Nein, KI ist keine Magie!

KI-Lösungen für den reibungslosen Kundenkontakt sind reif, sagt Gastautor Jean-Denis Garo von Odigo.

Das Thema KI und deren Einsatzmöglichkeiten sorgt für reichlich Verwirrung. Wir verbrennen zu schnell die Idole von gestern, und vergessen dabei, uns mit den realen Anwendungen von KI zu beschäftigen. Diese werden zwar weniger beeindruckend sein als viele erwarten. Sie sind aber im Tagesgeschäft der Unternehmen sehr nützlich, insbesondere im Bereich des Kundenkontakts.

In unserer jüngsten Studie, für die im Juni 2022 1.035 europäische Führungskräfte in Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Deutschland, Spanien und Großbritannien befragt wurden, gaben 79 Prozent der Befragten an, dass sie die Angst noch nicht überwunden hätten, dass KI den Menschen ersetzen wird. Diese Angst hat sich parallel zum Aufkommen der KI und den damit verbundenen Versprechen der Prozessautomatisierung entwickelt.

Übertriebene Darstellung der KI-Innovationen

Künstliche Intelligenz leidet auch unter einer langjährigen, öffentlichkeitswirksamen schlechten Presse, für die es mehrere Auslöser gibt. Erstens ist dies das Ergebnis einer übertriebenen Darstellung der KI-Innovation: Ein Mythos, der von der aufgebrachten Presse aufrechterhalten wird, die begierig auf eine schlagzeilenträchtige KI-Übermacht hinarbeitet. Sowohl die Presse als auch viele Analysten haben sich davon mitreißen lassen, so wie sie es bei autonomen Fahrzeugen, der Blockchain und dem Metaverse getan haben.

Zweitens wurde das Feuer durch Science Fiction und die literarischen und filmischen Darstellungen von allmächtigen Robotern und feindlicher KI weiter geschürt. So wurde die furchtbare Vision einer bewussten Intelligenz geweckt, die, wenn nicht die ganze Menschheit, so doch den einzelnen Menschen ersetzen würde.

Schließlich lenken die falschen Versprechungen einiger Start-ups, die angeblich im KI-Bereich tätig sind, aber über keine einzige Zeile Code zuverfügen, von denjenigen ab, die sich tatsächlich mit KI auskennen. So gibt es einige KI-Anendungen, vor allem die natürliche Sprachverarbeitung (NLP),  mit nachgewiesenem ROI. Sie sorgen nicht für Schlagzeilen, erfüllen aber konkrete geschäftliche Anforderungen ohne viel Aufsehen oder falsche Versprechungen.

Der kontinuierliche Fortschritt von NLP

Bei NLP handelt es sich um eine Technologie, die es Maschinen ermöglicht, die menschliche Sprache zu verstehen. Zwar hat sie ihren Ursprung in den 1950er Jahren, doch heute ist sie eine der wichtigsten Triebkräfte der KI.  Doch wie der unabhängige Analyst Nerys Corfield in einem kürzlich erschienenen Artikel der NoJitter-Community zu Recht anmerkt: “KI ist kein Plug-and-Play-Tool”. In der Tat braucht der richtige Einsatz einer NLP-Lösung seine Zeit und kann nicht überstürzt werden. Es ist möglich, einen Proof of Concept auf einem genau definierten Spektrum mit einem Minimum Viable Product einzurichten. Damit erzielt man überzeugende Ergebnisse – sprich die Relevanzrate.

Allerdings fällt die Skalierung etwas schwieriger aus. Sie erfordert die Unterstützung von Experten, wobei der Zeitplan des Projekts und die notwendige Unterstützung für permanente Veränderungen berücksichtigt werden müssen. Ein KI-Projekt ist ein lebhaftes, sich ständig weiterentwickelndes Projekt, das sowohl entsprechend vorbereitet als auch angepasst werden muss.

Laut unserer Umfrage haben zwar drei Viertel der europäischen Unternehmen in eine NLP-Lösung für Customer Experience-Projekte investiert, aber bei 51 Prozent der Befragten sind die Ergebnisse anders ausgefallen als erwartet. Trotzdem geben die meisten Befragten an, dass sie in den nächsten zwei Jahren weiter in NLP investieren werden, weil die Lösung attraktiv ist, wenn sie erst einmal eingeführt wird. Drei Viertel der Befragten suchen nach Möglichkeiten, ihre NLP-Projekte voranzutreiben.

Zahlreiche Einsatzmöglichkeiten von NLP

Der Einsatz von NLP-Applikationen im Bereich Customer Experience ist durchaus sinnvoll. Sie werden heute für eine Vielzahl von Self-Service-Funktionen eingesetzt, zum Beispiel um Kunden sofort zu antworten, um Lieferdaten oder -termine zu ändern, oder um den Verlust einer Bankkarte zu melden – und das alles rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Der Kunde kann sich auf “natürliche” Weise mit einem Call-bot verständigen, während das automatisierte Contact Center Daten wie Identität und Datenänderungen verifiziert, ohne dass ein Agent hinzugezogen werden muss. Laut unserer Studie ist dies die populärste Anwendungsmöglichkeit für rund die Hälfte der Nutzer.

Eine weitere beliebte Anwendungsform ist laut unserer Untersuchung die automatische Erkennung von Kundenabsichten. Dies kann während eines Gesprächs mit einem Bot oder über textbasierte Nachrichten (E-Mail, soziale Medien) erfolgen. Die Daten können dann verwendet werden, um eine Anfrage zusammen mit ihrem Kontext an den jeweils geeignetsten Agenten weiterzuleiten. Dank kontextbezogener Details ermöglicht NLP auch eine bessere Entscheidungsfindung der Agenten, indem sie ihnen relevante Informationen, Antwortvorschläge oder Einblicke in den Gemütszustand des Kunden (“Sentiment Analysis”) liefern.

Das NLP von den Anrufern dabei nicht wahrgenommen wird, ist keineswegs ein Nachteil, sondern vielmehr ein Beweis für die gelungene Integration in Contact Center-Lösungen. Es ist auch ein Beweis für die technologische Reife in diesem Bereich. Wenn es den Kunden auf eine schnelle Lösung ankommt, ist ein einfacher Weg zu den Antworten das Wichtigste. Dies bedeutet, dass KI immer im Kontext eingesetzt werden muss, um sicherzustellen, dass sie in der realen Welt auch echten Nutzen bringt.

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Jean-Denis Garo

Leiter des Produktmarketings von Odigo.