Outsourcing: muss auch der CIO raus?
Alles muss raus? Aber in wie weit macht es denn für Anwender wirtschaftlich Sinn, alles an externe Spezialisten auszulagern. Wie CIOs die richtige Balance von Innovation und Effizienz finden, erklärt Tobias Geber-Jauch, CTO Managed Services Factory bei dem IT-Dienstleister Computacenter im silicon.de-Interview.
silicon.de: Worauf legen CIOs und deren Chefs aktuell mehr Wert, Innovation oder Effizienz? Und wie werden diese Ziele derzeit am häufigsten erreicht, über Eigenleistungen oder über eingekaufte Leistungen?
Geber-Jauch: Die höchste Priorität in der IT hat Effizienz. Sie ist wichtig, um die einzelnen Business-Bereiche eines Unternehmens zu unterstützen. Denn effiziente IT-Prozesse optimieren auch Business-Prozesse. Meistens soll Effizienz nicht so sehr durch Innovation, was wir uns wünschen würden, sondern vielmehr durch Outsourcing und den Einkauf von Dienstleistungen erreicht werden. Innovation dagegen ist immer dann wichtig, wenn sie dabei hilft, Effizienz voranzutreiben.
silicon.de:Worin liegen auf der technischen Seite die größten Herausforderungen für den CIO derzeit? Sind das tatsächlich vordergründig technische Aufgaben oder liegt vielmehr der Anspruch der Geschäftsleitung dahinter, Prozesse umzusetzen?
Geber-Jauch: Dieses Thema ist sehr vielschichtig. Die große Diskussion dreht sich um das Thema Cloud und die Fragen: Wo stehe ich in der Cloud? Was heißt die Cloud für mich? Helfen Private und Public Clouds meinem Business? CIOs fragen sich, ob und wie Cloud-Services ihnen helfen können. Ist hier etwas für mich drin? Hilft mir eine Private Cloud, um die eigene Effizienz zu erhöhen? Oder ist ein externes Auslagern sinnvoll, um Flexibilität und Innovation voranzutreiben? Hier ist die Herausforderung für jeden CIO, dies herauszufinden und zu entscheiden, ob er Services auslagern will.
Ein zweiter großer Punkt ist die zunehmende Consumerization der IT, rund um mobile Endgeräte und BYOD. Viele Entscheider und Mitarbeiter möchten die gleichen Services verwenden wie im Privatleben und üben entsprechenden Druck aus. Der CIO steckt in der Zwickmühle: Einerseits möchte er auf die Wünsche der Anwender eingehen, andererseits muss er Security- und Compliance-Anforderungen erfüllen. Es ist ein Balanceakt zwischen der Flexibilität und damit auch Motivation der Anwender auf der einen sowie Sicherheitsaspekten auf der anderen Seite. Die unterschiedlichen Arbeitsstile und die Geschwindigkeit, wie diese sich verändern, sind immens. Es stellt sich daher zusätzlich die Frage, ob die interne IT dies in der vom Business geforderten Geschwindigkeit selbst umsetzen kann oder ob externe Anbieter hinzugezogen werden.
silicon.de: Falls solche Anforderungen aus dem Top-Management kommen, haben CIOs denn hier maßgeblichen Einfluss auf die Projekt-Ziele?
Geber-Jauch: Das verändert sich gerade dramatisch. CIOs müssen immer mehr die Geschäftsziele verstehen. In den letzten Jahren waren die Entscheidungen größtenteils kostengetrieben. Heute werden CIOs aber zunehmend in die Business-Strategien eingebunden. Daher arbeiten sie eng mit den anderen CXOs zusammen, um die Anforderungen des Managements mit der passenden IT-Strategie zu unterstützen und dazu beizutragen, Unternehmensziele möglichst schnell umzusetzen.
silicon.de: Wie könnte man aus Ihrer Erfahrung heraus die Rolle des CIOs im Unternehmen definieren? Und wie wird die Rolle künftig aussehen?
Geber-Jauch: Der CIO besitzt eine Mittlerrolle zwischen der Unternehmensführung und dem IT-Delivery-Modell des Unternehmens. Heute muss er nicht mehr so sehr die IT führen, Infrastruktur aufbauen oder sich um die Administration der Systeme kümmern, sondern vielmehr eine strategische Position einnehmen. Er überlegt sich, mit welchen neuen Modellen und Innovationen die Unternehmensziele unterstützt werden können. Er konzentriert sich darauf, der Geschwindigkeit und der Flexibilität nachzukommen, die das Business fordert. Und er muss strategisch entscheiden, welche Bereiche besser durch Eigenleistung, welche durch Fremdleistung erbracht werden. Da die Fremdleistungen zunehmen, geraten die rein technischen Fragestellungen für den CIO immer mehr in den Hintergrund.
silicon.de: Werden solche Projekte im Haus umgesetzt, wie können CIOs dann den Nachweis liefern, dass ihre Projekte auch fruchten?
