Schweizer streiten um Open Source
Das Schweizerische Bundesgericht hat etwas getan, was von seinem deutschen Pendant, dem Bundesverfassungsgericht, kaum zu erwarten ist: Die Schweizer Verfassungshüter haben eine Open Source Software entwickelt. Kommerzielle Anbieter laufen dagegen Sturm.
Die Software heißt OpenJustitia. Die IT-Abteilung des Bundesgerichts hat die Lösung auf die Bedürfnisse des Gerichts maßgeschneidert. Die Software ermögliche insbesondere eine effiziente Recherche in Gerichtsentscheiden, hieß es. Das Bundesgericht arbeite seit Jahren mit einer Open-Source-Informatikstrategie und wolle die Software Ende August unter der Open-Source-Lizenz GPL v3 allgemein zur Verfügung stellen.
Zielgruppe sind andere Gerichte in der Schweiz. Die durch öffentliche Gelder finanzierte Gerichtssoftware könne in kantonalen und weiteren Gerichten wiederverwendet werden, hieß es vom Bundesgericht. Damit könnten die Informatik-Kosten der öffentlichen Hand gesenkt und die Steuerzahler entlastet werden. Unternehmen, die selbst Gerichtssoftware entwickeln – zum Beispiel Abraxas, Delta Logic, Eurospider oder Weblaw – könnten die Programme zu den gleichen Bedingungen wie die Gerichte beziehen und in ihre Lösungen integrieren. Die Gerichte und andere Teilnehmer des Projektes OpenJustitia seien verpflichtet, ihre Weiterentwicklungen auf eine gemeinsame Plattform zu stellen. Das Bundesgericht verspreche sich davon, von den Weiterentwicklungen zu profitieren.
Die Initiative des Bundesgerichts ist heftig umstritten. Zu den Befürwortern gehört die Parlamentarier-Gruppe Digitale Nachhaltigkeit, die die Schritte des Bundesgerichts in einer Mitteilung ausdrücklich begrüßte. Der Gruppe gehören 34 National- und Ständeräte aus den Parteien SP, FDP, SVP, CVP, Grüne, GLP und EVP an.
In der IT gebe es zahlreiche Bereiche, in den die öffentlichen Institutionen aufgrund des Koordinationsaufwandes, schwacher IT-Strategie oder aus anderen Gründen nicht optimal kooperierten, hieß es von der Parlamentarier-Gruppe. “Dort können sich private Software-Anbieter oftmals lukrative Geschäftsfelder basierend auf proprietärer Nischensoftware aufbauen und jahrelang Gewinne mit Angeboten erzielen, die weder dem Stand der Technik noch unbedingt den Anforderungen der Behörden entsprechen.” Mit Open-Source-Projekten der öffentlichen Hand werde dagegen ein “gesunder, nicht auf Vendor Lock-in basierender Wettbewerb unter privaten Software-Anbietern ermöglicht”. Innovative Unternehmen könnten dabei für die Behörden zahlreiche Dienstleistungen erbringen – wie Beratung, Integration, Schulung sowie Weiterentwicklungen und Betrieb der Software.
Die Software-Anbieter sehen dies ganz anders. Das Bundesgericht dränge mit steuerlich subventionierten Dumpingpreisen private Anbieter aus dem Markt, argumentieren sie nach Angaben der Schweizer SonntagsZeitung. Demnach haben Unternehmen in mehreren Kantonen über die Einführung einer Lösung für die Onlinepublikation von Urteilen und die Datenverwaltung verhandelt. Diese Verhandlungen seien plötzlich jedoch ins Stocken gekommen – weil das Bundesgericht inzwischen ein günstigeres Angebot gemacht habe.
Der Software-Spezialist Weblaw teilte so dem Branchendienst inside-it.ch mit, man “sehe das Bestreben des Bundesgerichts, zu einem IT-Dienstleister zu werden, als höchst problematisch an”. Anstatt eine durch Steuergelder finanzierte und überdimensionierte IT-Abteilung zu betreiben, sollte das Bundesgericht prüfen, ob die eigene singuläre Lösung nicht durch am Markt bestehende Produkte ersetzt werden sollte. “Dies wäre nachhaltiger und kostengünstiger.”
Nach Angaben der SonntagsZeitung hat FDP-Ständerat Hans Hess die Angelegenheit vor die Geschäftsprüfungskommission der Schweizerischen Bundesversammlung gebracht, die den Fall jetzt eingehend untersuchen soll. Der Kommission gehört auch FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen an, der wiederum Mitglied der Parlamentarier-Gruppe Digitale Nachhaltigkeit ist.
Wasserfallen kündigte an, sich für OpenJustitia einzusetzen. “Ich befürworte im Sinne einer kosteneffizienten Verwaltungs-IT, dass auch andere Gerichte von den bereits getätigten Ausgaben des Bundesgerichts profitieren”, teilte er mit. Mit Dienstleistungen rund um OpenJustitia könnten Software-Firmen neue Geschäftstätigkeiten aufbauen. “Wichtig dabei ist, dass das Bundesgericht alle privaten Anbieter gleich behandelt. Ich werde mich in der Geschäftsprüfungskommission dafür einsetzen, dass die Empfehlungen an das Bundesgericht in diesem Sinne abgegeben werden.”