Die Software nimmt nicht mehr nur eine unterstützende, sondern die zentrale Rolle im Fahrzeug ein. Ziel der Automobilbranche ist es daher, den Fahrzeugkunden kontinuierlich neue und verbesserte Funktionen sowie Sicherheitsupdates anbieten zu können.
Entwickler müssen daher eine schnelle Bereitstellung der Software ermöglichen, ohne die hohen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen der Branche zu gefährden. Anstelle monolithischer Fahrzeugsoftware sollen wiederverwendbare und leichter aktualisierbare Software-Komponenten die Hauptträger der Funktionalität werden. Die Etablierung der dafür nötigen Plattformen und Toolchains erfordert jedoch eine enge Zusammenarbeit aller Partner in der Branche.
Um diese zunehmende Komplexität zu meistern, sollten Automobilunternehmen eng mit Software-Anbietern und Zulieferern zusammenarbeiten, um die Entwicklungsprozesse und -tools effizient und bestmöglich an die neuen Erfordernisse anzupassen. Das erlaubt es den Automobilunternehmen, ihre Ressourcen auf differenzierende Fahrzeugfunktionen zu konzentrieren.
Traditionell wurden Fahrzeugfunktionen von OEMs spezifiziert und gemeinsam mit Zulieferern auf dedizierte Steuergeräte (Electronic Control Units, ECUs) entwickelt. Dieser Ansatz erschwert aber eine flexible Aktualisierung und Wiederverwendung. Einmal entwickelte ECUs bleiben in der Regel über den Lebenszyklus unverändert und sind nicht erweiterbar.
Die neuen SDV-Anforderungen brauchen Architekturen, die sich einfacher aktualisieren lassen. Die Anzahl der ECUs soll reduziert werden durch eine Zentralisierung der Software auf neue Computing-Plattformen wie Hochleistungsrechnern (High-Performance Computing, HPC). Auf diesen Plattformen können andere Betriebssysteme betrieben und Service-orientierte Architekturen (Service-Oriented Architectures) implementiert werden. Dies vereinfacht auch Over-the-Air Updates. Dafür sind die Anbindung an die Cloud und Kommunikation über Mobilfunksysteme von zentraler Bedeutung.
Ziel der Softwareentwicklung muss es sein, Software möglichst unabhängig von der Hardware zu machen, um die Portabilität und Flexibilität der Anwendungen zu gewährleisten sowie sie über verschiedene Segmente und Hardwareplattformen hinweg wiederzuverwenden (Reuse-by-Design). Diese Art, Fahrzeugsoftware zu entwickeln, erfordert ein höheres Abstraktionsniveau. Um diese plattformunabhängige Softwareentwicklung zu vereinfachen, braucht es einen integrierten Ansatz auf der Grundlage von Modellen. Damit lassen sich Funktionen ohne Ausrichtung auf eine bestimmte Hardware entwickeln und testen und erst dann durch Codegenerierung an die gewünschte Plattform anpassen. Tools, die automatisch Optimierungen für die jeweilige Rechenhardware durchführen, um die Hardware-Ressourcen optimal zu nutzen, unterstützen diesen Prozess und beschleunigen ihn.
Einen weiteren entscheidenden Fortschritt in der Fahrzeugsoftwareentwicklung markiert die hochautomatisierte und robuste Umgebung für Softwareentwicklung, -integration, -validierung und -freigabe, die oft als „Softwarefabrik“ bezeichnet wird. Dieses erprobte Konzept wird im Automotive-Bereich bereits eingesetzt. Es verkürzt Entwicklungszyklen und erlaubt die regelmäßige Bereitstellung von Updates. Im Automobilumfeld stellen sicherheitskritische Systeme jedoch besondere Anforderungen, für deren Erfüllung etablierte Prozesse existieren. Die Integration dieser Anforderungen mit denen des Software-Defined Vehicle (SDV) in der Softwarefabrik ist jedoch neu.
