Wir sprachen mit Christian Horschinegg von Vorwerk und Frank Rudolph von Cognizant, über die Herausforderungen, Meilensteine und Erfolge des Großprojekts.
Eine Migration systemkritischer Prozesse und Strukturen auf SAP S/4HANA und gleichzeitig der Wechsel in die Cloud. Das wagt nicht jeder. Was hat Vorwerk dazu bewogen, eine Doppelmigration durchzuführen?
Christian Horschinegg: Die Migration auf SAP S/4HANA war schon lange in der Planung, ebenso der Umzug in die Cloud. Zusätzlich stand eine Änderung im Business-Modell unseres Direktvertriebsunternehmens mit einer unternehmensweiten Harmonisierung der Finanz- und Controlling Daten an. Bisher fehlte uns allerdings der richtige Plan. Ursprünglich wollten wir einen Greenfield-Ansatz verfolgen, also das System komplett neu aufsetzen. Zum einen war uns bei diesem Ansatz das Risiko schlussendlich doch zu hoch. Zum anderen gab es Systemteile, die sehr gut für uns funktioniert haben. Getreu dem Motto ‚Keep the best, transform the rest‘ haben wir uns dann für eine Bluefield-Transformation entschieden, bei der wir das Herzstück unseres vorhandenen Systems auf SAP S/4HANA migriert, Finance und Controlling jedoch komplett neu aufgesetzt haben. Trotz der multiplen Projektbestandteilen musste die Down-time kurzgehalten werden.
Welche Rolle spielt bei einem solchen Großprojekt ein Transformationspartner?
Frank Rudolph: Wir können bei SAP S/4HANA-Transformationen auf zahlreiche Best Practices zurückgreifen. Das Projekt mit Vorwerk bot allerdings einige Besonderheiten. Eine war der Entschluss Vorwerks, datenseitig die gesamte Historie der letzten 25 Jahre zu migrieren. Damit einher ging die rechtliche Vorgabe, sämtliche Jahresabschlüsse dieser Zeit über 15 Legal Entities hinweg nochmal prüfen zu lassen. Zusätzlich dazu hat sich Vorwerk für vier Ledger entschieden. Dadurch entstanden Finanztabellen mit 5,5 Milliarden Einträgen. Eine riesige Datenmenge also. Darüber hinaus verfügte das Vorgängersystem über 183 Schnittstellen, die wir alle einzeln prüfen, neu verbinden und testen mussten. Als wäre das nicht schon Anforderung genug, wollte Vorwerk die Transformation sowie die Migration in die Cloud in nur 18 Monaten umsetzen. Projekte mit diesem Umfang dauern normalerweise oft bis zu vier Jahren. Die Konfiguration von SAP S/4HANA erfolgte zunächst auf einer leeren Systemhülle, die wir dann modifizieren und anpassen konnten. Parallel dazu hat Vorwerk die Daten für die Migration vorbereitet, sodass wir sie nur noch mergen und in die neue Codierung übertragen mussten.
Welche Faktoren haben aus Ihrer Sicht dazu beigetragen, dass dieses Projekt im vorgegebenen Zeitplan umgesetzt werden konnte?
Christian Horschinegg: Drei Faktoren waren aus meiner Sicht für den Erfolg entscheidend: die Zusammenarbeit innerhalb des Projektteams, ein realistisches Erwartungsmanagement innerhalb des Unternehmens und das Know-how des Teams.
Entscheidend war auch, die Nutzer in unserem Direktvertriebsunternehmen frühzeitig an Bord zu holen. Wir haben also Schritt für Schritt erklärt, an welchem Punkt der Transformation wir gerade stehen. Wir haben anhand von Demos gezeigt, was sich tatsächlich ändert, und auf diese Weise die Mitarbeitenden mit Change Management und Schulungen auf die Migration vorbereitet. So haben wir Vertrauen geschaffen, was letztendlich entscheidend dafür ist, dass die Transformation auch angenommen wird.
Musste an dem ehrgeizigen Zeitplan nicht mehr gerüttelt werden?
Christian Horschinegg: Nach der ersten Testmigration wurde uns klar, dass wir den Zeitplan anpassen und die Herangehensweise ändern müssen. Durch die Größe der Finanztabellen hätte die Downtime bei rund einer Woche gelegen, das wäre viel zu lange. Deshalb haben wir ‚on the fly‘ auf einen Near-Zero-Downtime-Ansatz gewechselt. Der Wechsel hätte ohne die gute Zusammenarbeit im Projektteam und ohne den Rückhalt im Unternehmen nicht funktioniert.
Wie setzte sich das Projektteam zusammen?
Frank Rudolph: Wir begleiten Vorwerk nun schon seit mehreren Jahren als AMS-Partner für Applikation, Basis und Infrastruktur. Dadurch kennen wir Vorwerk mittlerweile sehr gut und die Systemlandschaft ist uns bekannt. Zusätzlich dazu haben wir mit SNP einen Experten für Bluefield-Transformationen im Boot, dessen Expertise für dieses Projekt sehr wertvoll war.
Für uns war das Projekt ein voller Erfolg. Wir haben es geschafft, das System innerhalb des Zeitplans zu migrieren, mit einer Downtime von lediglich zwei Tagen plus einem Wochenende. Wir haben außerdem von den zuständigen Wirtschaftsprüfern ‚Correctness und Completeness‘ der Migration von jeweils 99,995 Prozent bestätigt bekommen.
Wie geht es jetzt weiter?
Christian Horschinegg: Die Doppelmigration war erst der Start. Jetzt folgen die Migrationen weiterer Länder und die e2e Transformation von Business-Prozessen. Bis 2028 wollen wir alle Standorte und Prozesse auf das neue SAP-System migriert haben und all alten ERP-Systeme in dem Zuge durch die neue Lösung ersetzen. Parallel arbeiten wir zudem an Digitalisierungs- und KI-Projekten.
Welche Tipps würden Sie Unternehmen mit auf den Weg geben, die die Transformation auf SAP S/4HANA noch vor sich haben?
Christian Horschinegg: Ich würde anderen Unternehmen raten, sich jetzt schon die Ressourcen und Partner zu sichern, die sie für die Transformation brauchen. Digitalisierungspartner sind im Moment sehr gefragt. Zudem sollte man genügend Zeit für Tests einplanen und diese auch nutzen. Allein die User Acceptance Tests (UTA) haben zehn Wochen in Anspruch genommen, die Systemintegrationstest nochmal drei bis vier Wochen zusätzlich. Hinzu kommen dann noch Performance-Tests.
Christian Horschinegg
ist Program Manager Digitale Transformation bei Vorwerk.
Frank Rudolph
ist Projektverantwortlicher von Cognizant
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