Wenn wir nun den Blick darauf werfen, wie Unternehmen mit dem Hype um die generative KI und ChatGPT, OpenAI, Bing oder Bard umgehen, beobachte ich, dass sie oft von der aktuellen Begeisterung und Hysterie geradezu mitgerissen werden, ohne die technischen und operativen Herausforderungen und die damit verbundenen Risiken richtig einzuschätzen. Viele lassen sich voreilig davon anstecken und hinterfragen selten, wie diese neue Technologie effizient genutzt werden kann und welchen langfristigen Mehrwert sie tatsächlich bietet.
Inmitten dieses Hypes um generative KI sollten Unternehmen keine überhasteten und ressourcenintensiven Entscheidungen basierend auf reinem Konkurrenzdenken oder einer ‘Fear of missing out’ treffen. Stattdessen empfehle ich, zunächst vor allem einen kühlen Kopf zu bewahren und eine klare Strategie zu entwickeln. Es ist grundsätzlich wichtig, Trends und Prognosen kritisch zu hinterfragen, um auch langfristig betrachtet die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Eine fundierte Auseinandersetzung mit der Technologie und eine sorgfältige Bewertung des tatsächlichen Mehrwerts sind von entscheidender Bedeutung, um für das eigene Unternehmen die Essenz aus dem beschriebenen Hype um generative KI zu ziehen. Viele Unternehmen werden feststellen, dass traditionelle Lösungen wie maschinelles Lernen (ML) eher einen echten Mehrwert bieten als GenAI.
Wir arbeiten derzeit an der Entwicklung einer Vielzahl von Modellen, um ein breites Spektrum an ML- und generativen KI-Funktionen bieten zu können. Wir verfügen über ein zentrales Team mit Fachwissen in den Bereichen Datenwissenschaften und ML-Ingenieurwesen sowie über eine eigene Cloud-basierte ML-Plattform. Sie ermöglicht es uns, Modelle bereitzustellen und modernen MLOps-Best-Practices zu folgen. Gemeinsam mit unseren Fachleuten aus den Bereichen Operations, Commerce und Product entwickeln wir zum Beispiel Modelle, die uns dabei helfen, Betrugs- und Integritätsrisiken zu mindern, finanzielle Verluste zu vermeiden, die Kundenabwanderung zu reduzieren oder Zahlungen vorherzusagen. Trotz der vielversprechenden Möglichkeiten von generativer KI lassen sich die meisten Herausforderungen, mit denen Fintechs konfrontiert sind, immer noch am besten mit traditionellen ML-Modellen lösen. Wir führen auch generative KI-Funktionen ein, mit denen unseren Kunden unter anderem menschenähnliche Interaktionen im Kundenservice nutzen können.
Am Anfang hatten wir als kleineres Team Schwierigkeiten, die ML-Plattform selbstständig aufzubauen. Aus diesem Grund haben wir zunächst mit einer Beratungsfirma zusammengearbeitet, die uns bei der Umsetzung einer skalierbaren Plattform unterstützt hat. Jetzt können eigenständig voranschreiten und erweitern regelmäßig die Funktionalität der ML-Plattform, ohne auf externe Anbieter angewiesen zu sein.
Wir haben auch früh erkannt, dass das Potenzial von ML/KI nicht nur von einer modernen ML-Plattform und einem talentierten Team von Datenwissenschaftlern abhängt. Datenwissenschaftler entwickeln Modelle nicht im luftleeren Raum – sie müssen eng mit ihren Kollegen aus anderen Abteilungen zusammenarbeiten, die unschätzbare Fachkenntnisse und domänenspezifisches Datenwissen einbringen. Dies erfordert eine agile, strukturierte Arbeitsweise, die funktionsübergreifend ist und Produktmanager, Front- und Backend-Softwareingenieure und bei Bedarf weitere Beteiligte für den jeweiligen Geschäftszweck einschließt.
Ich würde Organisationen ermutigen, diese Herausforderung hinsichtlich der konkreten Arbeitsweise ernst zu nehmen, wenn sie, wie viele andere, Schwierigkeiten haben, ML-Projekte vom Proof of Concept bis zur Umsetzung in die Praxis zu bringen. Der Engpass bei der Implementierung ist nämlich möglicherweise nicht bei den technischen Aspekten verortet, sondern bei den organisatorischen.
