Digitaler Produktpass: Digitaler Zwilling für transparente Lieferketten

Lieferketten werden immer komplexer und die Verbraucher verlangen nach Transparenz. Es reicht nicht mehr, lediglich Produkte hoher Qualität anzubieten, sondern auch deren Herkunft und Nachhaltigkeit nachvollziehbar darzustellen. Die Zeiten des blinden Vertrauens sind vorbei, der Ruf nach ethisch einwandfreien und umweltfreundlichen Produkten wird immer lauter.

Der Digitale Produktpass (DPP) kann Unternehmen dabei unterstützen, diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden. Der DPP ermöglicht es, umfassende Informationen über Produkte während ihres gesamten Lebenszyklus zu erfassen, zu speichern und zu verwalten. Als Digitaler Zwilling eines physischen Produkts enthält er Angaben zu Komponenten, Materialien und chemischen Substanzen oder auch Infos zu Reparaturmöglichkeiten, Ersatzteilen oder fachgerechter Entsorgung.

Der Digitale Produktpass bringt Vorteile für Firmen und Konsumenten (Bild: objective partner)

Der DPP versetzt Firmen in die Lage, gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um Produkte wiederaufzubereiten, zu reparieren oder zu recyceln und somit ihren Lebenszyklus zu verlängern. Das mindert nicht nur Abfall und Umweltbelastungen, sondern eröffnet auch neue wirtschaftliche Möglichkeiten und unterstützt die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft.

Kein Nice-to-Have: Spätestens 2030 Pflicht

Die Europäische Kommission treibt die Einführung des Digitalen Produktpasses entscheidend voran. Er soll gesetzlich verbindlich werden, um als Instrument zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit innerhalb der EU zu dienen.

Die Weichenstellung für den DPP wurde durch folgende regulatorische Entwicklungen ermöglicht:

  • Die Europäische Kommission führte 2018 das Paket zur Kreislaufwirtschaft ein, welches den Weg zu mehr Nachhaltigkeit ebnet.
  • 2020 folgte der neue Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft.
  • Im März 2022 legte die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung zur umweltgerechten Produktgestaltung vor (Ecodesign for Sustainable Products Regulation / ESPR), basierend auf der Ökodesign-Richtlinie 2009/125/EG. Ziel ist die Verringerung der Umweltbelastung und die Verbesserung der Energieeffizienz von Produkten.
  • Ebenfalls im März 2022 hat die EU-Kommission Pläne vorgestellt, die ihr weitreichende Kompetenzen für Umweltvorgaben bei technischen und digitalen Produkten geben soll – der Digitale Produktpass spielt hier eine zentrale Rolle.Geplant ist, den DPP für besonders ressourcen- und energieintensive Produkte einzuführen und ihn zusammen mit der Ökodesign-Richtlinie zu verknüpfen und umzusetzen.

Bis spätestens 2030 wird der Digitale Produktpass für alle Produktgruppen gesetzlich vorgeschrieben sein. Einige Branchen werden die Anforderungen aber schon 2027 erfüllen müssen, dazu gehören: Textil, Baugewerbe, Automotive und Consumer Electronics.

Transparenz bringt Wettbewerbsvorteile

Der Digitale Produktpass ist für alle Unternehmen nicht nur relevant, weil er etliche Daten – etwa zur Materialzusammensetzung – zu einem Produkt sammelt und diese kontinuierlich über den Lebenszyklus fortschreibt. Vielmehr liefert er auch die Datenpunkte für eine automatisierte Berechnung des CO2-Fußabdrucks der gesamtem Wertschöpfungskette gemäß Scope-3. Damit können auch die Rahmenparameter für ESG-Reporting (Environmental Social Governance) und GHG-Reporting (GreenHouse Gas Protokoll) erfüllt werden.

Unternehmen sollten den Digitalen Produktpass nicht als lästige Pflichtaufgabe betrachten. Er bietet die Chance, sich durch Transparenz vom Wettbewerb abzuheben. Dadurch geht ein starkes Signal an die Konsument:innen, die fundiertere Kaufentscheidungen treffen können. Zudem ermöglicht er die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle basierend auf digitalen Services. Je früher sich Unternehmen mit dem Produktpass auseinandersetzen, umso stärker kommen diese Vorteile zum Tragen.

Lebensmittel, Automobil & Co.: Alle Branchen werden vom Digitalen Produktpass profitieren (Bild: objective partner)
Einführung des Digitalen Produktpasses

Die konkrete Einführung eines Digitalen Produktpasses gelingt über die Nutzung eines Digitalen Zwillings – umgesetzt mit der Asset Administration Shell (AAS) und einem Verwaltungsframework. Um sich mit dem Prozess vertraut zu machen und erste Erfahrungen mit dem DPP zu sammeln, ist es ratsam, mit simplen Pilotprojekten zu beginnen, die sich auf klar definierte Produkte und Sektoren konzentrieren und auch die Partner aus der Supply-Chain von Anfang an mit einbeziehen – beispielsweise könnte sich ein Automobilhersteller erst mit einem Digitalen Produktpass für einen Motor beschäftigen und nicht gleich mit dem ganzen Fahrzeug mit seinen Hunderten von Komponenten.

Ein Vorreiter bei der Umsetzung des Digitalen Produktpasses ist das Unternehmen SMC, einer der weltweit führenden Anbieter für industrielle Automatisierungstechnik. Im Rahmen eines Eurostars-Förderprojekts arbeiten die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, SMC Schweiz und SMC Austria sowie objective partner derzeit gemeinsam an „Smart Assets“ für Industrie 4.0. Plan ist es, die Asset Administration Shell (AAS), den Eckpfeiler des Datenaustauschs der Industrie 4.0, in die Operationen der Komponentenlieferanten einzuführen. Die Asset Administration Shell ist von entscheidender Bedeutung, um Asset-Management, Integration, Transparenz und Rückverfolgbarkeit zu optimieren. Eine digitale Repräsentation von Assets, die von der AAS bereitgestellt wird, ermöglicht Echtzeit-Überwachung, proaktive Wartung, verbesserte Entscheidungsfindung u.v.m.

Die ersten Projekt-Ergebnisse sind vielversprechend. Wir appellieren an die Unternehmen hierzulande, es SMC gleichzutun und sich frühzeitig mit dem Digitalen Produktpass auseinandersetzen. Das Thema ist komplex und es ist besser, den Stein selbst proaktiv ins Rollen zu bringen, als von ihm überrollt zu werden, falls man bis zum letzten Drücker wartet.

Thomas Weis

ist Chief Expert Digital Transformation und verantwortlich für Digitale Strategien bei objective partner.

Roger Homrich

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