Im EU Green Deal heißt es: „Digitale Technologien sind ein entscheidender Faktor für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele“, denn niemand wird sich freiwillig zu einem nachhaltigeren Lebensstil bewegen lassen, wenn dies zu einem geringeren persönlichen Lebensstandard führt. Zudem muss insbesondere den Schwellenländern in Zukunft ein hoher Lebensstandard ermöglicht werden, ohne dass die Umweltauswirkungen dem Erreichen der globalen Ziele entgegenstehen.
Es braucht also innovative und nachhaltige Lösungen, die die Umweltauswirkungen minimieren und einen hohen Lebensstandard für alle ermöglichen. Digitale Technologien haben laut World Economic Forum das Potenzial, die globalen Emissionen um 15 Prozent zu reduzieren. Außerdem lässt sich der bisher eingetretene Klimawandel mit den heute verfügbaren Technologien nicht einfach rückgängig machen.
Green Tech beschreibt die Entwicklung und Verwendung umweltfreundlicher Produkte und Verfahren, die die negativen Auswirkungen auf die Umwelt verringern. Es zielt darauf ab, natürliche Ressourcen zu erhalten, Umweltverschmutzung und Abfälle zu reduzieren und den CO2-Fußabdruck von Produkten und Dienstleistungen zu minimieren.
Technologie kann überall dort zu mehr Nachhaltigkeit beitragen, wo Vernetzung, Transparenz und Dematerialisierung die Umweltbelastungen reduzieren können. Dabei geht es um weit mehr als nur CO2-Emissionen. Um allerdings zu verstehen, wo die größten Potenziale liegen, hilft dennoch ein Blick auf die CO2-Emissionen einzelner Sektoren. Die unterschiedlichen Nachhaltigkeitsdimensionen hängen eng zusammen und eine Reduktion der Emissionen hat direkte Auswirkungen etwas auf die Biodiversität oder die Verfügbarkeit fruchtbarer Böden. Wo entstehen also die Emissionen?
Die leichte Verfügbarkeit von günstiger Energie ist, worauf das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte fußt. Davon werden rund 23 Prozent im Gebäudesektor verbraucht. Hier können Technologien – etwa in Form von cyber-physischen Systemen mit Sensoren und Aktoren – durch intelligentes Energiemanagement den Verbrauch reduzieren. Weitere 22 Prozent des Energiebedarfs entsteht im Transportwesen. Hier können digitale Technologien etwa durch die optimale Planung von Routen und der Vermeidung von Leerfahrten zur Minimierung des Energieverbrauchs beitragen. Der Elefant im Raum sind natürlich die erneuerbaren Energien. Neben der physischen Infrastruktur benötigt es dabei insbesondere auch digitale Lösungen, um Anlagen bei der Planung ressourcenschonend zu simulieren und während des Betriebs in Smart Grids die Netzstabilität sicherzustellen.
In der Agrar, Forst und Landnutzung können digitale Technologien insbesondere im Umwelt-Monitoring dazu betragen, mehr Transparenz zu schaffen, um negativen Entwicklungen frühzeitig entgegenzuwirken. Ohne Satelliten und entsprechender Software wüssten wir heute nicht, wie viel CO2 wir tatsächlich emittieren. Außerdem können wir mit verwandten Techniken Forste oder die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen überwachen und etwa die Entwaldung durch Brände mittels Frühwarnsysteme einschränken. Aber nicht nur Emissionen können in der Landwirtschaft eingespart werden. Durch die bedarfsgerechte Ausbringung von Dünger mit Hilfe von KI kann etwa auch die Übersäuerung der Böden reduziert werden, was wiederum positive Auswirkungen auf den Zugang zu Frischwasser und die Biodiversität hat.
Was nicht für Energie im Bereich Bauen und Wohnen anfällt, entsteht im Bau. Hier kann beispielsweise KI dazu beitragen, die Emissionen in der Zementproduktion deutlich zu senken. Da die verarbeiteten Rohstoffe Naturprodukte sind, schwanken qualitätsrelevante Parameter und können nur auf Basis der Erfahrung qualifizierter Mitarbeitender beurteilt werden. Technologie ermöglicht hier eine kontinuierliche Analyse der qualitätsrelevanten Daten. Mit maschinellem Lernen können so etwa kontinuierlich Zielwerte zur Optimierung der aktuellen Zementproduktion erfasst und berücksichtigt werden. Das Berliner Start-up Alchemy schafft damit eine Reduktion des Footprint von Zement um bis zu 50 Prozent.
