KI-Reifegrad-Studie: Viele Unternehmen stehen noch am Anfang
Enterprise AI Maturity Index von ServiceNow: Im Durchschnitt erreichen Unternehmen nur einen KI-Reifegrad von 44 bei 100 möglichen Punkten.
Überall ist heute KI drin, ist mein Eindruck, wenn ich mir nur die Pressemitteilungen anschaue, die bei uns täglich im Postfach landen. Sie haben mit dem “Enterprise AI Maturity Index” versucht herauszufinden, wo die Unternehmen konkret bei KI stehen. Welche konkreten Chancen sehen die Unternehmen in der KI?
Robert Rosellen: In unserer Studie sehen über 60 Prozent der befragten Unternehmen in KI einen entscheidenden Faktor für künftiges Wachstum. Ein Großteil hat also die Bedeutung von KI schon erkannt und große Erwartungen an diese Technologie. Die meisten Unternehmen erhoffen sich von der KI eine höhere Produktivität und Effizienz, eine verbesserte Kundenerfahrung und Umsatzwachstum.
Künstliche Intelligenz soll ihnen also dabei helfen, Kernprozesse zu optimieren und nicht bloß als ein weiteres Feature zu fungieren. Tatsächlich stehen die allermeisten Unternehmen jedoch noch am Anfang ihrer KI-Reise und befinden sich oft noch in der Planungsphase oder experimentieren mit ersten Projekten.
Gibt es Unterschiede je nach Branche?
Robert Rosellen: Zwar gibt es Unterschiede zwischen den Branchen, jedoch sind diese aktuell noch nicht stark ausgeprägt. Die Technologiebranche ist am fortschrittlichsten, während der öffentliche Sektor etwas mehr Zeit benötigt. Zu Unternehmensgrößen lässt sich feststellen, dass größere Firmen in der Regel schon mehr Ressourcen für die Umsetzung von KI-Projekten aufwenden können, während kleinere Unternehmen häufig vorsichtiger an die Thematik herangehen und zunächst Pilotprojekte starten.
Welche Erfahrungen haben Unternehmen bei der Anwendung von KI gemacht, und auf welche Herausforderungen stoßen sie?
Robert Rosellen: Es überrascht nicht, dass die Technologie-Branche bereits eine höhere Affinität zu KI besitzt als der öffentliche Sektor. Klar ist jedoch, dass alle Branchen noch Potenzial zur Weiterentwicklung haben, auch wenn uns einige KI-Vorreiter bereits von signifikantem Mehrwert durch KI berichten.
Die erste große Herausforderung ist vor allem eine technologische und organisatorische Aufgabe, denn KI-Projekte bringen es häufig mit sich, dass die Integration in Technologie-Stacks, Workflows und organisatorische Strukturen sehr komplex ist. Viele Unternehmen kämpfen aktuell mit dieser Herausforderung.
Die zweite Hürde ist der Mangel an qualifizierten Fachkräften. KI-Anwendungen erfordern eine Vielzahl neuer Fähigkeiten, insbesondere Prompt-Engineering für Sprachmodelle, um qualitativ hochwertige Ergebnisse zu erzielen. Mitarbeiter müssen sich diese Fähigkeiten erst aneignen, um die KI optimal zu nutzen. Zusätzlich sind technische Kompetenzen für Implementierung und Wartung erforderlich. Daher sollte sich jede Führungskraft damit auseinandersetzen, welche Rolle KI und Gen-AI zukünftig in der eigenen Abteilung spielen können, das Team entsprechend einbinden und ermutigen, diese Technologien aktiv zu nutzen.
Wie können Unternehmen den KI-Hype von substanziellen, langfristigen Trends unterscheiden und sich vor falschen Investitionen schützen?