Die meisten Fintechs haben mittlerweile zumindest in irgendeiner Form Machine Learning integriert, sei es durch Inhouse-Entwicklung von ML-Lösungen oder durch externe Anbieter. Wenn ein Fintech-Unternehmen skaliert, wird es immer mehr in ihrem Interesse liegen, solche Lösungen intern zu entwickeln, um ihr Risikoprofil vollständig kontrollieren zu können. Zusätzlich dazu wird ein eigenes Inhouse-Team aus Datenwissenschaftlern und ML-Ingenieuren eine Expertise entwickeln, die maßgeschneidert für die spezifischen Anforderungen des Unternehmens ist und in der Praxis nicht von einem externen Anbieter repliziert werden kann.
Unabhängig von der gewählten Vorgehensweise – also interner oder externer Anbieter oder eine Kombination aus beidem – können ML-Modelle erhebliche Vorteile für Fintech-Unternehmen bieten, insbesondere in den Bereichen Risikomanagement, einschließlich Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Betrugserkennung und Kundenerfahrung.
Wenn Fintechs in der Lage sind, Kunden, die wahrscheinlich abwandern werden, besser zu identifizieren, können sie Maßnahmen ergreifen, um den Kunden zu halten. Ebenso können Kunden, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Fluktuation gering ist, für ihre Treue belohnt werden.
Außerdem tragen Machine Learning-Modelle zu einer präziseren Betrugserkennung durch die Analyse großer Datenmengen und die Identifizierung von verdächtigen Mustern und Verhaltensweisen bei. Dies hilft Fintechs, betrügerische Aktivitäten frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen, um finanzielle Verluste zu minimieren.
Zudem hilft der Einsatz von ML-basierten Risikomodellen Kreditwürdigkeit, Kreditrisiken und Investitionschancen besser zu bewerten. Ein weiterer zentraler Punkt sind präzise Vorhersagen: Durch den Einsatz von Machine Learning Modellen sind Fintechs in der Lage, genaue Vorhersagen über zum Beispiel die Entwicklung der Finanzmärkte, Wechselkurse und damit verbundene Trends zu treffen.
Auch hier gibt es einige wichtige Punkte, die berücksichtigt werden sollten. Dazu zählt die Auswahl einer skalierbaren und benutzerfreundlichen Plattform, die den individuellen Ressourcen und dem zur Verfügung stehenden Budget des Unternehmens entspricht. Zudem ist es wichtig, die Qualität und Sicherheit der Daten sicherzustellen sowie erste konkrete Anwendungsfälle zu identifizieren, um den maximalen Mehrwert aus der ML-Plattform zu ziehen. Die Integration einer komplexen ML-Plattform stellt insbesondere für KMUs eine Herausforderung dar, da sie meist nicht über ein vollständiges Team von Datenwissenschaftlern und ML-Ingenieuren verfügen. In solchen Fällen ist die Zusammenarbeit mit einer IT-Beratungsagentur, vor allem zu Beginn des Prozesses, sinnvoll.
Hinsichtlich der bevorstehenden KI-Vorschriften im EU-Raum, insbesondere der Europäischen KI-Verordnung, wird der verantwortungsvolle Einsatz von KI-Technologien immer wichtiger. Unternehmen sollten von Anfang an die regulatorischen und ethischen Aspekte von KI berücksichtigen und diese nicht oberflächlich am Ende eines Modellentwicklungsprojekts hinzufügen. Sie müssen sicherstellen, dass sie Transparenz bieten, damit der Verbraucher weiß, wann er mit einem KI-System interagiert. Darüber hinaus sollten Herkunft, Funktionen und Speicherung von Daten sorgfältig geprüft werden. Es ist entscheidend, dass die Datenverarbeitung den geltenden Datenschutzrichtlinien, einschließlich der DSGVO, entspricht.
Da ML ein so leistungsfähiges Werkzeug für die Automatisierung von Geschäftsprozessen und die Entscheidungsfindung ist und GenAI sich hervorragend für menschenähnliche Interaktivität eignet, scheinen die zukünftigen Anwendungsfelder dieser Technologien nahezu grenzenlos. Mit der Erweiterung unserer Produktangebote bei Mollie (z.B. kürzlich mit Mollie Capital und PoS-Terminals) ergeben sich für uns neue Möglichkeiten, sowohl ML als auch generative KI zu nutzen, um finanzielle Risiken zu kontrollieren und effizient mit unseren Kunden zu interagieren. Insgesamt bieten vorgefertigte generative KI-Chatbots vielleicht das größte Potenzial – sie fungieren als Coaches, Schreib- und Programmierassistenten und steigern die Produktivität bei unserer täglichen Arbeit. Außerdem werden sie immer leistungsfähiger, da ihre Entwicklung rasch voranschreitet.
ist Lead Data Scientist bei Mollie.
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