AI Readiness Index: Strategie gut, Umsetzung mau

“Wir werden ganz klar im internationalen KI-Vergleich durchgereicht”, warnt Christian Korff von Cisco Deutschland im Interview.

Welche Veränderungen gibt es beim AI Readiness Index im Vergleich zu 2023?

Christian Korff: Schon letztes Jahr haben 95 Prozent der deutschen Unternehmen KI als dringliches Thema gesehen, mittlerweile sind es 98 Prozent. Fast jedes Unternehmen in Deutschland versteht demnach, wenn sie sich dem Thema künstliche Intelligenz nicht stellen, wird dies einen dramatischen Einfluss auf den Geschäftserfolg haben. Denn Business bedeutet IT und IT wird durch KI nachhaltig verändert – und entscheidet zukünftig ein Stück weit über den Wirtschaftsstandort Deutschland. Auch über das Überleben der Großkonzerne und des deutschen Mittelstands.

Aus welchen Bausteinen besteht der Fragenkatalog für den KI-Index?

Christian Korff: Aus sechs Themenclustern, die unterschiedlich gewichtet zusammen den KI-Status ausmachen. Zunächst die Strategie. Wie gut bin ich strategisch aufgestellt, habe ich das Thema durchdrungen, habe ich eine Beziehung zum eigenen Geschäftsmodell hergestellt? Dann das Thema IT-Infrastruktur. Gibt es für KI die grundlegende Basisinfrastruktur wie Rechenzentren im Unternehmen? Wie gehe ich mit Daten um? Kann ich einer KI bereichsübergreifend Daten zur Verfügung stellen? Wie steht es um die Governance, Data Privacy, Data Sovereignty? Habe ich Zugriff auf die richtigen Talente? Wie bilde ich meine MitarbeiterInnen aus? Und habe ich eine Unternehmenskultur, die KI eher offen gegenübersteht oder eine Kultur, die von KI-Skepsis geprägt ist?

Warum haben Sie das Thema Infrastruktur mit 25 Prozent am höchsten gewichtet?

Christian Korff: Was wir über die letzten 20 Jahre schmerzlich in Deutschland erfahren mussten, sind die Versäumnisse, die es zum Beispiel beim Breitbandausbau gibt und die wir über sehr lange Zeit nicht aufholen konnten. Das heißt, Infrastrukturaufbau kostet Zeit. Wenn wir das nicht schnell nachholen, werden wir das später auch über große Investitionen nicht wieder aufholen. Daher ist es aus unserer Sicht extrem wichtig, hier wirklich nachhaltig reinzugehen.

Wie sieht es denn aus mit der KI in Deutschland?

Christian Korff: Wir lagen im letzten Jahr mit den Schrittmachern, die an der Spitze der Entwicklung stehen, schon bei nur sieben Prozent. Dieser Anteil ist nochmal leicht gesunken auf sechs Prozent. Dieser Rückschritt ist aus meiner Sicht ziemlich alarmierend. Insofern kann man sagen, dass Deutschland sich im KI-Stillstand befindet. Deutschland ist in Europa nur noch Mittelmaß. Selbst Spanien oder die Schweiz sitzen uns im Nacken. In den USA und China sind dreimal so viele Unternehmen in der Spitzengruppe wie in Deutschland. Wir werden also ganz klar im internationalen Vergleich durchgereicht.

Nehmen die Unternehmen denn wahr, wie KI sie unterstützen könnte?

Christian Korff: 48 Prozent erwarten eine höhere Effizienz und Produktivität. 43 Prozent setzen auf mehr Innovation und 45 Prozent wollen die Kundenzufriedenheit und Kundenerfahrung verbessern. Auch Cybersecurity ist ein KI-Thema. Das mag sich alles gut anhören, aber ich finde, dass eigentlich alle Ziele bei 100 Prozent liegen müssten. Warum erkennen nicht 100 Prozent der Unternehmen, dass sie alleine im Software-Bereich bei der Erstellung von Code dramatische Effizienzsteigerungen erreichen können.

