Die Situation in der Pflege ist angespannt, immer weniger Pflegekräfte müssen immer mehr Pflegebedürftige betreuen. Diese Gruppe nimmt stetig zu und wird Prognosen von Statista zufolge im Jahr 2060 hierzulande auf über 4,6 Millionen anwachsen. Eine Chance, Pflegekräfte zu entlasten, deren Arbeitsalltag zu entzerren, die Arbeitsorganisation und Routineaufgaben zu verbessern und effizienter zu gestalten und auf diese Weise mehr zeitlichen Freiraum für pflegerische Tätigkeiten zu schaffen, bieten KI-basierte digitale Systeme.
Ein solches wissens- und datengetriebenes Assistenzsystem für die professionelle Pflegeprozessgestaltung in der Langzeitpflege entwickelt und erprobt das Fraunhofer ITWM gemeinsam mit Partnern aus der Pflegewissenschaft, Pflegepraxis, Forschung und Industrie im Projekt ViKI pro, kurz für Versorgungsintegrierte Künstliche Intelligenz im professionellen Pflegeprozess. Das System soll es Pflegeexpertinnen und -experten erlauben, individuelle Pflegebedarfe zu erheben und geeignete Maßnahmen auf der Grundlage von digitalisiertem Fachwissen zu planen.
Die Dokumentation der durchgeführten Pflegemaßnahmen in der Webanwendung wird auch für die Gewinnung von Erfahrungswissen genutzt, das bei zukünftigen ähnlichen Planungssituationen verwendet werden kann. Mit dieser digitalen Unterstützung der Prozesse sollen die Versorgungsqualität in der stationären Pflege verbessert und gleichzeitig die vorhandenen knappen Ressourcen geschont werden.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Vorhaben durch das Programm »Miteinander durch Innovation – Interaktive Technologien für Gesundheit und Lebensqualität«. Zum Konsortium gehören neben dem Fraunhofer ITWM das August-Wilhelm Scheer Institut für digitale Produkte und Prozesse gGmbH, Connext Communication GmbH, Johanniter Seniorenhäuser GmbH, Caritas Betriebsführungs- und Trägergesellschaft GmbH sowie der AOK-Bundesverband als assoziierter Partner. Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. koordiniert das Projekt.
»Unser Ziel für die Pflegepraxis ist es, eine effiziente Planung von fallspezifisch optimalen Pflegeleistungen auf der Grundlage von vorhandenem Experten- und Erfahrungswissen zu ermöglichen«, sagt Alexander Scherrer, stellvertretender Abteilungsleiter »Optimierung in den Life Sciences«. »Dafür verfolgen wir einen modellbasierten Ansatz und nutzen das vorhandene Fachwissen, digitalisieren es und machen es KI-nutzbar.«
Wichtig ist eine gute Datenbasis. Darum wird jeder Pflegefall in ViKI pro mit umfangreicher und detaillierter Anamnese inklusive Risikomatrix erfasst, wobei zahlreiche Faktoren wie Bettlägerigkeit, Selbstversorgung, Übergewicht, Depression, Müdigkeit bei täglichen Aktivitäten, kognitive Beeinträchtigungen etc. berücksichtigt werden. Das vom Fraunhofer ITWM entwickelte System schlägt dann – ausgehend von den Daten eines Pflegefalls und von digitalisiertem Pflegewissen – mittels Künstlicher Intelligenz geeignete Pflegemaßnahmen vor. Im ersten Schritt fokussieren sich die Forschenden auf die Handlungsfelder ›Mobilität‹ und ›Schmerz‹.
»Wird nun ein Fall in die Software hochgeladen, so wird die Wissensbasis automatisch ausgewertet, die Pflegeplanerin und der Pflegeplaner erhalten Vorschläge für fallspezifisch geeignete Pflegemaßnahmen inklusive Begründung, warum bestimmte Maßnahmen optimalerweise geeignet sind. Die Software ersetzt also das manuelle, mitunter auch fehleranfällige Aussuchen und Abwägen von Maßnahmen«, erläutert der Forscher den Vorteil der KI-basierten Anwendung. Die Pflegeplanerinnen und Pflegeplaner können die vorgeschlagenen Maßnahmen dann auf der Grundlage ihrer Erfahrungen abwägen und geeignete Maßnahmen auswählen.
ViKI pro entwickelt damit den etablierten manuellen Pflegeplanungsprozess, wie er mit klassischen Pflegedokumentationssystemen durchgeführt wird, weiter zu einem KI-assistierten Prozess. Durch Integration der Pflegedokumentation soll das System eine umfassende digitale Prozessunterstützung bieten.
»Nach Durchführung der Maßnahmen können die Pflegefachkräfte diese im Hinblick auf ihre Wirksamkeit beurteilen. Aus diesen Datenbeständen gewinnen wir mit Hilfe von KI praktische Erfahrungswerte, die in künftige Pflegeentscheidungen einfließen«, erläutert der Fraunhofer-Mathematiker den Ansatz. Ein erster Prototyp des Systems wird diesen Sommer in den Pflegeeinrichtungen der Caritas und der Johanniter erprobt.
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