Einen wichtigen Baustein zur Lösung dieser Herausforderung bildet die Erweiterung der Softwarefabrik mit Simulationsmodellen von Fahrzeugen und deren Komponenten sowie um virtuelle Welten. Dies gestattet die automatisierte Validierung des Verhaltens des Gesamtsystems unter Einbeziehung der physikalischen Eigenschaften des Fahrzeugs. Obwohl dieser Ansatz physische Tests wie Testfahrten nicht vollständig ersetzen kann, reduziert er deren Anzahl erheblich und ermöglicht häufigere Softwareupdates, ohne die Sicherheit der Fahrzeuge zu gefährden.
Durch weitgehend automatisierte, frühzeitige Tests und Verifikationen (Shift-Left) sowie automatisierte Build-Prozesse lässt sich die Softwarefabrik an die Erfordernisse der Homologation sicherheitskritischer Software anpassen, die derzeit in der traditionellen Entwicklung mehrere Monate in Anspruch nehmen kann. Häufigere Updates sind so möglich, ohne Abstriche bei der Sicherheit zu machen. Dies gestattet auch die rasche Reaktion auf Sicherheitslücken oder Cyberangriffe, ein immer wichtiger werdender Aspekt in der Software vernetzter Fahrzeuge. Die Reproduzierbarkeit der Software Factory verbessert dabei sowohl die Transparenz der Prozesse als auch die Qualität der erzeugten Software.
Auch das DevOps-Modell hält immer mehr Einzug in die Fahrzeugentwicklung und stellt eine natürliche Erweiterung der Software Factory dar: Der Entwicklungsprozess endet nicht mehr mit dem Start der Fahrzeugproduktion, sondern erstreckt sich über den gesamten Lebenszyklus des Autos. So kann die Software auch nach der Auslieferung kontinuierlich überwacht, aktualisiert und verbessert werden.
Hierfür liefern Betriebsdaten aus der Fahrzeugflotte wertvolle Informationen, die in die Entwicklung von Updates einfließen können. Darauf basierende Simulationen helfen, Vorfälle und kritische Fahrsituationen zu analysieren und deren Ursachen besser zu verstehen. Die Verarbeitung der großen Datenmengen, die von der Flotte gesammelt werden, erfolgt effizient über Cloud-Plattformen mit elastischen Ressourcen. Auf Basis dieser Analysen werden dann notwendige Updates entwickelt, die entsprechenden Softwarekomponenten neu erstellt und per Simulation validiert. Schließlich werden nur die erforderlichen Softwarekomponenten auf das Fahrzeug übertragen. Dieser erweiterte DevOps-Ansatz integriert operative Daten direkt in den Entwicklungsprozess und trägt so zu einer sichereren und effizienteren Fahrzeugnutzung bei.
Der Wandel der Automobilindustrie hin zu SDVs erfordert ein Umdenken in den Entwicklungsprozessen und die Einführung von integrierten, flexiblen Ansätzen. Ingenieure und Entwickler sollten die Wiederverwendbarkeit von Software maximieren, die Anpassungsfähigkeit der Fahrzeugfunktionen gewährleisten und schnellere, häufigere Updates ermöglichen, um Fahrzeuge auch nach ihrer Produktion auf dem neuesten Stand der Technik zu halten.
Um diese Ziele zu erreichen, sind starke Partnerschaften mit und zwischen Softwareanbietern essenziell. Solche Partner liefern nicht nur das technische Know-how, sondern auch die maßgeschneiderten Tools und Entwicklungsumgebungen, um die komplexen Anforderungen von SDVs zu bewältigen. Richtig und rechtzeitig umgesetzt, können Automobilhersteller so die Vision und Innovationskraft von SDVs in die Realität umsetzen und die Zukunft der Automobilindustrie nachhaltig gestalten.
Robert ter Waarbeek
ist Industry Manager Automotive EMEA bei MathWorks.
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