Ein Notfall erfordert eine komplizierte Operation. Die nächste Spezialistin ist jedoch Hunderte Kilometer weit entfernt. Wo heute Engpässe dieser Art vielleicht Leben kosten würde, könnten in ein paar Jahren Chirurgen ihre Patienten aus der Ferne operieren – unterstützt durch einen Roboter mit haptischem Feedback.
Ein klinikeigenes 5G-Netz soll dann für eine latenzarme Verbindung sorgen, um während der Operation kontinuierlich Daten auszutauschen. An diesem und weiteren Szenarien arbeitete ein gerade abgeschlossenes interdisziplinäres Projekt mit Forschenden aus Deutschland und Frankreich.
»Krankenhäuser müssen heute infolge des wirtschaftlichen Drucks zum einen neue effiziente Infrastrukturen und Prozesse aufbauen und zum anderen neue, digitale Wege der Vernetzung und des Datenaustauschs finden«, so Projektleiter Johannes Horsch vom Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. »Beides adressiert das deutsch-französische Projekt 5G-OR, das sowohl öffentliche als auch industrielle Forschung zusammenbringt.« Gefördert wird es vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.
Die Forschenden sehen ihre Arbeit im unmittelbaren Kontext mit dem weiter zunehmenden Sparzwängen im deutschen Kliniksektor und verweisen dazu auf eine Umfrage von Roland Berger aus dem Juli. Demnach haben sieben von zehn Krankenhäusern hierzulande das vergangene Jahr mit Verlusten abgeschlossen. Neben der Konsolidierung ihrer Leistungen und der Modernisierung ihrer Infrastruktur sähen viele Kliniken vor allem in Kooperationen und Fusionen einen wichtigen Baustein für eine nachhaltige wirtschaftliche Ausrichtung und für ihre Zukunftssicherung. Eine weitere Herausforderung sei der Mangel an medizinischem und Pflegepersonal, so Fraunhofer weiter.
Das nun abgeschlossene Forschungsprojekt vereinte Ingenieure, Unternehmer, Chirurgen und Anästhesisten in Berlin, Mannheim und Straßburg. Die Expertinnen und Experten entwickelten drei hoch technologisierte Operationssäle mit intraoperativen Bildgebungssystemen. Beteiligt waren neben dem Fraunhofer IPA auf französischer Seite das Institut Hospitalo-Universitaire (IHU) in Straßburg sowie die Charité Berlin, die Hochschule Reutlingen, die Unternehmen SectorCon und Karl Storz sowie das private französische Forschungs- und Technologieinstitut b<>com und das Start-up RDS (Rhythm Diagnostic Systems).
»Die zentralen Ziele des Teams sind, die Komplikationsrate von Eingriffen zu senken und den Workflow in den Operationssälen zu optimieren. Medizinische Behandlungsfehler treten heute noch bei acht bis zwölf Prozent aller Krankenhausaufenthalte auf«, betont Horsch. »Die Einführung der 5G-Technologie ermöglicht eine sichere, flexible und zuverlässige drahtlose Kommunikation und den Austausch von Daten wie auf einer leistungsstarken Datenautobahn. Diese Vernetzung verringert Fehler und steigert die Effizienz.«
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) erlaube es, so Horsch weiter, OP-Daten während chirurgischer Eingriffe besser zu analysieren und unterstütze den Einsatz von Robotik in der Medizin. Daher ist auch Prof. Sascha Treskatsch, Klinikdirektor in der Charité, auf der Anwenderseite überzeugt: »Die Verarbeitung einer Vielzahl multimodaler Datensätze in Echtzeit wird die Überwachung von Patienten im Krankenhaus und insbesondere im Operationssaal während einer Anästhesie revolutionieren. 5G-OR bietet hierfür die Grundlage.« Dies würden auch diese vier Pilotanwendungen zeigen, die bereits umgesetzt wurden:
1. KI-gestützte Überwachung der Vitaldaten: Die Patienten tragen während des gesamten Behandlungsverlaufs – von der Operation bis zur Nachsorge zu Hause – einen intelligenten Patch. Dessen Sensoren zeichnen Vitalparameter auf und übermitteln sie drahtlos an eine überwachte Plattform, wo sie von KI ausgewertet werden. So lassen sich mögliche Komplikationen frühzeitig erkennen. Zudem schafft 5G-OR die Basis für eine vollkommen neue hochfrequente Datenverarbeitung in Echtzeit, die die Anwendung von KI in der Breite ermöglichen wird.
2. KI-gestützte Analyse chirurgischer Daten: Während der OP analysiert die KI zum Beispiel endoskopische Bilder oder Videosequenzen sowie Daten von chirurgischen Instrumenten und Prozessen. Auf diese Weise können zum einen der Fortschritt der Operation bestimmt und mögliche Anomalien oder Risiken erkannt werden. Zum anderen optimieren solche Analysen auch die Arbeitsabläufe im OP.
3. Roboterassistierte Telechirurgie: In den Hightech-OP-Sälen können Chirurgen –unterstützt durch einen Roboter mit haptischem Feedback – Patienten aus der Ferne operieren. 5G gewährleistet dabei große Bandbreiten für die riesigen Datenmengen sowie eine latenzarme Verbindung für den Austausch von Daten in Echtzeit während der OP. Vor allem vor dem Hintergrund der Konsolidierung von Krankenhäusern in Deutschland, wenn Spezialisten nicht vor Ort sind, kann diese Anwendung in Notfallsituationen von Vorteil sein. Das System kann auch lokal außerhalb des OPs eingesetzt werden, etwa um medizinisches Personal vor Gefahren wie Röntgenstrahlung oder Infektionen zu schützen.
4. Mobile Roboter-Unterstützung im Operationssaal: Ein speziell für den OP-Bereich entwickelter mobiler Roboter transportiert medizinisches Material und Instrumente. Indem er logistische Aufgaben während der Operation übernimmt, entlastet er das Krankenhauspersonal. Was in Fabriken längst Alltag ist, erfordert im OP höchste Präzision, Sicherheit, Flexibilität und Zuverlässigkeit. Das gewährleisten 5G-Campusnetze durch bereitgestellte Echtzeitdaten.
Im Fokus steht nun der Technologietransfer der Anwendungen in die klinische Praxis. Dies beinhaltet ausgiebige Tests, die Prüfung von medizinischen Zulassungen sowie die Suche nach Wegen in den Markt über Industriepartner und Start-ups. Zudem will das Projektteam das Netzwerk erweitern, um einerseits breiteres Anwenderfeedback zu bekommen, und andererseits die internationalen Kooperationen zu stärken.
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