5G-Ökosysteme: Grundlage der Vernetzung von Mensch und Maschine

5G steht für eine neue Ära des datenvernetzten Denkens in Ökosystemen, sagt Christian Maasem von Detecon International.

Spätestens 2023 wird den meisten Verantwortlichen in Industrieunternehmen klar sein: Um die Automatisierung weiter voranzutreiben, muss man sich frühzeitig mit industrieller Konnektivität beschäftigen. Insbesondere 5G kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Der mobile Kommunikationsstandard fokussiert sich nicht primär auf die Vernetzung von Privatkunden, sondern führt eine Reihe von Fähigkeiten ein, die speziell auf die industriellen Bedürfnisse der modernen Vernetzung zugeschnitten sind. Arbeitsprozesse in den intelligenten Fabriken von morgen werden so auf die nächste Produktivitätsstufe gehoben – 5G steht damit für eine neue Ära der digitalen Vernetzung, indem es über die reine Kommunikationsschnittstelle hinaus ein neues, datenvernetztes Denken in Ökosystemen repräsentiert.

Enabler für die Transformation zur Industrie 4.0

Für diese hocheffizienten und automatisierten Arbeitsprozesse fungiert 5G als Enabler für die Transformation zur Industrie 4.0. Die Automatisierung des innerbetrieblichen Warentransports mittels fahrerlose Transportsysteme, die Erfassung von Maschinenzustandsdaten in Echtzeit für den digitalen Zwilling und die Überwachung durch KI-Algorithmen, die Prozesse anhand von ausgewerteten Bilddaten steuern, sind typische Beispiele. Das Netzwerk ist dabei nicht nur besonders zuverlässig, sondern kann auch besonders große Datenmengen im Gigabit-Bereich übertragen. Dabei betragen die Latenzzeiten gerade einmal wenige Millisekunden.

5G ermöglicht zudem, Tausende von Geräten gleichzeitig in einem Netz zu verwalten. Damit werden bisherige Beschränkungen aufgehoben, ohne andere Anwendungsfälle in ihrer Arbeit zu stören. Wo andere Funknetze in Sachen Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit der Datenverbindung schnell an ihre Grenzen stoßen, ist 5G ein echter Alleskönner und verzeichnet nur geringe Latenzschwankungen – selbst in Situationen wie einem Handover, also dem Wechsel von einer Funkzelle zur nächsten. Diese Schwankungen sind vor allem bei WiFi-Verbindungen häufiger zu beobachten. Ein Grund mehr für die Industrie 4.0, auf 5G-Ökosysteme zu setzen.

Ganzheitliche Hyperkonnektivität durch 5G-Ökosysteme

Um die Fabrik der Zukunft mit der Effizienz von hyperkonnektiven Netzen zu realisieren, ist es für Industrieunternehmen sinnvoll, langfristig 5G-Ökosysteme aufzubauen. Ein Ökosystem mit gut integrierten 5G-Netzen als Basis bietet Unternehmen die Möglichkeit, bessere Produkte zu entwickeln und neue Geschäftsmodelle zu erschließen. Durch zuverlässige Echtzeitdaten und deren Nutzung für automatisierte Regelkreise lässt sich die Qualität von Prozessen und Produkten jederzeit überwachen und bei Bedarf direkt nachsteuern. Konnektivität ist dabei das Bindeglied zwischen der physischen Welt des Shopfloors und den IT-Systemen und Plattformen.

Durch die umfassende Vernetzung lassen sich zudem viele Ressourcen in den internen Prozessen einsparen – sei es in der Entwicklung, der Produktion, der Logistik oder im Vertrieb. Die Analyse des digitalen Zwillings von Prozessen, Produkten oder Betriebsmitteln liefert die notwendige Transparenz für datengetriebene Optimierungen. Maßnahmen wie die Verlängerung zu kurzer Wartungsintervalle, die Auswertung von IoT-basierten Nutzungsdaten eines Produkts oder die automatisierte Erfassung von Prozessschritten lassen sich so umsetzen.

Die enge Vernetzung von Mensch und Maschine sorgt in all diesen Bereichen für einen blitzschnellen und sicheren Datenaustausch, der auch zu einem höheren Automatisierungsgrad führt. Dadurch sind Unternehmen in der Lage, ihre Prozesse schneller an sich ändernde Bedingungen anzupassen und Betriebskosten zu senken. Dieser Effekt macht sich besonders in Branchen bemerkbar, in denen sich Produkte in kurzen Zyklen ändern und somit Anpassungen an Montagelinien oder Logistiksystemen erforderlich sind. In diesem Fall wäre allein die technische Neuverkabelung für jede Anpassung teurer als die eigentlichen Sensorsysteme. Langfristig wird so eine bessere Gesamtüberwachung und Optimierung der Produktionsprozesse auf allen Ebenen erreicht werden.

