Ob online oder offline, mit Smartphone oder Korb – wo immer Kunden einkaufen, haben auch Daten ihren Preis. Wer beispielsweise Treuepunkte sammelt, der gibt für Prämien, Gutscheine und Rabatte nicht nur die Daten seines eigenen Warenkorbs weiter, sondern legt sein Einkaufsverhalten offen.
Wie oft shoppen wir Duschgel? Welche Marken bevorzugen wir? Und wie teuer darf es sein? Zusammenhänge wie diese zahlen sich für den Handel auch anderswo aus: Etwa wenn Grillwurst und Ketchup bei Sommerwetter die Kassen klingeln lassen, Algorithmen aus zurückliegenden Bestellungen Produktvorschläge errechnen oder Frauen zu Körperlotionen, Schokolade und Mineralientabletten greifen, wenn sie schwanger sind – bereits Anfang der 2000er Jahre war es dem US-Einzelhändler Target gelungen, werdende Mütter über 25 typische Waren datenbasiert zu erkennen.
550 Milliarden Euro: Wert der EU-Datenwirtschaft im Jahr 2025
Sortimente planen, Cross- und Upselling-Potenziale ausloten und sogar Beziehungen zu Kundinnen in besonderen Umständen managen – Daten spielen nicht nur im Handel eine zentrale Rolle. Überall setzen sie volkswirtschaftliche Hebel frei. Laut Berechnungen der Europäischen Union (EU) soll der Wert der Datenwirtschaft im Jahr 2025 auf mehr als 550 Milliarden Euro anwachsen, was 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aller Mitgliedsländer entspricht – im Jahr 2019 waren es noch 325 Milliarden Euro.
Was es braucht, damit der digitale Binnenmarkt auf dem Kontinent floriert: Zum einen das passende Regelwerk, um Daten souverän und geschützt zu verarbeiten. Und zum anderen die passende Infrastruktur, um Daten auf Basis europäischer Werte und Standards in industriellem Maßstab ökonomisch zu verwerten. Denn: „Data is the lifeblood of the economy and a driver of innovation”, schreibt die EU-Kommission online.
Pilotprojekte von TANGO loten Chancen der Datenökonomie aus
Regelwerk und Infrastruktur für ökonomische Innovation – genau dafür stellen Initiativen wie beispielsweise Gaia-X und die International Data Spaces Association einen technologischen und DS-GVO-konformen Rahmen bereit. Einen Rahmen, auf den auch die datenbasierten Anwendungen zulaufen, die das TANGO-Projekt jetzt entwickelt. Egal, ob für Fabriken, Krankenhäuser, Autos, Banken oder eben Händler – in fünf Pilotprojekten arbeiten 34 Partner aus 13 Ländern unter dem Titel “Digital Technologies ActiNg as a Gatekeeper to information and data flOws”, kurz TANGO, zusammen. Seit September 2022 lotet das Konsortium so Chancen der Datenökonomie aus. Das Ziel: Auf der Grundlage eines bürgerschaftsnahen und vertrauenswürdigen Konzepts soll eine Plattform entstehen, um Daten transparent, sicher, fair und ökologisch nachhaltig zu verwalten.
TANGO gleicht Interessen technologisch aus
Absatz steigern, Service verbessern und das Kundenerlebnis beim Einkauf datenbasiert optimieren – TANGO sucht zum Beispiel nach technologischen Wegen, um Interessen von Händlern und Kunden gleichermaßen auszugleichen. Denn von Sortiments- über Waren- bis hin zu Personendaten – Informationen sollen sich stets geschützt und selbstbestimmt austauschen lassen. Zum einen, damit Verbraucher:innen etwa die Kontrolle über ihre Adressen, Körpermaße und Markenvorlieben behalten. Und zum anderen, damit Supermärkte, Onlineshops und E-Commerce-Anbieter zugleich das Einkaufserlebnis immer weiter auf ihre Zielgruppen zuschneiden können – egal, ob persönliche Beratung im Geschäft oder individuell produzierte Sneaker samt algorithmischen Größenvorschlag beim Online-Schuhkauf. So setzt TANGO beispielsweise auf erklärbare Künstliche Intelligenz (KI): Explainable Artificial Intelligence, kurz XAI, macht maschinelle Entscheidungen transparent und nachvollziehbar. Nicht anders Federated Learning: Statt Daten tauschen Unternehmen bei TANGO KI-Modelle aus, die sie nur über ihre eigenen Daten angelernt haben.
Daten übergreifend teilen und volkswirtschaftliche Hebel freisetzen
Daten transparent, nachvollziehbar und vor allem gemeinsam zu verwerten, statt sie in Silos und Monopolen zu kultivieren: Gerade dann, wenn Unternehmen ihre Informationen mit anderen dezentral und verteilt verarbeiten, sind laut EU die größten volkswirtschaftlichen Hebel zu erwarten – und das branchenübergreifend. „The smart use of data can have a transformative effect on all sectors of the economy and can create new opportunities for economic growth, including for small and medium-sized enterprises”, schreibt die EU-Kommission auf ihrer Website.
Wer Daten teilt, der macht Leben und Arbeit nachhaltiger, erreicht mit weniger Ressourcen mehr und ebnet medizinischen Fortschritten den Weg. Beispiel Osteoporose: Beliebige CT-Scans von Knochen reichen aus, um über KI zu errechnen, wie wahrscheinlich es ist, selbst zu erkranken. Frühzeitig erkannt sind Vitamin-D und Kalzium genug, um europaweit Behandlungskosten in Milliardenhöhe einzusparen.
Gemeinschaftlich profitieren und kooperativ wirtschaften
Teilen als Grundlage, nicht nur, um Kosten zu sparen, sondern, Gewinne zu erzielen? Die koopetitiven Geschäftsmodelle der Datenökonomie laufen gelernten Wettbewerbsprinzipien entgegen. Dass sie dennoch funktionieren, zeigt ein Modell des London Mathematical Laboratory. Die Idee des sogenannten Kooperationsplus geht auf die Bauernfabel zurück. Sie beschreibt, wie Bäuer:innen gemeinschaftlich profitieren, wenn sie ihre Ernte kooperativ – statt nur für sich selbst – bewirtschaften. Die Fabel zeigt: Wenn jeder mehr aussähen kann, steigt der Ertrag für alle. Nicht anders in der Datenökonomie: Die Kraft vieler setzt größere Hebel für die Allgemeinheit frei, als die Kraft des Einzelnen.
Selbstbestimmt und souverän Daten austauschen
Eigeninteressen gemeinschaftlich erzielen – koopetitive Ansätze machen dezentrale und verteilte Architekturen zur Maxime. Ansätze, wie sie die Pilotprojekte von TANGO erproben. Und Architekturen, wie sie Gaia-X bereitstellt: Die offene und standardisierte Infrastruktur macht nicht Einzelne zu Gewinnern, sondern alle, die sich einbringen – angefangen etwa bei Unternehmen, die Daten bereitstellen und verwerten wollen über Provider, die trainierte Modelle als KI-Service monetarisieren möchten bis hin zu Bürger:innen, die souverän darüber entscheiden können, welche Daten sie zu welchem Zweck preisgeben – und zu welchem Zweck eben auch nicht: egal, ob KI-basierte Artikelempfehlung im E-Commerce oder Schwangerschaftsprognose im Supermarkt.