Geber-Jauch: Sie müssen Messbarkeit erzeugen. Daher sollten sie bereits vor dem Projektstart in einem Scoping mit der Geschäftsführung beschreiben, welchen Mehrwert dieses Projekt für das Unternehmen hat. Das können Kosteneinsparungen, Flexibilitätsgewinne oder neue Services sein, die dem Unternehmen helfen, besser am Markt zu agieren. Der Investitionsbedarf muss dabei dem Nutzen gegenübergestellt werden. Die Punkte sind vor dem Projekt von der Geschäftsführung zu verabschieden und auch während des Projekts von der IT ständig zu überprüfen. Dafür sind entsprechende Messkriterien zu definieren, zum Beispiel Aufwand für Administration, Servicekosten, Zufriedenheit der IT-Anwender oder Höhe der Wertschöpfung. Zudem ist vor dem Start festzulegen, wer von dem Projekt einen Nutzen hat. Diese Personen müssen von Anfang an eingebunden werden. Nur dann akzeptieren sowohl Geschäftsführung als auch Anwender das Projekt.
silicon.de: Bekommen Metriken wie Kennzahlen oder andere Methoden beim Rückgriff auf externe Dienstleister mehr Gewicht?
Geber-Jauch: Absolut. Metriken sind in der Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern immens wichtig, um Komplikationen und Diskussionen hinsichtlich Change Management gering zu halten. Das vermeidet auch Qualitätsprobleme oder unterschiedliche Interpretationen des Leistungsspektrums. So sind bereits vor dem Start Projektziele, Lieferumfang, Mitwirkungspflichten und Abnahmekriterien festzulegen. Zudem muss man auch offen über mögliche Risiken sprechen sowie über deren proaktives Management. Oft starten Projekte zu schnell und diese Punkte werden im Vorfeld nicht ausreichend geklärt. Sie tauchen dann während der Umsetzung oder am Ende umso deutlicher auf und führen zu Enttäuschungen und Ärger. Daher sollte man immer überprüfen, ob man sich auf dem richtigen Projektpfad befindet.
silicon.de: Welche Möglichkeiten gibt es, die Auslagerung von Prozessen zu vereinfachen?
Geber-Jauch: Eine gute Vorbereitung ist das A und O. Wichtig ist dabei die Definition der Ziele und Erwartungen an den Outsourcer: Soll er international aufgestellt sein, welche Flexibilität während der Vertragslaufzeit soll er gewährleisten? Wie wichtig sind Innovation, Preis oder Leistungsumfang? Dies sollte vor der Entscheidung geklärt werden, um den richtigen und nicht einfach den günstigsten Dienstleister auszuwählen.
silicon.de: Was genau bedeutet Industrialisierung im Zusammenhang mit der IT eines Unternehmens? Bedeutet Industrialisierung mehr oder weniger Auslagerung?
Geber-Jauch: Industrialisierung wird heute gleichgesetzt mit Standardisierung. Damit wollen Unternehmen die Qualität und Effizienz ihrer IT verbessern. Aber es gibt eine Grenze, ab der eine Standardisierung nicht mehr sinnvoll ist. So sollte beispielsweise nicht jeder Nutzer den gleichen PC erhalten, weil Mitarbeiter unterschiedliche Aufgaben haben. Heute spielt das Thema Standardisierung und Automatisierung vor allem für den Self-Service über Cloud-Angebote eine wichtige Rolle. Doch der CIO muss hier die richtige Balance zwischen individuellen und standardisierten Diensten finden. Diese ist von Branche zu Branche unterschiedlich, je nach Einheitlichkeit der Arbeitsplätze. So nutzen einige Unternehmen beim Outsourcing größtenteils standardisierte Services – beispielsweise für Call Center. Andere wiederum benötigen individuelle Leistungen für Außendienst, Entwicklungsabteilung, Lager- und Büromitarbeiter. Daher umfasst Auslagerung viel mehr als nur Industrialisierung.
silicon.de: Kann man diese Veränderung auch mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation korrelieren? Wurden solche Zyklen denn bereits beobachtet?
Geber-Jauch: Die Zyklen sind vorwiegend eigendynamisch. Mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation hängen diese Veränderungen kaum zusammen. Wir haben zum Beispiel in den letzten Jahren bei großen Unternehmen einen Trend zu Komplett-Outsourcing erlebt. Das hatte zwar Kostengründe, aber lag auch an der Hoffnung, dass sich Synergieeffekte einstellen. In Teilen hat sich dies erfüllt. Insgesamt aber haben Unternehmen festgestellt, dass sie Dienste individuell auslagern sollten und nicht mehr in großen Blöcken. So geben sie heute eher gezielt einzelne Rechenzentrums-, Desktop- oder Applikationsservices heraus. Das gesamte Outsourcing-Volumen steigt dabei, aber die Art des Outsourcings hat sich verändert: Es wird in individuellere Scheiben zugeschnitten. Es gibt Bereiche, die CIOs selbst betreiben wollen und wieder insourcen, um die Effizienz zu erhöhen oder kritisches IT-Wissen zu behalten. Andere industrialisierbare Bereiche werden herausgegeben. Die Kunden sind hier professioneller und erfahrener geworden.
silicon.de: Welches Interesse haben CIOs wenn sie die Eigenleistungen erhöhen? Und wie werden Outsourcing-Partner generell bewertet?
