Braucht Innovation Open Source?
Die Fähigkeit, innovative Geschäftsmodelle voranzutreiben, setzt Open-Source-Prinzipien voraus, sagt Gregor von Jagow von Red Hat.
Welche Rolle spielt Open Source für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen?
Aufgrund der Flut regulatorischer Anforderungen, der zunehmenden Komplexität von IT-Landschaften, immer raffinierteren Cyberangriffen und dem Fachkräftemangel sind Unternehmen auf Systeme angewiesen, die sich schnell, einfach und kostengünstig an ihr Anforderungsprofil anpassen lassen.
Eine Studie der Harvard Business School hat gezeigt, dass – gäbe es die meistgenutzten Open-Source-Lösungen nicht – 4,15 Milliarden US-Dollar für deren Neuentwicklung nötig wären. Viel Geld, das an anderer Stelle für Investitionen fehlt.
Wo und wie spielt Open Source genau seine Stärken aus?
Unternehmen müssen sich von der Idee des erfolgreichen Einzelkämpfers verabschieden. Sie tun sich aber schwer damit, anderen Einblicke in die eigene Technologie zu gewähren oder sogar mit Wettbewerbern zusammenzuarbeiten. Wenn man jedoch bedenkt, dass den Unternehmen in der Regel die finanziellen Mittel für bahnbrechende Neuentwicklungen, aber auch das Know-how dafür fehlen, muss man die Notwendigkeit erkennen, sich mit Partnern, Zulieferern oder auch anderen Anbietern zusammenzuschließen. Diese sogenannte Coopetition ist der einzige Weg, um langfristig Marktanteile zu gewinnen und zu halten. Open Source ermöglicht es, interne Abhängigkeiten aufzulösen und Entwicklungsschritte zu überspringen.
Sie sprechen von Demokratisierung der Innovation. Was ist damit gemeint?
Der Gedanke dahinter ist einfach: Warum das Rad jedes Mal neu erfinden, wenn es jemand anderes mit mehr Know-how schon getan hat? Digitale Ökosysteme und Plattformen, die auch der Grundgedanke von Open Source sind, sind heute die Basis für Innovationen. Statt viel Geld und Ressourcen in die komplette Neuentwicklung von Produkten und Lösungen zu stecken, können Unternehmen auf bestehende Technologien zurückgreifen und mit eigenen Ideen „veredeln“. Gerade in Krisenzeiten, in denen Budgets für neue Projekte zurückgehalten werden, senkt der Plattform-Gedanke die Innovationsschwelle für Unternehmen deutlich.
Gibt es Branchen, die davon besonders profitieren?
Jede Branche und jedes Unternehmen profitiert von einer Plattformökonomie. Ein gutes Beispiel ist aber die Automobilbranche. Da Fahrzeuge zunehmend vernetzt, autonom und elektrisch fahren, ist der Bedarf an zuverlässigen und effizienten Softwarelösungen groß. Aber auch durchgängige Standards werden immer wichtiger, um die Komplexität der Software in den Griff zu bekommen. Die Konzerne mussten aufpassen, nicht zu reinen „Blechbiegern“ degradiert zu werden und das lukrative Geschäft anderen zu überlassen. Deshalb haben sie sich zu Ökosystemen zusammengeschlossen, die die gesamte digitale Wertschöpfungskette abbilden. Denn sie haben erkannt, dass nicht jede Software ein Alleinstellungsmerkmal ist, vor allem dann nicht, wenn es sich nicht um eine Anwendung handelt, deren Mehrwert für den Fahrzeugnutzer direkt erlebbar ist. Lösungen, die eher im Hintergrund laufen, sind nun einmal kein Differenzierungsfaktor im Wettbewerb. Die Kooperation erspart hohe Investitionen in Technologien, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Gleichzeitig können die Automobilkonzerne Zeit, Talent und Ressourcen in die Schaffung von differenzierendem Kundennutzen am Markt investieren.
Gregor von Jagow
ist Senior Director & Country Manager Germany bei Red Hat.