Strömungsmechanik mit Quantencomputer simulieren

Aktuelle Supercomputer stoßen bei der Bewältigung der komplexen Berechnungen von Strömungssimulationen an ihre Grenzen.
Quantencomputer könnten hier eine Lösung bieten, indem sie neue Ansätze und Algorithmen ermöglichen, die klassische Methoden ergänzen oder sogar übertreffen. Dr. Erik Garcell, Director of Quantum Enterprise Development beim Quantensoftware-Anbieter Classiq, erklärt, was Quantencomputer für die Strömungssimulationen leisten können und welche potenziellen Vorteile sie industriellen Anwendern bieten.
Warum sind aktuelle Supercomputer bei Strömungssimulationen eingeschränkt?
Erik Garcell: Diese Art von Simulationen ist derart rechenintensiv und komplex, dass aktuelle Supercomputer und HPC-Umgebungen trotz ihrer beachtlichen Leistung an ihre Grenzen kommen. Die konkrete Herausforderung liegt in den Navier-Stokes-Gleichungen, die die physikalischen Regeln der Strömungsdynamik beschreiben. Diese Gleichungen sind komplex und werden nochmal anspruchsvoller, wenn es um turbulente Strömungen geht.
Der Anspruch der Automobil-, Luftfahrt- und andere Industrien ist es mit ausgefeilten Designs immer effizienter zu werden. Wir sind mittlerweile an einem Punkt, an dem die Rechenanforderungen an die Grenzen des klassischen Supercomputings stoßen. Ingenieure sind daher oft gezwungen Abstriche bei der Genauigkeit zu machen, um die Berechnungen durchführbar zu halten.
Wie könnten Quantencomputer Strömungssimulationen verändern?
Erik Garcell: Mit Quantencomputern lassen sich neue, andersartige Ansätze für Strömungssimulationen verfolgen. Diese basieren auf Quantenalgorithmen – also Algorithmen, die nur Quantencomputern ausführen können. Der vielversprechendste Ansatz baut auf dem sogenannten HHL-Algorithmus auf, benannt nach seinen Erfindern Harrow, Hassidim und Lloyd. Der HHL-Algorithmus ist speziell darauf ausgelegt, lineare Gleichungssysteme zu lösen. Bei Strömungssimulationen ist genau das gefragt – und zwar in großem Umfang. Diese Skalierung ist eine erhebliche Hürde für klassische Computer. Hierbei ist der HHL-Algorithmus im Vorteil, denn er skaliert logarithmisch mit der Größe der Simulation. Umfasst eine Aufgabe doppelt so viele Gleichungen, braucht der HHL-Algorithmus kaum länger für die Berechnung, anders als klassische Algorithmen. Damit diese Vorteile in der Praxis nutzbar werden, braucht es allerdings einen entsprechend großen, leistungsstarken und fehlerkorrigierten Quantencomputer, der in dieser Form aktuell noch nicht verfügbar ist.
Angesichts dieser Einschränkungen konzentrieren sich industrielle Anwender momentan auf hybride Ansätze, die klassische und quantenbasierte Methoden vereinen. Diese Strategie haben wir von Classiq etwa bei unserer Zusammenarbeit mit Rolls-Royce und NVIDIA angewandt. Dabei simulierten wir die weltweit größte Quantenschaltung zur Berechnung von Strömungsmechanik mit einer Tiefe von zehn Millionen Schichten bei 39 Qubits.
Aus der Perspektive der industriellen Anwender, welche Vorteile bringt es, Quantencomputer für Störmungssimulationen zu verwenden?
Erik Garcell: Ein solcher Ansatz erlaubt es einerseits, Prototypen schneller zu testen und zu validieren. Andererseits lassen sich durch detailliertere Simulationen kritische Schwachstellen im Design leichter aufspüren, als es mit vereinfachten Simulationen oder Heuristiken der Fall ist.
Für die Industrie bedeutet das deutlich geringere Kosten und weniger Zeitaufwand, wenn sie komplexe technische Simulationen durchführen möchten, die Systeme in ihrer Gänze erfassen sollen. Solche gesteigerten Analysefähigkeiten machen Designs nicht nur effizienter, sie senken auch den Bedarf an physischen Testmodellen. In diesem Sinne können sich Unternehmen einiges an Ressourcen einsparen und so ihre Produkte nachhaltiger und gleichzeitig effizienter machen.
Für die industrielle Anwendung bieten aktuelle Quantencomputer momentan noch nicht die passende Leistung. Durch die Kombination mit klassischen Rechenmethoden – also hybriden Ansätzen – konnten Unternehmen wie Rolls-Royce jedoch schon Fortschritte machen und wichtige Erfahrungen mit der Technologie sammeln.
Oft ist vom sogenannten „Quantenvorteil“ die Rede. Was genau ist damit gemeint und wie sollten Unternehmen damit umgehen?
