ist die Konsolidierung der eingebundenen Dienstleister: Sechs von zehn Unternehmen geben an, ihre bereits laufenden Konsolidierungsprogramme weiter ausbauen zu wollen. Der eigentliche Umfang des Outsourcing-Volumens bleibt davon unberührt. Tatsächlich plant die Mehrheit der befragten Unternehmen sogar eine Ausweitung: Drei Viertel stellen in Aussicht, weitere Geschäftsprozesse auszulagern, um agiler zu werden und Kosten zu senken. „Längst haben die Überlegungen zur Auslagerung sogar schon die primären Geschäftsprozesse erreicht“, erläutert Anna Medkouri. Als Beispiele nennt sie die das Underwriting, die Schadensregulierung und Third-Party-Administration-Vereinbarungen.
Was aber bedeutet all dies für die Investitionspläne der kommenden beiden Jahre? Ganz oben auf der Agenda der Unternehmen steht die weitere Automatisierung der Geschäftsprozesse. 95 Prozent der Befragten erachten den Ausbau ihrer bisherigen Roadmaps für dringlich. Vorrangiges Ziel ist es, die Prozesskosten zu senken und die Qualität der Kundenerfahrungen zu verbessern.
Demgegenüber gilt das Metaversum bis auf Weiteres als Experimentierfeld. Zwar haben vier von fünf Versicherern konkrete Pläne, das Web 3.0 in ihrer Wertschöpfung zu nutzen. Doch konzentriert sich die Mehrzahl der Unternehmen auf eher kleinere Projekte. Weitere 30 Prozent berichten über mittelgroße Vorhaben.
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