Seit Jahren schon wollen Banken ihre kritischen Kernsysteme ablösen, da die oft auf Mainframe-Architekturen basierenden Anwendungen unflexibel sind und sich nur schlecht anpassen lassen. Dadurch bremsen sie die Digitale Transformation der Unternehmen aus und behindern unter anderem die Automatisierung von internen Abläufen oder die Einführung moderner Produkte und Services.
Dazu kommt, dass heute oftmals kaum noch jemand weiß, wie die in Programmiersprachen aus der Anfangszeit der Computerentwicklung geschriebenen Applikationen überhaupt funktionieren. Deren einstige Entwickler haben sich mehrheitlich in den Ruhestand verabschiedet und neue Entwickler lockt man mit der Aussicht auf mehrere Millionen Zeilen Cobol- oder PL/I-Code schwerlich an.
Dennoch laufen die IT-Altlasten vielerorts einfach weiter, weil ein Austausch extrem aufwändig wäre und den Geschäftsbetrieb gefährden könnte. Damit fallen die klassischen Universalbanken weiter hinter Fintechs und neue Player aus anderen Branchen zurück. Zwar treiben sie ihre Digitalisierung durchaus voran, doch weil sie sich nicht an die Kernsysteme herantrauen, bleibt vieles Stückwerk. Ein neues Portal hier, eine neue Datenauswertung da, dazu eine Reihe von Robotern oder Bots, um einzelne Workflows zu automatisieren. Es entsteht ein Sammelsurium aus Tools und Plattformen, die selten perfekt zueinander passen und in der IT-Abteilung einen enormen Aufwand verursachen. Und die Daten in neue Silos einsperren und Prozesse nicht Ende zu Ende digitalisieren. Das führt dazu, dass Kunden manche Dokumente nach wie vor nur auf Papier einreichen können und Mitarbeiter weiterhin Daten aus verschiedenen Systemen zusammensuchen oder manuell übertragen müssen.
Klar ist, im Hauruckverfahren funktioniert der Austausch der Legacy-Systeme nicht. Sie lassen sich aber schrittweise kapseln und, sobald die Geschäftslogik herausgelöst ist, nur noch als Datenspeicher verwenden. Dann können Banken sie mittelfristig ohne großes Risiko ersetzen. Am besten klappt das mit einem Center-out-Ansatz, bei dem die Regeln und Logiken der Legacy-Systeme schrittweise – also Prozess für Prozess und Microjourney für Microjourney – in einer Middleware abgebildet werden.
Dort können bestehende und neue Anwendungen jederzeit problemlos auf sie zugreifen und dort lässt sich die „Intelligenz“ auch an zentraler Stelle verwalten. Immerhin arbeiten viele Bots und Tools mit den gleichen oder ähnlichen Regelsätzen, weshalb es wenig sinnvoll ist, diese direkt in die Frontend-Systeme einzubauen und parallel zu pflegen. Eine zentrale Intelligenz ist damit auch die Basis für eine nahtlose Customer Experience, da Anwender problemlos den Kommunikationskanal wechseln und ihre Interaktionen fortsetzen können, ohne noch mal ganz von vorn anfangen zu müssen.
Die Middleware sollte auch ein Case Management mitbringen, um Daten, Regeln und Dokumente aus den unterschiedlichsten Systemen mit Workflows, Bots und Mitarbeitern zu digitalen Vorgängen zu verbinden und diese intelligent zu steuern. Wenn die Middleware irgendwann alle Prozesse orchestriert, die bislang über die kritischen Kernsysteme liefen, werden deren Logiken und Anwendungsoberflächen nicht mehr gebraucht. Die Systeme dienen nur noch als reine Datenlager, die den juristischen Bestand der Bank verwalten, und können als solche deutlich leichter als bisher ausgetauscht werden.
Bei der Einführung neuer Portale, Tools, Bots und Frontends sind Banken mit einer Middleware äußerst flexibel. Sie können sich im Rahmen einer Best-of-Breed-Strategie die am besten zu ihren individuellen Anforderungen passenden Einzellösungen herauspicken, die dank der intelligenten Zwischenschicht trotzdem optimal zusammenarbeiten. Oder sie entwickeln einzelne oder sogar alle Lösungen selbst – Low-Code-Plattformen machen das inzwischen unkompliziert, kostengünstig und risikoarm möglich. Ein Versicherungsunternehmen aus Österreich ersetzt beispielsweise gerade 70 Kernanwendungen durch Eigenentwicklungen auf der Pega-Plattform.
Zugleich hilft die Middleware, redundante Systeme auszumustern und IT-Infrastrukturen zu konsolidieren. Oft haben Banken etwa mehrere CRM-Systeme im Haus, weil Privat- und Geschäftskundenbereich in der Vergangenheit eigene Lösungen angeschafft haben. In solchen Fällen führen sie die Daten in der Middleware zusammen und stellen sie den Mitarbeitern über ein einheitliches Frontend bereit – individuell aufbereitet für den jeweiligen Anwendungsfall und mit hilfreichen Handlungsanweisungen versehen. Im Hintergrund erfolgt die Migration der Daten aus dem abzulösenden in das fortbestehende System, ohne dass die Anwender davon etwas mitbekommen.
In der Praxis hat sich ein Center-out-Ansatz für die Modernisierung von Geschäftsarchitekturen bereits bei Unternehmen der verschiedensten Branchen und Größen bewährt. Er macht die Unternehmen langfristig agiler und erleichtert neben der Einführung neuer Anwendungen auch Migrationen, Konsolidierungen und die Vereinheitlichung von Anwendungslandschaften nach Fusionen oder Übernahmen. Für Banken gibt es daher wenig Gründe, die so dringend notwendige Ablösung ihrer kritischen Kernsysteme noch weiter aufzuschieben. Also ran an den IT-Ballast und rein in die digitale Zukunft – die Zeit der Ausreden ist vorbei.
Michael Baldauf
ist Director Solutions Consulting EMEA Central, FSI & Nordics bei Pegasystems .
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