Der Druck im Markt scheint größer zu werden. Erkennen die Unternehmen, dass sie etwas in punkto KI machen müssen?

Christian Korff: 47 Prozent der Unternehmen sagen, dass sie nur noch maximal ein Jahr haben, eine KI-Strategie umzusetzen. Dafür müssen sie den Infrastrukturausbau priorisieren und wirklich auch investieren. Der Großteil der Unternehmen merkt, dass der Erfolgsdruck extrem ist. Und sie finden kaum ein Unternehmen, das noch keine Strategie hat. Aber leider sind es viel zu wenige, die diese Strategie dann auch wirklich nachhaltig umsetzen.

Ich verstehe nicht, dass die Unternehmen so deutlich sagen, sie hätten eine KI-Strategie, aber es trotzdem so wenig zur Umsetzung kommt. Wie ist dieser Gap zu erklären?

Christian Korff: KI besteht aus Vernetzung, aus sehr starker Rechenleistung und mathematischen Modellen, den Large Language Models. Wir haben kein Problem im Bereich der Modelle. Die Rechenkapazität aufzubauen, kostet allerdings viel Geld. Sogar mehr, als man sich im Augenblick vorstellen kann. Und darin liegt in deutschen Unternehmen oft das Problem. Investitionen sollen sich schnell rechnen.

Wie hoch sind denn die Investitionen in KI derzeit?

Christian Korff: Die Investitionen in KI steigen weltweit. 10 bis 30 Prozent der derzeitigen IT-Budgets werden für KI aufgewendet. Wenn man sich das aber in Deutschland anschaut, wie sich das IT-Budget insgesamt verändert haben, und wie hoch der Anteil von KI in diesen IT-Budgets ist, sind das meist Investitionen in homöopathischer Größenordnung.

Warum wird die USA wie immer auch beim Thema KI als Musterland wahrgenommen?

Christian Korff: Das fängt bei den Investitionen an. Geschäftsmodelle müssen in den USA zunächst keinen Profit abwerfen. Diese Mechanik fehlt in Deutschland. Jeder muss eine schwarze Null oder mehr schreiben und deswegen fehlt ein Stück weit die Möglichkeit zu überinvestieren, um später zu monetarisieren. Diese Mechanik fehlt besonders beim Aufbau der Infrastruktur. Und der dritte Bereich betrifft den Zugriff auf Daten. Wir tun uns in Deutschland beim Organisationsaufbau kulturell schwerer, wirklich bereichsübergreifende Daten zur Verfügung zu stellen. Das fängt langsam an zu wachsen, aber zu langsam.

Der Widerspruch zwischen Erkennen und Umsetzen ist groß. Was sind die Hauptgründe? Fehlt es an Fähigkeiten und KI-Fachkräften?

Christian Korff: Ich glaube nicht, dass es uns in Deutschland an Fachkräften mangelt. Eine OECD-Studie hat kürzlich nochmal gezeigt, dass wir in der Wissenschaft durchaus führend sind. Woran es uns fehlt, ist die Bereitschaft, Investitionen folgen zu lassen. Um Ihnen mal ein Gefühl zu geben: Die weltweit führenden Konzerne investieren pro Woche eine Milliarde US-Dollar in IT-Infrastruktur. Und wir in Europa glauben, dass wir mit einem 5-Milliarden-Förderprogramm über fünf Jahre irgendeinen Impuls setzen. Es gibt aber erste Anzeichen im Markt, dass große Konzerne sich auch bewegen wollen und mit einem neuen Investitionsmodell in den Ausbau gehen und Kapazitäten schaffen. Aber das ist als Impuls noch deutlich zu wenig.

Fehlt es an Use Cases, damit Unternehmen tiefer in die KI einsteigen?

