Vom Hype zur Praxis: KI in der Prozessorchestrierung

Für die Automatisierung und Orchestrierung von Geschäftsprozessen in Unternehmen gibt es einige KI-Anwendungsbeispiele, sagt Gastautor Jakob Freund von Camunda.

Ein aktueller Bericht von McKinsey schätzt, dass generative KI der Wirtschaft jährlich einen Wertzuwachs von 2,6 bis 4,4 Billionen Dollar bescheren könnte. Einige Stimmen sprechen inzwischen von einem der nächsten großen Sprünge der Technologiebranche mit Auswirkungen ähnlich der industriellen Revolution.

Auch in der Prozessorchestrierung sind die Potenziale durch KI groß. Dabei ist KI jedoch nicht gleich KI. Neben der generativen KI gibt es auch für prädiktive KI und erweiterte Intelligenz vielversprechende Ansätze, wobei unterschiedliche Modelle für unterschiedliche Anwendungsszenarien geeignet sind.

Generative KI

Laut Gartner befinden sich bei generativer KI bereits 70 Prozent der Unternehmen in einem Explorationsmodus. Und auch bei Camunda ist KI ein Thema in der Forschung und Entwicklung. In seiner einfachsten Form ist generative KI über eine API abrufbar, die mithilfe eines Connectors in einen Prozess integriert werden kann. So können innerhalb eines Prozesses mit Hilfe von ChatGPT Textinhalte erstellt und weiterverarbeitet werden – zum Beispiel für einen Slack-Bot.

Auch beim Gestalten des Prozesses in einem Process Modeling Tool kann generative KI helfen, beispielsweise um Vorschläge für ein Formular aus einer einfachen Texteingabe – einem sogenannten Prompt – zu erstellen. Ein weiterer Einsatz von generativer KI in der Prozessorchestrierung könnte die Erstellung von Testdaten sein, um Prozessmodelle auf korrekte Funktionalität zu testen. Analog zu Softwareentwicklern, die heute Tools wie GitHub Copilot nutzen, um das Coding zu beschleunigen, könnten Prozessmodellierende zukünftig generative KI-Tools für solche Zwecke hinzuziehen. Natürlich ersetzt das nicht die Expertise der Stakeholder – spart aber Zeit und Ressourcen in der Anfangsphase der Prozessmodellierung.

Prädiktive KI

Prädiktive KI, also die vorhersagende künstliche Intelligenz, mag aktuell nicht ganz so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie ihr generatives Gegenstück. Dennoch bietet sie beachtliche Anwendungsmöglichkeiten, insbesondere in Forecasting-Modellen. Diese werden häufig in Bereichen wie der Klimaforschung oder Business Intelligence eingesetzt und sind besonders gut darin, die Auswirkungen von Änderungen in komplexen Systemen zu prognostizieren. Auch Geschäftsprozesse sind komplexe Systeme, wie Zahlen aus einer Umfrage unterstreichen. Diese besagt, dass 72 Prozent der IT-Führungskräfte die Instandhaltung unternehmenskritischer Prozesse als immer komplexer empfinden. Da immer mehr Aufgaben automatisiert werden, um die Anforderungen der Kunden zu erfüllen, gaben 69 Prozent an, dass es schwieriger werde, End-to-End-Prozesse zu visualisieren.

Besonders im Bereich der Optimierung von Geschäftsprozessen kann prädiktive KI eine Schlüsselrolle spielen, um auf Basis der Laufzeitdaten Zusammenhänge zwischen Prozessmodell und Effizienz zu finden. Darüber hinaus kann prädiktive KI auch unscheinbare Muster in Daten erkennen. Ein illustratives Beispiel wäre ein Finanzdienstleister, der mit Hilfe eines umfangreichen Laufzeitdatenschatzes Muster aufdeckt, die auf Finanzbetrug hinweisen – ein deutliches Zeichen dafür, wie leistungsstark KI in solchen Kontexten sein kann. Diese Möglichkeiten zeigen, dass prädiktive KI in der Prozessorchestrierung ein wertvolles Werkzeug sein kann, das weit über den bloßen Hype hinausgeht.

Erweiterte Intelligenz

Erweiterte Intelligenz ist eine weitere spannende und bisher vielleicht am wenigsten beachtete Art von KI, die die menschliche Produktivität verbessern kann. Diese KI kann dazu beitragen, Entscheidungen zu beschleunigen, die normalerweise von einem Menschen getroffen worden wären, und so die Effizienz eines Prozesses steigern. Bei der Menge an Geschäftsentscheidungen, die täglich getroffen werden müssen, birgt das ein riesiges Potenzial. Untersuchungen von Bain zeigen eine 95-prozentige Korrelation zwischen der Effizienz von Entscheidungen von Führungskräften und der finanziellen Leistung eines Unternehmens.

Im Bereich der Automatisierung kann erweiterte Intelligenz dazu verwendet werden, einen Prozess aufzubauen, der sich selbst verbessert. So ein System könnte bei der Datenanalyse der Prozessausführung nicht nur eigenständig entscheiden, wie ein Prozess effizienter gestaltet werden kann, sondern diese Entscheidung zusätzlich noch mit minimaler oder gar keiner menschlichen Intervention umsetzen. Im Rahmen eines Automatisierungstests könnte erweiterte Intelligenz Testfälle für bestimmte Funktionstypen generieren, beispielsweise für das Ausfüllen von Formularen. Denkbar wäre hier das Generieren von Testdaten, mit denen simuliert wird, was durch das Ausfüllen des Formulars durch einen Menschen alles schief gehen könnte. Das System könnte dann lernen, Fehler automatisch zu korrigieren, um eine bessere Datenerfassung zu gewährleisten.

Fazit

In Kombination mit anderen Technologien und relevanten Datensätzen zur Prozessausführung können Unternehmen ihre Automatisierungsziele wesentlich effizienter und effektiver erreichen. Dabei ist es wichtig, sich nicht vom Hype um einzelne Ansätze und Modelle ablenken zu lassen, sondern offen zu sein für die Möglichkeiten. Wir stehen zwar noch am Anfang, um die volle Wirkung von KI in der Automatisierung zu entdecken, aber es gibt bereits jetzt viel Potenzial mit den heute verfügbaren Tools und Technologien große Effizienzsprünge zu erzielen.

 

Jakob Freund
 

ist CEO von Camunda.