IRQ 14-07: …schlaand!
Wir sind eine Nation von Weltmeistern. Denn gefühlt war jeder Deutsche am Sonntag Abend im Stadion in Rio. Unser Kolumnist Achim Killer möchte so gerne auch dabei sein. Aber er hat von Fußball keine Ahnung und schreibt deshalb über Supercomputer, Big Data und – wie viele andere, die von Fußball keine Ahnung haben – über die WM.
Was einen umtreibt dieser Tage, ist die Sorge, ob das Human Brain Project der EU, das Vorhaben, das menschliche Gehirn im Rechner zu simulieren, wirklich auf einem wissenschaftlich soliden Konzept basiert. – Über 450 europäische Neurowissenschaftler haben das ja in einem Brief an die Kommission bezweifelt. – Und natürlich: Schalalalala! Weil so Sieger aussehen. Summarisch geht es also um die Frage, ob Computer jemals so performant Bizarres generieren können wie derzeit die Gehirne hiesiger Schlandsleute. “Wir alle sind Weltmeister”, ruft Joachim Löw laut Welt um 13:06 Uhr am Dienstag dieser Woche vor dem Brandenburger Tor. Und das Besondere daran: Jeder ist es in seiner eigenen Disziplin. Der Erfolg hat bekannter Maßen viele Väter und in Schland sogar noch eine mächtige Mutti.
Schon am Montag, um 0.03 Uhr MEZ bloggte eine beflissene Web.de-Redakteurin: “Auch Frau Merkel ist Weltmeister.” Auf eine Weltmeisterin mehr oder weniger kommt’s jetzt auch nicht mehr an, möchte man da doch meinen. Aber niemand hat sich den Titel härter erkämpft als Angela Merkel.
Man merkt es der Bundeskanzlerin zwar an, dass sie sich auf schlüpfrigem diplomatischen Parkett wohler fühlt als auf dem nassen Boden einer Männerumkleide, aber “jedes Selfie mit Poldi bringt ihr zwei Prozent mehr Zustimmung in der nächsten Umfrage zur persönlichen Beliebtheit der Politiker”, sagt Andrea Römmele, Professorin für Kommunikation in Politik und Zivilgesellschaft, am Dienstag im Handelsblatt.
Und dank der Kanzlerin ist auch Gala dabei mit einem bebilderten Artikelchen über ein “witziges WM-Accessoire” – “Merkels coole ‘Schland’-Tasche”. Zwar ist Fußball vor allem ein Männersport. Und in einem Länderspiel stehen nur jeweils elf für Deutschland auf dem Rasen. Aber auch Gala-Leserinnen können etwas für (Deut)schland tun! Auch sie können – wie Gala – dabei sein.
Wissend, wie wichtig schöne Frauen in der Etappe doch für Helden sind, ist wiederum die Bunte ihrer nationalen Pflicht nachgekommen und hat “unsere Spielerfrauen” einem strengen “Style-Check” unterzogen. Ergebnis: Ann-Kathrin Brömmel, “die 23-jährige Freundin des einstigen BVB-Wunderkindes Mario Götze (22) ist unser Fashion-Sorgenkind”. Wären die Fans sich bewusst gewesen, mit welchem Problem der nachmalige Torschütze ins Endspiel gegangen ist, es wäre eine noch größere Zitterpartie geworden.
Trotzdem: Jetzt ist ja alles gut. Und die Bunte stellt ihrem Sorgenkind eine schöne Belohnung fürs Spielerfrauen-Dasein in Aussicht in Form der Antwort auf die selbst gestellte Frage: “Bei Titel Heiratsantrag?” – “Bei Mario Götze und Ann-Kathrin Brömmel könnte das WM-Adrenalin ebenso dazu führen, dass die Frage aller Fragen gestellt wird. Genau wie bei Mesut Özil (25) und Mandy Capristo (24).”
“Wer heiratet zuerst? Stimmen Sie ab!” steht unter dem Artikel im Web. – Schland ist schließlich eine Demokratie.
