Zalando: “Wir sind bekannter als Coca Cola”
Binnen zwei Jahren ist es dem Internetschuh- und Fashionhändler Zalando gelungen, seine Verkaufszahlen mit einer ausgeklügelten Werbekampagne drastisch zu steigern. Der Verkauf von Schuhen, Kleidung und Sportartikeln boomt, stellt aber auch die Versandlogistik vor große Herausforderungen.
Immerhin jeder vierte Kunde dürfte bei Zalando schon männlichen Geschlechts sein, nachdem das Berliner Start-up seine Produktpalette vom reinen Schuhverkauf im Netz sukzessive auch auf andere Bekleidungsgegenstände und Sportartikel ausgeweitet hat. “Bei den Männern gibt es deutlich weniger Retourlieferungen”, bilanziert Thomas Branz, Head of Warehouse Logistics bei der MyBrands Zalando eLogistics in Brieselang.
Das Wachstumstempo des Unternehmens mit derzeit rund 800 Mitarbeitern ist auf den ersten Blick eine atemberaubende Erfolgsgeschichte. Wer geglaubt hätte, das Prinzip Internetversand tauge nur für Bücher oder andere wenig erklärungsbedürftige Produkte, der dürfte heute bereits eines Besseren belehrt sein.
Denn die Botschaft von Zalando lautet: Schuhe kann man auch über das Netz verkaufen, und das auch noch, ohne sie vorher anprobiert zu haben. Dies bringt freilich die Begleiterscheinung mit sich, dass manche Kunden fünf Artikel bestellen und vier wieder zurückschicken. Man möchte somit gemeinsam mit dem jüngsten Werbespot von Zalando ausrufen, was habt Ihr nur getan?
Fakt ist, der mit dem aggressiven Expansionskurs verbundene Erfolgsweg verläuft nicht ganz frei von Risiken und Nebenwirkungen. Denn zu Beginn lag die Retourenquote noch bei 80 Prozent. “Diese Zahl hat sich mittlerweile auf eine mittlere zweistellige Zahl eingependelt”, so Thomas Branz weiter.
Der Grund für den hohen Rücklauf in der ersten Phase lag aber auch an hausgemachten Problemen, die vor allem in der ersten Werbekampagne begründet lagen. Ein einprägsamer Fernsehspot zeigte schließlich auf, wie der Kunde die Ware ganz einfach und unkompliziert wieder zurücksenden konnte, und das auch noch völlig kostenfrei.
Mittlerweile sind die Versandmengen derart explodiert, dass nach der Eröffnung des ersten eigenen Logistikzentrums in Brieselang (Havelland) bereits die nächste Erweiterung ansteht. In zwei Jahren soll ein zusätzliches neues Versandzentrum in Erfurt (Thüringen) in Betrieb gehen. Rund 100 Millionen Euro fließen in das dortige Lager mit rund 71.000 Quadratmeter Fläche.
Das Zentrum in Erfurt soll ganz nebenbei auch als weitere logistische Drehscheibe im Firmennetzwerk für die internationale Expansion fungieren, die mit Aktivitäten in Frankreich, England, Italien, Österreich und der Schweiz bereits eingeleitet worden ist.
Bei einem Vorort-Besuch von Logistikspezialisten, die eigens vom Deutschen Logistikkongress aus Berlin angereist waren, skizziert das junge Team die bisherige Entwicklung. “Wir haben mittlerweile in Deutschland einen größeren Markenbekanntheitsgrad, als Coca-Cola”, betont Thomas Branz.
Um den Herausforderungen des rasanten Wachstums freilich Herr zu werden, ist ein Managementteam gefragt, das den Begriff der flachen Hierarchien in erster Linie als akuten Handlungsauftrag ansieht. Die ersten Schuhpakete vor drei bis vier Jahren hatten die beiden Gründer Robert Gentz und David Schneider immerhin noch in einer Wohnung selbst verpackt.
Bei einem Sortiment von mittlerweile rund 1000 Marken und 100.000 Produkten, einem kostenlosen Versand und Rückversand und schnellen Lieferzeiten, gehört ein improvisiertes Startup-Image längst der Vergangenheit an. Für bürokratische Feinabstimmungen und langatmige Diskussionen bleibt aber immer noch keine Zeit.
Chaotische Lagerverwaltung mit Köpfchen
Die hoch getakteten äußeren Rahmenbedingungen, die eigene Kapazitätsplanung ständig an den Markt anzupassen, bekommt insbesondere die Logistiktochter von Zalando zu spüren. Im Fachjargon wird das Warenmanagement-System, dem sich die rund 500 Mitarbeiter in Brieselang verschrieben haben, als chaotische oder dynamische Lagerverwaltung bezeichnet.
Dies bedeutet zwar einerseits die Abkehr von einem festen inneren Ordnungssystem. Ziel ist es, die Plätze “zufällig” zu verteilen und damit die Fahrwege so zu optimieren, dass jeder Artikel rasch eingelagert und wieder entnommen werden kann. Das Ganze freilich klingt schlimmer als es ist. Denn ohne eine systematische Struktur findet sich auch bei Zalando kein Mitarbeiter zurecht.
Oder anders ausgedrückt: Jeder Mitarbeiter weiß zu jeder Zeit ganz genau, wo sich die jeweilige Charge befindet. Es gibt klare Richtlinien und Checklisten bei der Einlagerung. Entsprechend gezielte Einweisungen, Mitarbeitertrainings- und Feedback-Schleifen sorgen dafür, dass an irgendeiner Stelle nicht unbemerkt plötzlich das blanke Chaos ausbricht.
“Die Versandkette komplett in Eigenregie zu betreuen, bedeutet für uns eine optimale Logistik zu bester Qualität”, gibt Thomas Branz zu bedenken. Beeindruckend ist dabei weniger die ausgeprägte fachliche IT-Affinität des jungen Teams, sondern der pragmatische und lösungsorientierte Denkansatz.
Binnen kurzer Zeit stellte das Unternehmen immerhin gemeinsam mit einem externen Spezialisten ein eigenes Operationssystem auf die Beine. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass die IT-Logistik keine Geheimwissenschaft mit sieben Siegeln sein darf. Die weitgehende Standardisierung beginnt bereits bei der Einlagerung. Jeder Karton trägt eine eigene Artikelnummer.
Denn das Gros der Mitarbeiter verfügt über kein ausgeprägtes logistisches Vorwissen. Die Belegschaft besteht zu 80 Prozent aus Menschen, die in der strukturschwachen Region zuvor arbeitslos gemeldet waren. Die Verantwortlichen sind stolz darauf, dass es ihnen auf dieser Basis gelang, quasi auf der “grünen Wiese” eine funktionierende Logistik ohne überflüssigen High-Tech-Ballast zu etablieren.
So dominiert in der Lagerhalle mit einer dreistelligen Palettenzahl der durchgängige Informationsfluss mit einer straffen Lieferantentaktung, die freilich aufgrund von saisonalen Schwankungen ausgesprochen flexibel zu reagieren hat. Ein Zonensystem sorgt dafür, dass die jeweilige Ware bedarfsgerecht eingelagert wird.
In Expertenkreisen hebt indes mancher kritische Beobachter den Zeigefinger. Man misstraut dem bisherigen Erfolgsweg von Zalando. So wird bezweifelt, dass dem dynamisch prosperierenden Schuh- und Fashionversand überhaupt der Sprung zu einem auf längere Sicht hin profitablen Geschäftsmodell gelingen kann. “Wir sind ein sehr junges Team, das etwas bewegen möchte”, entgegnet demgegenüber Thomas Branz.