In diesem Bereich ließe sich mutmaßlich sogar argumentieren, dass eine anteilige Erhöhung der Emissionen anzustreben ist. Wir müssen besser im Dreiklang aus „Reduce, Reuse, Recycle“ werden. Wenn das die Aufwendung von etwas mehr Energie bedeuten solle, ließe sich damit dennoch viel gewinnen. Zehn Prozent der deutschen Unternehmen entsorgen alte IT-Hardware einfach im Restmüll und Elektroschrott. Das ist der am schnellsten wachsende Abfallstrom weltweit. Wenn wir es schaffen, mehr Ressourcen dem Stoffkreislauf wieder zuzuführen – wie es etwa Apple mit dem Roboter Daisy macht – können wir dadurch Emissionen am Anfang der Wertkette reduzieren. Dazu benötigen wir vor allem neue technologische Verfahren, die es möglich machen, mit einem hohen Automatisierungsgrad wertvolle Ressourcen aus Abfällen statt aus Gesteinsschichten zu extrahieren.
Europa hat bereits jetzt die höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die meisten Patente und die meisten Start-ups im Green-Tech-Sektor. Unternehmen, die nicht nur selbst nachhaltiger werden, sondern aktiv zur Erreichung der Klimaziele betragen möchten, winken hohe Umsatzpotenziale. Wer es schafft, bestehende Kernkompetenzen für die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen einzusetzen, die für mehr Nachhaltigkeit in der Welt sorgen, erschließt damit neue Geschäftsmodelle und grenzt sich von Mitbewerbern ab, um nicht selbst disruptiert zu werden. Der Gründer und CEO von BlackRock, Larry Fink, schrieb dazu letztes Jahr: „Die nächsten tausend Unicorns werden keine Suchmaschinen oder Social-Media-Unternehmen sein, sondern nachhaltige, skalierbare Innovatoren, die der Welt bei der Dekarbonisierung helfen und die Energiewende für alle Verbrauchenden bezahlbar machen.“
Nicht jede Technologie mit einem grünen Label ist auch wirklich nachhaltiger. Würde heute auf einen Schlag jedes Auto mit konventionellem Antrieb durch ein selbstfahrendes Elektroauto ersetzt, würde allein der Stromverbrauch der Bordcomputer die weltweiten CO2-Emissionen um drei Prozent erhöhen. Unberücksichtigt bleibt dabei die Energie zum Antrieb der Fahrzeuge, die benötigten Ressourcen für die Herstellung sowie die Entsorgung von Altfahrzeugen. Auch die oft zitierte Ablösung von Briefen durch E-Mails mag zwar – auf die einzelne Einheit bezogen – nachhaltiger sein, wenn aber die Friktion für werbliche Kommunikation abnimmt und Unternehmen fünf Mal so viele E-Mails wie vorher Briefe senden, ist damit niemandem geholfen. Neue Technologie per se sind also nicht die Lösung. Worum es bei Green Tech geht, sind radikal neue Ansätze und nicht „nur“ altes auf eine etwas nachhaltigere Weise zu bauen. Denn was wir nicht brauchen, ist mehr Technologie, die im Kern unsere Umwelt nur noch mehr belastet.
Hier unberücksichtigt, aber mindestens genauso wichtig, sind der Abbau bisher verursachter negativer Umweltauswirkungen und der Aufbau von Resilienz gegen den Klimawandel, dessen Auswirkungen wir auch heute schon nicht vollständig abwenden können. Zudem müssen Unternehmen, die mit Green Tech positionieren, bereit sein, sich auf neue Herausforderungen und Märkte einzulassen. Wir werden die Klimaziele nicht allein mit Software erreichen, wer also Berührungsängste mit Lösungsansätzen hat, die Hardwarekomponenten beinhalten, wird hier Schwierigkeiten bekommen. Ein so reales und physikalisches Problem lässt sich nur durch die Kombination von Hard- und Software lösen. Es ist wichtig, dass jedes Unternehmen seine Optionen im Bereich Green Tech überprüft und dass insbesondere Technologinnen und Technologen ihrer Verantwortung nachkommen, die Welt nachhaltiger zu machen, denn ohne sie wird es nicht funktionieren.
Yelle Lieder
ist Informatiker und bei adesso als Consultant für Technologie und Nachhaltigkeit tätig. Er unterstützt Kunden bei der Erreichung ihrer Nachhaltigkeitsziele in den Bereichen Nachhaltigkeitsdaten, nachhaltige Prozesse und Systeme sowie Nachhaltigkeitsinnovationen.
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