Und deswegen ist auch deren oberster Repräsentant, Sportsfreund Gauck, zum Endspiel geflogen, hat sich ein Bierflasche gegriffen und ist mit aufs 2-Prozent-trächtige Selfie gekommen.
Aber nicht nur hiesige Politiker sind Weltmeister, sondern auch deutsche Unternehmen. “Es gibt gewisse Parallelen zwischen der deutschen Nationalmannschaft und der Commerzbank”, orakelt auf seinem Blog jenes Geldhaus, das vor fünf Jahren nur mit Steuergeldern hat gerettet werden können. – Spontan fallen einem da allerdings keine Parallelen ein, auf die man Schalalalala! singen könnte.
Das Fachblatt für Weltwirtschaft, die Rheinpfalz aus Ludwigshafen wiederum konstatiert am Dienstag in einer “Analyse”: “WM-Titel kurbelt die Wirtschaft an”. Denn: “Erfolg muss man sich verdienen, das gilt für den Fußball wie auch für die Wirtschaftspolitik: Ohne strukturelle Reformen bleibt ein Land langfristig nicht leistungsstark”, zitiert das Blatt den Europa-Chefvolkswirt der Dekabank Andreas Scheuerle, der solche strukturellen Reformen, will sagen: niedrige Löhne, schon immer gefordert hat. Zumindest virtuell war Andreas Scheuerle also auch im WM-Kader – fast so wie Mario Götze, nur halt ohne Fashion-Sorgenkind am Hals.
Microsoft ist zwar ein Konzern mit Sitz in den USA – aus im Achtelfinale trotz deutschem Trainer – aber ebenfalls Weltmeister. Denn Big-Data-Experten des Unternehmens haben den deutschen Sieg im Endspiel prognostiziert. Beharrlichkeit zahlt sich eben aus. Beim Internet lag Microsoft daneben, bei Smartphones und Tablets. – Einmal muss es ja mal mit einer Prognose klappen.
Und Schland selbst? – Wird jetzt wohl in das Nachschlagewerk “Neuer Wortschatz” aufgenommen. Das Mannheimer Institut für Deutsche Sprache erwägt das. “Schland ist ein Zustand”, erläutert dazu Michael Ebmeyer, der Verfasser des Buches “Das Spiel mit Schwarz-Rot-Gold” im Spiegel.
Es ist dies ein Zustand, in den Computer nie geraten können. Und deshalb werden sie wohl auch nie in der Lage sein, ein neuronales System zu simulieren, das von den Geschehnissen auf dem Stadionrasen auf politische Fortune, wirtschaftliche Prosperität und eheliches Glück zu schließen fähig ist.
Computer sind eben gewöhnliche Rechenknechte. Bei der WM haben sie wieder einmal – schnell und exakt – jene Zahlen geliefert, die (nur) in solchen Zeiten interessieren: Wie hoch die Laufleistung von Bastian Schweinsteiger im Endspiel war – 15,34 Kilometer – und wie Viele von Philipp Lahms Pässen ankamen – 86 Prozent.
Und auch, was schlandslose Gesellen für bemerkenswert halten berechnen sie, wie der Wasserverbrauch Münchner Klospülungen in der Halbzeitpause am Sonntag angestiegen ist etwa – ausweislich der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag von 2500 Liter pro Sekunde auf über 6000.
Aber in Fragen der Nation sollte man sich nie an Computer wenden, beispielsweise wie’s weitergehen soll mit Schland – in den nächsten Wochen, wenn Politiker weiterhin in Fußball-Metaphorik dröhnen, Autos und Fenster immer noch nicht abgeflaggt sind und Experten mit Hooligan-Instinkten die Volkswirtschaft analysieren.
Durch diese Zeit muss man einfach durch. Und man kann sich dafür ja mal den Grundsatz eines unserer Helden zu Herzen nehmen, den von Bastian Schweinsteiger. Der plädiert schließlich gerne für eine “gesunde Härte”.