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Intelligente Buchhaltung für den Rechnungsprozess

Automatisierung ist in aller Munde. Fast jedes Unternehmen will seine Geschäftsprozesse ein Stück weit automatisieren. Doch in vielen Unternehmen scheitert die Automatisierung bereits in der Finanzbuchhaltung. Noch immer läuft hier vieles händisch.  So gehen in vielen Unternehmen noch immer tausende Rechnungen per Post ein. Die gesetzeskonforme Bearbeitung und Buchung der Lieferantenrechnungen ist daher sehr kostenintensiv. Deren Bearbeitung dauert laut Studien durchschnittlich mehr als eine Woche – bei internen Kosten pro Rechnung von knapp 20 Euro.

Es geht auch schneller und günstiger. Mit Hilfe von KI. Dabei müssen die Unternehmen nicht auf ChatGPT setzen. Längst gibt es Software-Anbieter, die Machine Learning einsetzen, um Buchhaltung weitgehend zu automatisieren. Das 2015 gegründete Berliner Start-up Candis bietet kleinen und mittleren Unternehmen eine Software in der Cloud an, mit denen sich Finanzprozesse wie Rechnungseingang, Dateneingabe, Rechnungsfreigabe oder Datenexport weitgehend automatisieren lassen. Wir haben beim Candis-Gründer und CEO Christian Ritosek nachgefragt.

Herr Ritosek, die meisten Unternehmen nutzen seit Jahren ERP-Lösungen. Sind Buchhaltungsprozesse nicht Teil dieser Systeme?
Christian Ritosek: Ein Buchhaltungssystem haben auch die kleinen Unternehmen und größere auch ein ERP-System. Aber die Prozesse davor werden nach wie vor sehr manuell durchgeführt, also vom Rechnungseingang bis hin zur Bezahlung. Das heißt, es muss immer jemand Rechnungen zusammensuchen, Rechnungsdaten erfassen, Freigabeprozesse anstoßen, irgendwelche Zahlungslisten pflegen. Als ich die Firma gegründet habe, war ich erstaunt, dass die meisten Finanzprozesse immer noch sehr manuell ablaufen. Wir nennen das bei uns „Desaster-Dreieck“, da Unternehmen immer noch Excel, E-Mail und sogar Unterschriftenmappen nutzen, um die Buchhaltungsprozesse zu erledigen.

Warum ist es den noch so? Buchhaltungssoftware ist doch ein uraltes Thema.
Es wird inzwischen besser. Als wir angefangen haben 2015 waren 80 Prozent aller Rechnungen noch Papierrechnungen. Das heißt, sie mussten wirklich eingetippt werden. Jetzt werden diese Papierrechnungen durch PDF-Rechnungen ersetzt und kommen immerhin schon digital an. Damit liegen also digitale Daten vor, die dann durch Software erledigt werden können. Vorher hätte unsere Software zum Beispiel nicht in der Qualität wie heute funktioniert, weil die Datengrundlage aus der Rechnungserfassung viel zu schlecht gewesen wäre, um Systeme anzutrainieren.

Was heißt trainieren? Kommt hier die KI ins Spiel?
Wir nutzen drei Datenformate. Erstens Finanzdokumente wie Rechnungen, Mahnungen oder Verträge. Zweitens Kontakte, zum Beispiel Lieferanten und drittens Transaktionsdaten wie Bankverbindungen. Da diese Daten mittlerweile in Echtzeit vorliegen, ist die Grundlage geschaffen für KI. Allerdings sind dies meist unstrukturierte Daten, in einer Vielzahl von Datenfeldern, die ausgelesen werden müssen. Auch wenn die meisten Dokumente inzwischen als natives PDF vorliegen, gibt es verschiedene Sprachen und Layouts. Wir sind als weit weg von einheitlichen Standards für Rechnungen. Und diese Daten vorzubereiten, ist erst mal eine Grundvoraussetzung und eine Herausforderung. Die KI muss quasi in der Rechnung finden, in welchem Feld der Lieferant steht? Die KI muss dies aus den Daten erkennen, die wir von der OCR bekommen. Die reichern wir durch Machine Learning an, um dann ein besseres Kontakt-Matching zu ermöglichen.

Zum besseren Verständnis ein Beispiel. Es kommt eine Rechnung von Amazon Web Services an. Dann lernt das System, dass Amazon Web Services auch AWS sein kann und sortiert dann die Rechnung zu dem Lieferanten AWS?
Und lernt damit den Kontakt. Die Software ist also letztendlich verantwortlich für eine bessere Auslesung der Dokumentendaten. Eine normale OCR erkennt etwa 80 Prozent der Dokumentendaten. Dank Machine Learning erreicht unsere Software eine Erkennungsrate von mindestens 99 Prozent. Das verbessert das Kontaktmanagement, da dieselben Kontakte aus verschiedenen Dokumenten nahezu 100 Prozent korrekt gematcht werden. Zum Beispiel ist es wichtig, wenn es eine Rechnung sowie eine Mahnung vom selben Kontakt gibt. Eine OCR würde hier häufiger die beiden Dokumente zwei unterschiedlichen Lieferanten zuordnen. Das muss dann manuell korrigiert werden. Und schließlich lernt unsere Software, welchem Buchungskonto eine Rechnung zugeordnet werden muss.

