Appell an Google: Keine Klarnamenpflicht!
Klarnamen sind für die werbefinanzierte Internet-Industrie äußerst interessant. So hat Google im sozialen Netzwerk Google+ kürzlich Profile gelöscht – offenbar, weil sie unter einem Pseudonym angelegt waren. Politiker und Netzaktivisten haben sich jetzt in einem offenen Brief gegen die Klarnamenpflicht bei Google+ ausgesprochen.
Zu den Unterstützern gehören unter anderem die Bundestagsmitglieder Dorothee Bär (CSU), Lars Klingbeil (SPD), Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) und Manuel Höferlin (FDP), Markus Beckedahl vom Verein Digitale Gesellschaft, die Blogger Sascha Lobo und Peter Glaser sowie Xing-Gründer Lars Hinrichs.
Es gehe darum, zu erreichen, dass Google seine Namenspolitik bei Google+ ändere. “Unser Ziel ist nicht ein ‘Shitstorm’, sondern wir möchten gezielt Einfluss nehmen, in dem wir in dieser einen Sache die Kommunikation mit Google suchen und die Argumente und Gründe austauschen. Entsprechendes gilt für andere Soziale Netzwerke wie Facebook“, heißt es in einem Blogeintrag. Der offene Brief ist an Philipp Schindler adressiert, der bei Google als Vizepräsident die Region Nord- und Zentraleuropa (NACE) verantwortet.
In ihrem Brief argumentiert die Gruppe, dass sich ein gehobenes Kommunikationsniveau nicht durch einen Klarnamenzwang herstellen lasse, “da jedermann versuchen kann, unter einer Anscheins-Identität aufzutreten, deren Echtheit Sie mit gängigen Online-Verfahren schwer überprüfen können”. Auch dass Google mit der Regelung Spam verhindern wolle, sei ein schwaches Argument: “Jeder Spammer [wird] versuchen, sich einen glaubwürdigen Echtnamen zu geben.”
Die Nutzung eines Google-Kontos sei unter einem Pseudonym möglich. “Wir würden uns daher auch wünschen, dass Sie dieselbe Regelung für Google+ gelten lassen”, heißt es in dem Brief. Zudem verweisen die Verfasser auf die Rechtslage in Deutschland: Nach § 13 Absatz 6 des Telemediengesetzes hat ein Diensteanbieter “die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren.” Es stelle sich daher die Frage: “Ist Ihnen die Bereitstellung mit pseudonymer Nutzung technisch nicht möglich oder nicht zumutbar?” Die Unterzeichner des Briefes luden Google zu einem offenen Gespräch ein.
Google-Sprecher Kay Oberbeck teilte der Nachrichtenagentur dapd mit, man nehme Rückmeldungen dieser Art “sehr ernst”. Google Plus befinde sich jedoch nach wie vor im Testbetrieb.
Google hatte Ende Juli angekündigt, seine Nutzernamen-Richtlinie für Google+ zu überarbeiten. Der Suchanbieter will Nutzer künftig auf Verstöße hinweisen und die Möglichkeit geben, ihren Profilnamen zu ändern, statt sie einfach zu löschen. Sie sollen auch eine klare Anleitung erhalten, wie sie ihren Namen verändern können, um Googles Standards zu entsprechen. Zudem will Google betroffene Nutzer über weitere Schritte und zeitliche Anforderungen informieren.
Es werde in Zukunft auch eine Kennzeichnung für verifizierte Google+-Mitglieder geben, teilte Google Ende August mit. Sie erhalten ein graues Häkchen neben ihrem Namen. Die Option dient hauptsächlich dazu, damit Nutzer sicher sein können, es mit echten Promis zu tun zu haben, wenn sie ihn in ihre Kreise aufnehmen. Google hatte etwa versehentlich das Profil von William Shatner gelöscht, obwohl es wirklich dem Schauspieler gehörte.
Googles Aufsichtsratsvorsitzender Eric Schmidt riet kürzlich Nutzern, die ihren echten Namen nicht angeben möchten, Google+ zu meiden. Niemand werde gezwungen, es zu nutzen. Menschen, die mit der Angabe ihres Namens ihr Leben riskierten, sollten darauf verzichten – etwa Syrer und Iraner.
Derzeit steht nicht nur Google in Sachen Klarnamen in der Kritik, sondern auch Facebook. “Ich denke, Anonymität im Internet darf es nicht mehr geben”, sagte Randi Zuckerberg, der Schwester von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. “Die Menschen verhalten sich viel besser, wenn da ihr eigener Name steht. Ich glaube, sie verstecken sich hinter der Anonymität und haben das Gefühl, dass sie hinter geschlossenen Türen alles sagen können, was immer ihnen einfällt.” Die Electronic Frontier Foundation (EFF) antwortete darauf mit dem Hinweis, dass es gute Gründe für die Wahl eines Pseudonyms geben könne, etwa für Aktivisten in einem autoritären Regime, Whistleblower und Gewaltopfer.
Unter dem Eindruck der Brevik-Morde hatte auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) “ein Ende der Anonymität im Internet” gefordert und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Vom Grünen-Politiker Malte Spitz hieß es etwa, der Arabische Frühling wäre nicht möglich gewesen, “wenn man bei YouTube nur noch mit echtem Namen hätte Videos hochladen dürfen, bei Facebook nur noch mit Klarnamen Veranstaltungen anlegen könnte oder unter echtem Namen bloggen müsste”.
Inzwischen ruderte Friedrich zurück. Das Bundesinnenministerium habe keine Pläne, gegen die Anonymität im Internet vorzugehen, sagte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa. Der Innenminister habe sich lediglich “für eine demokratische Streitkultur im Netz ausgesprochen”. Er sei der Meinung, dass es im Netz durchaus Bereiche gebe, in denen Anonymität sinnvoll sei. Eine gesetzliche Pflicht, sich im Netz überall ausweisen zu müssen, sei nicht beabsichtigt.