Christian Korff: Da habe ich eine andere Wahrnehmung, auch wenn für viele das Thema noch abstrakt ist. Die Großkunden, mit denen ich spreche, machen fast alle KI-Piloten und sagen durch die Bank weg, der Produktivitätsgewinn liegt beim Faktor 100 bis 1000. Doch wenn es dann flächendeckend eingesetzt werden soll, gibt es Bedenken. Daten dürfen nicht abteilungsübergreifend verwendet werden. Unsere Mitarbeiter haben Sorge, dass das außer Kontrolle gerät. Das heißt, es gibt sofort einen Blumenstrauß an Bedenkenträgern. Das ist ein Stück weit kulturell tief in uns drin, dass man Ängste hat, Sicherheiten sucht und nicht scheitern möchte.

Es wird auch immer wieder gesagt, es fehle in Deutschland an Rechenkapazitäten und Fachkräften?

Christian Korff: Künstliche Intelligenz lebt von der Verfügbarkeit von Rechenkapazität. Haben wir als Land eine Strategie, wie wir Rechenkapazität schnell aufbauen können? Idealerweise mit einem ökologisch vertretbaren Footprint. Das gleiche gilt für die Fachkräfte. Wir müssen den Nukleus, den wir in der Wissenschaft haben, nun skalieren in Fachkräfte, die am Markt auch verfügbar sind. Und wir müssen dafür sorgen, dass diese qualifizierten Wissenschaftler nicht abwandern in andere Räume. Denn hier stehen wir im internationalen Wettbewerb mit anderen großen Kräften, die versuchen, Talente anzuziehen, und diesen qualifizierten Fachkräften hervorragende Arbeitsbedingungen bieten.

In Deutschland wird – wie bei vielen innovativen Themen üblich – eher über die Risiken gesprochen als über die Chancen.

Christian Korff: Wir müssen aus diesem Bedenkenträgertum herauskommen. Wenn es uns nicht gelingt, ein Stück weit Optimismus in die Debatte zu bringen, und die Erkenntnis, dass künstliche Intelligenz zu Prosperität und zu Wohlstand führt, und KI nicht als Schlüsseltechnologie verstehen, dann werden wir innerhalb Europas und weltweit abgeschlagen bleiben.

Welche Rolle spielt die EU beim Thema KI?

Christian Korff: Die Regulierung in Europa verlangsamt den Prozess zusätzlich. Der European AI Act soll erst bis Ende 2025 stehen. Dies führt bei vielen Unternehmen dazu, dass sie Vorbehalte haben, wirklich in die Umsetzung zu gehen, weil noch eine gewisse Unsicherheit vorhanden ist, wie später die Rechtsprechung ausgelegt wird und wie die Kontrollbehörde implementiert wird.

Wo muss sich aus Ihrer Sicht etwas bewegen?

Christian Korff: Zusammenfassend kann man sagen, wir haben in Deutschland eigentlich einen guten Plan. Jetzt müssen wir die Mittel bereitstellen und die Rahmenbedingungen schaffen, um das wirklich nach vorne zu bringen. Alle Teilnehmer im Feld, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, müssen disruptiv groß Denken. Es braucht Impulse.  Wir brauchen eine ausreichende Energieversorgung, Rechenzentrumsstandorte und Technologie-Cluster, die uns helfen, diese Rechenkapazitäten aufzubauen.

Wir brauchen weiterhin eine kulturelle Veränderung, um damit die Bevölkerung und die Mitarbeiter mitzunehmen. Es muss deutlich werden, dass KI keine Gefahr ist, sondern zu Wohlstand und Prosperität in Deutschland und in Europa führt. Und wir müssen sicherstellen, dass die Richtlinien und Protokolle, die wir implementieren, uns helfen, im weltweiten Wettbewerb mithalten zu können.

Christian Korff

ist Mitglied der Geschäftsführung von Cisco Deutschland und Leiter der Bundesfachkommission „Künstliche Intelligenz und Wertschöpfung 4.0“ vom Wirtschaftsrat der CDU.

 

 

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