Geber-Jauch: Insourcing hat im Wesentlichen zwei Gründe: Einerseits haben sich bei bereits ausgelagerten Diensten die Hoffnungen auf Qualitätserhöhungen oder Kosteneinsparungen nicht erfüllt. Vor allem bei Offshore-Diensten war die Kundenzufriedenheit oft nicht da oder der Management-Aufwand zu hoch. Andererseits haben CIOs gemerkt, dass es falsch war, kritische Dienste auszulagern und dadurch die Kontrolle teilweise aus der Hand zu geben.
Für die Bewertung des Outsourcing-Partners gibt es verschiedene Möglichkeiten. So lassen sich innerhalb des Vertrags SLAs festlegen. Die Bewertung der Service-Qualität hängt von Reporting-Ergebnissen hinsichtlich Geschwindigkeit oder Verfügbarkeit ab. Über Balanced Scorecards werden regelmäßig Zufriedenheitsumfragen bei Endanwendern durchgeführt, auch im Hinblick auf den Support. Um Vertrag und Qualität zu prüfen, lassen sich dabei externe Auditoren einsetzen, die bei Bedarf auch als Mediator zwischen Outsourcer und Kunde fungieren. Zudem kann der Dienstleister bei Übererfüllung des Vertrags bezüglich Innovation und Effizienz mit Goodies belohnt werden.
silicon.de: Und was bedeutet das für die ‘Industrialisierung’ der IT?
Geber-Jauch: Die Industrialisierung der IT ist davon unabhängig. Denn auch interne Services werden zunehmend über Private Clouds standardisiert und die Messkriterien sind sowohl für standardisierte als auch für individuelle Services wichtig. Doch bei industrialisierten Services erhalten die Kunden meist einen standardisierten Vertrag bezüglich Funktionen, Wartungsfenster, SLAs und Verfügbarkeit, der nicht verhandelbar ist. Bei individuellen Services ist es umso wichtiger, sich zu überlegen, wie der Leistungsschein aussieht, der diese Punkte festlegt. Schließlich möchte der Kunde nicht die Katze im Sack kaufen. Deshalb muss dieser klar und verständlich formuliert sein, damit keine Missverständnisse entstehen.
silicon.de: Welche Rolle spielen in diesen Szenarien aktuelle Hype-Themen wie etwa die Cloud?
Geber-Jauch: Der Begriff Cloud wird inflationär benutzt, da jeder Anbieter ihn anders definiert. So können Kunden oft nicht mehr verstehen, was der Dienstleister damit meint oder was ihm “die Cloud” konkret bringt. Tatsächlich bedeutet Cloud die Industrialisierung auf einer bestimmten Produktebene. Die Kunden möchten aber nicht wissen, mit welcher Technik im Hintergrund die Dienste zur Verfügung gestellt werden, sondern welche konkreten Vorteile und Funktionen sie dadurch erhalten. Diesen Mehrwert zu vermitteln, gelingt vielen Anbietern derzeit noch nicht.
Hilfreich in diesem Zusammenhang ist eine Unterteilung der Cloud-Anbieter in Cloud-Builder, -Integratoren und -Provider. Builder sind Infrastrukturanbieter und Technologiehersteller, die Bausteine zur Erstellung von Private Clouds für Kunden oder Service-Provider bieten. Integratoren helfen Kunden bei der Nutzung von Public Clouds, zum Beispiel Microsoft Office 365 oder Google-Dienste. Cloud-Provider bieten als Serviceanbieter oder Outsourcer individuelle und standardisierte Dienste an. Die Unternehmen müssen sich dann gemeinsam mit dem Dienstleister überlegen, welche Art von Cloud-Diensten sie nutzen möchten.
silicon.de: Welche Themen waren für die CIOs 2012 wichtig? Und welche Bereiche sind in Ihren Augen in diesem Jahr hinter den Erwartungen zurückgeblieben?
Geber-Jauch: Wichtig sind Consumerization, Mobility und Windows 8, aber auch Automatisierung mit Hybrid Clouds, Self-Service-Portalen und Private-Cloud-Management. Nicht erfüllt haben sich die Hoffnungen in Cloud-Angebote für Enterprise-Kunden. Im Moment klafft hier noch eine Lücke zwischen den Angeboten der Provider und den Erwartungen der Kunden. So wünschen sich die Anbieter, dass große Unternehmen häufiger Cloud-Angebote nutzen und Vertrauen entwickeln. Unternehmen sind dagegen enttäuscht, dass Cloud-Angebote noch nicht gut integrierbar sind.