Mittelstandsexperte und silicon.de-Blogger Heinz Paul Bonn erkennt gerade in einem Bereich dem eigentlich nachgesagt wird, in Technologiefragen stets hinterher zu hinken, plötzlich starkes Interesse an Themen rund um Digitalisierung oder Smart Factory. Dennoch bemängeln genau diese mittelständischen Unternehmen auch zu wenig Unterstützung durch die Politik.
Ende der achtziger Jahre wurde so manches Manager Magazin mit dem Abgesang auf den deutschen Mittelstand gefüllt. Während die Konzerne der Deutschland AG kräftig in Mainframes und Großrechnerlösungen investiert hatten, setzten die mittelständischen Maschinenbauer im Ländle, die Spezialchemiker entlang der Rheinschiene und die Nahrungsmittelhersteller im Norden und Süden weiterhin auf das batterielose Geschäftsprozessmanagement – sprich: sie setzten auf das gute alte Papier.
Ende der neunziger Jahre wurde so manches Computer Magazin mit dem Abgesang auf den deutschen Mittelstand gefüllt. Während die Konzerne der Deutschland AG kräftig ins eBusiness und Online-Prozesse investierten, setzten die mittelständischen Unternehmen weiterhin auf ihre bewährten Workflow-Management-Lösungen – sprich: sie setzten auf die guten alten ERP-Anwendungen.
Derzeit werden so manche Online Magazine mit der Sorge des Mittelstands gefüllt, die Politik und die Großunternehmen der Deutschland AG hinkten bei der Digitalisierung der produktionsnahen Geschäftsprozesse hinterher. Es fehle an technischen Rahmenbedingungen, verlässlichen Standards und einer widerspruchsfreien Datenschutzregelung. Nun ist es vor allem der deutsche Mittelstand, der sich im Voranschreiten behindert sieht.
Es ist schon faszinierend, dass die Unternehmer-Garde, der seit Jahrzehnten das Stigma nachhängt, in Technologiefragen immer eine bis zwei Generationen zurückzuliegen, hier nun ganz vorne mit dabei sein will. Dabei ist der Grund leicht einzusehen: die Steigerung der Effizienz und die Senkung der Kosten bei der Optimierung der Geschäftsprozesse durch Digitalisierung stimmt besonders hoffnungsfroh. Tatsächlich rechnet kaum ein Unternehmen damit, dass die Investitionen in Industrie 4.0 auf kurze Sicht Arbeitsplätze schaffen würden. Vielmehr (und aus Unternehmersicht interessanter) ist da das Versprechen, mit der bestehenden Mannschaft mehr Erfolge erzielen zu können.
Drei Viertel der Befragten, so besagt eine aktuelle Umfrage unter mittelständischen Unternehmern, sieht sich durch die Politik bei der Umsetzung von Industrie 4.0 nur geringfügig unterstützt oder sogar behindert. Zwar basiert die Studie nur auf rund 140 Befragungen und hält damit den strengen Anforderungen an eine repräsentative Umfrage nur bedingt stand – einen Trend drückt sie dennoch aus. Beim wahrscheinlich wichtigsten industriellen Megatrend für den Fertigungsstandort Deutschland, der Digitalisierung der Geschäftsprozesse über das Internet der Dinge, nehmen wir zu wenig Speed auf.
Dabei geben die Mittelständler sich selbst und ihrem Standort gar nicht mal so schlechte Noten: Bei der Umsetzung von Industrie 4.0 sei Deutschland unverändert führend, teilten sie der Unternehmensberatung Staufen mit, die aus dem Befragungsergebnis einen ersten Industrie-4.0-Index kreiert. Auf den Plätzen folgen nach der Selbsteinschätzung Japan und die USA. Allerdings haben erst 15 Prozent der Befragten tatsächlich operative Einzelprojekte zur Produktionsdigitalisierung abgeschlossen. Immerhin aber knapp jeder zweite Mittelständler plant, analysiert, beschafft oder testet derzeit Maßnahmen zur “Smart Factory”.
Insgesamt also befassen sich sechs von zehn Unternehmen bereits aktiv mit Industrie 4.0 – ein Wert, der möglichst bald durch eine breiter angelegte Studie verifiziert werden sollte. Diesen “mittelständischen Revolutionären” wird die Kanzlerin nach dem IT-Gipfel nicht nur aus dem Herzen gesprochen haben, als sie mehr Investitionen in dieses Fortschritts-Segment forderte und förderte.
Es wäre doch zu schade, wenn der Mittelstandsmotor ins Stocken käme, nur weil in den Infrastrukturministerien stärker über die Pkw-Maut und ihre datenschutzrechtliche Würdigung diskutiert wird als über die Festnetz- und Mobil-Verbindungen, die für die anstehende Explosion an Datentransferbedarfen notwendig sind.