Robert Rosellen: Der Schlüssel bei der Planung und Umsetzung von KI-Projekten liegt darin, den Fokus auf den Menschen zu legen. Unternehmen sollten stets prüfen, wie KI den Arbeitsalltag der Mitarbeiter unterstützen und verbessern kann. Diese Geduld ist entscheidend, denn nicht jede Lösung passt zu den eigenen Bedürfnissen. Wie bei jeder Investition sollte vorher abgeschätzt werden, wie wahrscheinlich der langfristige Nutzen ist. Andererseits ist es ebenso wichtig, KI nicht aufgrund von Hypes zu vernachlässigen, da klar ist, dass KI die Wirtschaft langfristig prägen wird.
Was sind die wichtigsten ersten Schritte für Unternehmen, die eine nachhaltige KI-Strategie aufbauen wollen?
Robert Rosellen: Der erste Schritt ist eine Bedarfsanalyse. Die KI-Lösungen sollten zur konkreten Unternehmenssituation passen und nicht allein zum Zweck der Technologisierung eingeführt werden. Zudem ist eine ganzheitliche Perspektive wichtig. Wer eine nachhaltige Strategie aufbauen will, muss beachten, dass die KI viele Bereiche beeinflussen wird. Veränderungen in der Organisation, im Geschäft und in den Jobprofilen müssen ebenso in die strategische Ausrichtung der KI einfließen. Für eine nachhaltige KI-Nutzung ist auch die Schulung des Personals essenziell – die richtigen Skills sind ebenso wichtig, wie die technologische Reife des Unternehmens.
Welche Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um den Fachkräftemangel zu bewältigen und dennoch KI-Projekte erfolgreich umzusetzen?
Robert Rosellen: Die Mehrheit der KI-Vorreiter hat in unserer Studie angegeben, dass sie neue Workflows eingeführt haben, bei denen die Zusammenarbeit von Mensch und KI die Effizienz steigert. Da jedoch in vielen Unternehmen ein Mangel an KI-bezogenen Fähigkeiten herrscht und der Fachkräftemangel die Neueinstellung erschwert, ist das Up- und Reskilling bestehender Mitarbeiter von besonderer Bedeutung.
In welchen Bereichen sehen Sie den größten Nachholbedarf bei deutschen Unternehmen im internationalen Vergleich?
Robert Rosellen: Positiv ist, dass deutsche Unternehmen bereit sind, in KI-Lösungen zu investieren. Im Durchschnitt verwenden sie rund 9 Prozent ihres IT-Budgets für KI. Im internationalen Vergleich zeigt sich jedoch eine gewisse Zurückhaltung bei den künftigen Investitionen. Während 72 Prozent der deutschen Unternehmen ihre KI-Ausgaben im nächsten Jahr erhöhen möchten, liegt dieser Wert in den Niederlanden bei 86 Prozent. Angesichts der hohen Erwartungen an KI sollten diese Investitionen auch künftig weiter steigen.
Welche Best Practices können sich Unternehmen von Vorreitern abschauen, die bereits jetzt eine erfolgreiche KI-Integration umgesetzt haben?
Robert Rosellen: Unsere Umfrage zeigt, dass KI-Vorreiter eine Kultur der kontinuierlichen Innovation geschaffen haben und ihre Personalentwicklung auf die Kooperation zwischen Mensch und KI ausrichten. Einige der Erfolgsfaktoren der KI-Vorreiter sind die aktive Beteiligung des C-Levels an der KI-Transformation und das Vorhandensein einer klaren Vision für die KI-Reise. Zudem messen KI-Vorreiter den Einfluss der KI und den Return on Investment ihrer Projekte mit klar definierten Metriken.
Wie wichtig ist es für Unternehmen, eine klare interne Kultur und Governance-Struktur rund um KI zu entwickeln?
Robert Rosellen: Enorm wichtig. Viele KI-Vorreiter haben eine Unternehmenskultur geschaffen, die die Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI ermöglicht. Dies gelingt zum Beispiel durch übergreifende Workflows, die den Mehrwert der KI skalieren. Ebenso ist ein umfassendes KI-Governance-System entscheidend, um Compliance sicherzustellen und Datenschutzanforderungen zu erfüllen. Die Kontrolle über Unternehmensdaten ist auch ohne KI wichtig, wird mit deren Einsatz jedoch unverzichtbar.
ist Area Vice President bei ServiceNow,