Das bedeutet, die Buchhaltung kann sich auf Fehlerkontrolle konzentrieren oder auf Fälle, die selbst die Software nicht hinbekommt. Lässt sich die Maschine mit diesen Fällen füttern, um noch besser zu werden?
Die Daten aus der manuellen Nachbearbeitung fließen wieder ein. Das sehen wir bei unseren Kunden. Wenn sie bei Null anfangen, erkennt die Software nach einem Monat 60 Prozent, im zweiten Monat schon 80 Prozent der Daten richtig, bis sie schließlich nahezu perfekt die Daten erkennt.

Gibt es konkrete Zahlen von Kunden, die die Software nutzen. Brauchen sie weniger Leute in der Buchhaltung?
Wir haben jetzt noch keinen Fall, wo ein Unternehmen radikal eine Buchhaltung reduziert hat, weil die Buchhaltung schon immer knapp besetzt war. Die Menschen, die in der Buchhaltung arbeiten, bestätigen uns aber, dass ihre Arbeit nicht mehr nur aus Dokumentenauslesung und Fehlerbereinigung besteht. Sie freuen sich über höherwertige Aufgaben.

Und aus unternehmerischer Sicht. Wie viel lässt sich tatsächlich einsparen?
Unsere Kunden bestätigen uns Verbesserungen in drei Bereichen: Durchlaufzeiten, Kosten und Fehlerquoten. Die Zeit vom Rechnungseingang bis hin zur Verbuchung und Bezahlung dauert klassisch im Schnitt 12 Tage, weil Rechnungen zum Beispiel irgendwo in der Freigabeschleife hängen. Mit Candis dauert der Rechnungslauf weniger als drei Tage. So lässt sich zum Beispiel der Monatsabschluss deutlich schneller machen.

Auch bei den Kosten hängt viel von Durchlaufgeschwindigkeit ab. Die Rechnungsbearbeitung verkürzt sich, weil sie nicht mehr so lange irgendwo im Unternehmen umherschwirrt, bis sie von der richtigen Person freigegeben wird. Unsere Software erkennt, an wen eine Rechnung zur Abzeichnung gehen muss, was innerhalb von Sekunden passieren kann. Es lässt sich auf definieren, bis zu welchem Rechnungsbetrag die Rechnung automatisch freigegeben wird. Das heißt, man spart Zeit und entsprechende Kosten, da sich keiner mehr die Rechnung anschauen muss.

Und das dritte sind die Fehlerquoten, die sich von 3 auf unter 1 Prozent verringern.

Das Thema Skonti wird wahrscheinlich auch besser?
Eine OCR erkennt Skonti in nur sehr wenigen Fällen. Unsere Software weiß, dass der Lieferant hinter der Rechnung in 99,5 Prozent aller Fälle ein Skonto anbietet. Dann bekommt der Buchhalter eine Nachricht. Und nach ein paar Rechnungen dieses Lieferanten, weiß dann das System, dass es ein Skontofeld auf der Rechnung gibt und liest es aus.

Das System erkennt auch Betrug. Bekommt ein Unternehmen von einem bekannten Lieferanten eine bestimmte Rechnung, die aber eine falsche IBAN enthält, dann filtert Software diese Rechnung raus und die Buchhaltung kann dem Fall nachgehen.

Ihre Lösung sollte idealerweise nicht isoliert dastehen, sondern Schnittstellen zu anderen Programmen haben.
Wir setzen ganz stark auf Schnittstellen und haben Partnerschaften zu allen möglichen Buchhaltungs- und ERP-Tools, zum Beispiel zur DATEV, die uns auf ihrem Marktplatz gelistet hat und sogar mit vertreibt.

Weil sie besonders den Mittelstand adressieren. Sie bieten die Lösung aus der Cloud an. Wo wird die Cloud betrieben? In Deutschland?
Wir hosten nur in Deutschland, da das unsere Kunden auch so wollen. Wir sind bei AWS in einem Rechenzentrum hier in Deutschland, weil wir dort auch die Datensicherheit gewährleistet bekommen, die wir fordern. Der Zugang für die Kunden läuft nur über eine Zwei-Faktor-Authentifizierung und alle Daten werden verschlüsselt auf unseren Servern in der AWS-Cloud abgelegt. Wir führen weiterhin regelmäßig Penetrationstests durch, um zu schauen, ob es Schwachstellen gibt, die Hacker nutzen könnten. Aller personenbezogenen Daten werden gemäß der DSGVO verarbeitet. Wir arbeiten zudem mit einer Datenschutzagentur zusammen und können datenschutzspezifische Fragen von Kunden innerhalb von 24 bis 72 Stunden beantworten.

Christian Ritosek

ist Co-Founder und CEO von Candis. Das 2015 gegründete Berliner Startup hat im Herbst 2002 in einer Finanzierungsrunde 15,9 Millionen Euro eingesammelt.

Lesen Sie auch : KI-Bluff bei AIOps erkennen
Roger Homrich

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