Cloud-Dienste sollten flexibel integrierbar sein, denn proprietäre Strategien haben schon in den Plattformkriegen der Vergangenheit nicht funktioniert. Die besten Marktchancen haben nach Ansicht von Dr. Clemens Plieth diejenigen Provider, die ihren Kunden die größtmögliche Wahlfreiheit bei der Zusammenstellung von Cloud-Diensten lassen.
Im Jahr 2014 werden von Medien und Historikern häufig Vergleiche zu 1914 angestellt, dem Jahr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, und weltpolitische Konflikte auf mögliche Parallelen abgeklopft. Gerne wird in diesem Zusammenhang auch daran erinnert, dass aus der Geschichte zu lernen sei. Betrachtet man den Markt für Cloud-Dienste und die Angebote und Strategien der Anbieter, kann sich ein ähnlicher Déjà-vu-Effekt einstellen: Nutzer können sich zwar problemlos in der Welt des jeweiligen Providers aufhalten, doch der Zugang zu Anwendungen außerhalb dieses “geschlossenen Systems” ist oftmals schwer bis unmöglich. Hatten wir das nicht schon einmal?
Im Rückblick auf die Geschichte der Plattformkriege dürfte den meisten Beobachtern zuerst der Name Microsoft einfallen. Die – oft auch gerichtlichen – Auseinandersetzungen um Windows & Co. sind Legion, wobei der “Browserkrieg” Internet Explorer vs. Netscape eine fast schon vergessene Episode bildet. Den Markt für Betriebssysteme führt Microsoft gleichwohl nach wie vor mit mehr als 80 Prozent Verbreitung an, während es im Browserkrieg ins Hintertreffen geraten ist: Dort haben inzwischen vor allem Firefox, Chrome und Safari das Feld aufgemischt, doch von einer Quasi-Monopolstellung eines Anbieters kann dabei keine Rede sein.
Solche Marktentwicklungen zeigen, dass Nutzer die Vielfalt der Angebote schätzen – und nicht mehr vor die Wahl gestellt werden wollen, sich für ein System und einen Anbieter entscheiden zu müssen. Im Übrigen ist der Versuch, mit proprietären Angeboten und der Nicht-Unterstützung von Standards Nutzer einzufangen, ja keineswegs auf Software-Anbieter beschränkt. Hersteller wie Sony haben lange Zeit auch bei Hardware, Zubehör und Schnittstellen eine solche Strategie verfolgt.
Lessons Learned?
Wie es scheint, wohnen wir derzeit einer weiteren Runde im Plattformkrieg bei: Die IT-Platzhirsche versuchen, jeder auf seine Weise Kunden für ihre eigene Cloud-Welt zu gewinnen. So hat Google mit dem browserbasierten Betriebssystem Chrome OS und den dazugehörigen Chromebooks ein Angebot für mobile Nutzer aufgelegt, das in erster Linie Web-Anwendungen bietet und beispielsweise für die geschäftliche Verwendung kaum in Frage kommt, da es keine professionellen Grafik- oder Videobearbeitungsprogramme enthält. Auch Programme wie Office lassen sich auf Chromebooks nicht installieren; wer sie benötigt, muss über den Google Play Store auf browserbasierte Alternativen zurückgreifen.
Mit Yahoo kündigt ein anderes Schwergewicht nun eine bereits vollzogene Öffnung wieder auf: Zukünftig wird man sich nicht mehr über ein bereits vorhandenes Google+- oder Facebook-Konto bei Yahoos Cloud-Diensten einloggen können, sondern eine eigene Yahoo-ID registrieren lassen müssen. Und dass Apple am liebsten weiterhin Anwender mit proprietären Technologien, Formaten und Geräten komplett in seiner geschlossenen Welt halten möchte, ist nicht neu.
Doch können solche Modelle im Cloud-Zeitalter noch eine Zukunft haben? Nutzer wollen, dass ihre Dienste einfach funktionieren, unabhängig davon, welche Geräte sie dafür verwenden – wie etwa der Cloud-Speicher Dropbox, der mit jedem internetfähigen Endgerät einfach zu handhaben ist und auf allen Plattformen läuft. Genauso dürfen sie erwarten, dass sie – um das Chromebook-Beispiel wieder aufzugreifen – die für ihren Bedarf beste Grafik- oder Videoschnitt-Software aus allen Cloud-Diensten und App-Stores auswählen, buchen und auf ihren Geräten anwenden können. Gewinnen werden den Plattformkrieg daher diejenigen Provider, die unterschiedlichste Dienste aus der Cloud integrieren sowie in einer optisch ansprechenden und einfach zu bedienenden Oberfläche zur Verfügung stellen.
Verschmelzung der Welten
Dies gilt in gleicher Weise für den Geschäftsalltag. Die Nase vorn haben am Ende Cloud-Dienstleister, die ihren Unternehmenskunden integrierte Lösungen für Dienste und Apps bieten und IT-Landschaften nach Bedarf zusammenbauen können. Denn selbst kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) nutzen eine umfangreiche Palette von durchschnittlich rund 300 Systemen und Anwendungen verschiedener Anbieter, die es bereitzustellen gilt. Daher sind Cloud-Dienstleister gut beraten, ihren Geschäftskunden keine fertigen Lösungspakete aufzudrängen , sondern ihnen die Wahlfreiheit zu lassen, Systeme gemäß dem Best-of-breed-Prinzip auszuwählen.
Dabei wird eine der wesentlichen technischen Herausforderungen für Dienstleister im Unternehmenskundenumfeld darin bestehen, nicht nur eine Integration der verschiedenen Anbieter-Welten, sondern auch die Verschmelzung von lokal bereitgestellten Systemen und aus der Cloud bezogenen Anwendungen herzustellen. Nahezu alle Unternehmen benötigen neben Standardanwendungen wie Office, Exchange oder ganzen virtuellen Desktops (VDI), die via Browser online abgerufen werden und prinzipiell auf jedem Endgerät lauffähig sein sollten, weiterhin voluminöse, lokal installierte Spezialanwendungen wie etwa für Grafik und Bewegtbild. (Gleichwohl wird die Mehrzahl der in Unternehmen verwendeten Geräte künftig hauptsächlich Terminal-Funktionen erfüllen, während Rechenarbeit und Speicherung in der Cloud erfolgen.)
Es scheint unter diesen Voraussetzungen wenig wahrscheinlich, dass ein Anbieter von Cloud-Diensten mit proprietären Lösungen reüssieren und ein Quasi-Monopol etablieren kann. Und es ist fraglich, ob sich der Aufwand dafür überhaupt lohnen würde: Das Beharren auf proprietären Ansätzen ist in der Vergangenheit meist zuungunsten dessen ausgegangen, der seine Lösung als Marktstandard durchsetzen wollte.