Die Fabrikvernetzung richtig umsetzen

Auf dem Weg zu einem unternehmenseigenen 5G-Ökosystem bietet sich Unternehmen ein immer größerer Gestaltungsspielraum für die Umsetzung, von der eigentlichen Netzinfrastruktur über mögliche Betreibermodelle bis hin zu den einsetzbaren Endgeräten. Wichtig bei der Umsetzung ist es, mit Weitblick für aktuelle und zukünftige Anwendungsszenarien zu agieren und die Möglichkeiten der schrittweisen Skalierung in Verbindung mit ersten Proof of Concepts (PoC) gezielt zu nutzen. Nur so wird das Optimum aus Geschwindigkeit, Investitionssicherheit und Digitalisierungspotenzial erreicht.  

Folgende Schritte sind dabei wichtig:

Informations- und Nutzenbestimmung
Unternehmen sollten zunächst den Nutzen eines 5G-Ökosystems durch Identifikation relevanter Use Cases und Potenziale erfassen. Anforderungen von aktuellen und geplanten Anwendungen sind dabei entscheidend. Dies legt fest, wie Geräte über Schnittstellen vernetzt werden, um sowohl funktionalen als auch wirtschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. So lassen sich beispielsweise bei der Wartung und Instandhaltung von Maschinen zeitintensive Kontrollen vor Ort einsparen oder Effizienzpotenziale heben.

Planung
Haben Unternehmen die Potenziale von 5G-Ökosystemen für ihre Branche und mögliche Synergien für sich selbst erkannt, können sie definieren, in welchem Kontext das 5G-Netz zum Einsatz kommen soll und welche spezifischen Ziele hier erreicht werden sollen. Die Umsetzung erfolgt dann maßgeschneidert als eigenständig betriebenes privates Netz, als Verstärkung des öffentlichen Netzes oder als Kombination aus beidem. Dabei muss die Integration in bestehende, oft heterogene Systemlandschaft stehts gewährleistet sein, auch bei nachträglichen Anpassungen (Retrofit).

Testphase und Implementierung
In der anschließenden Testphase wird ein erstes 5G-Ökosystem mit den ausgewählten Anwendungsfällen aufgebaut, um diese prototypisch zu validieren. Die Tests können entweder direkt vor Ort oder in einem sogenannten 5G-Industrie-Testbett durchgeführt werden. Hat sich das 5G-Ökosystem in der Testphase für die relevanten Use Cases bewährt, steht einer umfassenden Implementierung in allen Bereichen der Fabrik nichts mehr im Wege, so dass ein entsprechender Blueprint für die Integrations- und Betriebsphase erstellt wird.

Zudem ist es von entscheidender Bedeutung, die Mitarbeitenden in den Transformationsprozess bei der Fabrikvernetzung einzubinden. So wird der reibungslose Fluss von Daten, Informationen und Steuerbefehlen garantiert, und gefundene Muster (Blueprints) lassen sich einfach auf verschiedene Standorte übertragen. Gerade bei global agierenden Unternehmen sind dabei die unterschiedlichen Frequenzverfügbarkeiten und die damit verbundenen unterschiedlichen Betreibermodelle zu berücksichtigen, die sich von Land zu Land stark unterscheiden können.

Die Zukunft gemeinsam digital gestalten

Die neuen Möglichkeiten, die sich durch die Hyperkonnektivität in Verbindung mit 5G ergeben, verdeutlichen: Die Zukunft der Industrie ist digital vernetzt. Auch wenn die Implementierung des Netzes und der Aufbau ganzer 5G-Ökosysteme aktuell noch keine Pflicht sind, müssen sich insbesondere Industrieunternehmen zeitnah mit dem Thema der Hyperkonnektivität auseinandersetzen. Unternehmen profitieren aber nicht nur von einem eigenen 5G-Ökosystem: Denn ist eine interne Infrastruktur erstmal geschaffen, können sich einzelne Unternehmen auch das Netzwerk aus verschiedenen Industriepartnern mit jeweils eigenen Ökosystemen zu Nutze machen.

Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland bei der Transformation zur Industrie 4.0 allerdings noch deutlich hinterher. So sind Länder wie Südkorea, Norwegen, die Arabischen Emirate und Südafrika bereits weitaus besser aufgestellt. Ein Grund dafür sind die Vorbehalte in Deutschland rund um IT-Sicherheit und Datenschutz. Um vernetzt und produktiv über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten zu können, müssen sich Unternehmen daher aktiv dafür einsetzten, dass neue Standards für die Hyperkonnektivität geschaffen werden. Nur so kann auch Deutschland die Implementierung von 5G-Netzen vollumfassend durchsetzen, neue Geschäftsfelder erschließen und international wettbewerbsfähig bleiben.

 

Christian Maasem
 

ist Partner der Detecon International und Head of Hyperconnectivity.