Erik Garcell: Der Quantenvorteil ist ein durchaus umstrittenes Konzept. Er beschreibt den Punkt, an dem ein Quantencomputer eine Rechenaufgabe löst, die für klassische Computer faktisch nicht mehr lösbar ist. Dabei geht es um Quantencomputer, die bestimmte Rechenaufgaben schneller bewältigen können als klassische Computer – eine Entwicklung, die sich momentan erst allmählich abzeichnet. Für die Praxis relevanter ist jedoch das Konzept der „Quantum Utility“, also der Moment, ab dem der Nutzen von Quantencomputern die Kosten übersteigt. Damit ist der Punkt gemeint, an dem Quantencomputer mehr Wert erzeugen, als ihr Betrieb kostet. In der Strömungssimulation bedeutet das: Sobald Quantencomputing greifbare Mehrwerte liefert und reale Herausforderungen in der Industrie effizienter löst als herkömmliche Methoden, sprechen wir von Quantum Utility.
Aus unternehmerischer Sicht ist hierbei eine umfassende Strategie zur digitalen Transformation sinnvoll – also nichts, was sich von heute auf morgen direkt umsetzen lässt. Stattdessen sollten Unternehmen erkunden, welche ihrer Systeme von einer Umstellung auf Quantencomputer profitieren könnten und wie sich das umsetzten ließe. Innerhalb der Teams gilt es, Fachwissen aufzubauen, um neue Methoden entwickeln zu können. Hier ist mit mehreren Jahren für die Umsetzung zu rechnen. Unternehmen, die einfach abwarten, bis Quantencomputer vollständig ausgereift sind, riskieren jedoch einen erheblichen Wettbewerbsnachteil. Sie müssen die Umsetzung dann erst nachholen, aber mit potenziell erheblichem Rückstand gegenüber der Konkurrenz.
Welche Unternehmen sind Ihnen bekannt, die für quanten-gestützte Strömungssimulationen bereits Vorbereitungen treffen?
Erik Garcell: Das beste Beispiel ist unser Kunde Rolls-Royce, mit dem wir an genau dieser Thematik bei Düsentriebwerken zusammengearbeitet haben. Die Partnerschaft zwischen Rolls-Royce, NVIDIA und Classiq startete mit einem hybriden Ansatz für Strömungssimulationen. Dabei konnten wir einen Meilenstein von zehn Millionen Schichten und 30 verwendeten Qubits erreichen.
Wie könnte sich Quantencomputing auf den Arbeitsmarkt für Ingenieure und Datenwissenschaftler auswirken, die in Bereichen arbeiten, die stark auf Strömungssimulationen setzen?
Erik Garcell: Das Fachwissen innerhalb der spezifischen Bereiche ist bei der Strömungsmechanik entscheidend. Know-how zu Quantencomputern kann man sich daher am besten als ein zusätzliches Werkzeug im Werkzeugkasten vorstellen. Expertise bei den klassischen Verfahren bleiben also relevant, wobei Quantencomputerkenntnisse zu einer zusätzlichen wertvollen Qualifikation werden. Ähnlich verhielt es sich mit der Adaption von GPUs in diesem Bereich – sie sind ein zusätzliches leistungsfähiges Werkzeug, aber eben nicht das Einzige.
Wie entwickelt sich der Talentpool für Quantencomputer? Gibt es genug Fachkräfte, um die Nachfrage in Zukunft zu decken?
Erik Garcell: Das Feld befindet sich derzeit in einer Entwicklungsphase. Die Nachfrage übertrifft also aktuell das verfügbare Fachwissen. Universitäten reagieren darauf mit der Einführung von Studiengängen und Spezialkursen zu Quantencomputern. Auch wir als Unternehmen unterstützen aktiv diesen akademischen Wandel, etwa durch Bildungsinitiativen und Hackathons. Das Ziel ist dabei, eine Pipeline zu schaffen, die Fachleuten dabei hilft, die hybriden Ansätze für quantengestützte Strömungssimulationen in der Praxis anzuwenden.
Wie stellen Sie sich den Übergang von klassischen Methoden hin zum Quantencomputing für Strömungssimulationen vor? Wird es eine plötzliche Umstellung oder eine allmähliche Integration sein?
Erik Garcell: Der Übergang zu quantengestützten Strömungssimulationen wird schrittweise und hybride ablaufen. Denn die Anwender gehen hier pragmatisch vor. Trotz der derzeit beschränkten Hardwareleistung entwerfen und testen sie bereits heute Quantenalgorithmen. Der Schwerpunkt liegt darauf, konkrete, praktische Anwendungen zu identifizieren, bei denen Quantencomputer Mehrwerte liefen können. Unternehmen stärken dadurch nicht nur ihre interne Expertise, sondern können bereits heute Quantenschaltkreise entwerfen, die künftig auf neuer Hardware implementierbar werden – wie es in der Zusammenarbeit zwischen Classiq, Rolls-Royce und NVIDIA der Fall ist
Dr. Erik Garcell
ist Director of Quantum Enterprise Development beim Quantensoftware-Anbieter Classiq.