Sind Sie schon einmal auf das Social-Media-Profil eines Menschen gestoßen, von dem Sie wissen, dass es ihn oder sie nicht mehr gibt? Es ist ein seltsames Gefühl, dass einen dabei befällt. Nicht nur, weil es Erinnerungen an die Vergangenheit weckt, sondern auch, weil man nicht weiß, was nun mit dem Profil geschehen wird. Gibt es Angehörige, die sich darum kümmern werden, oder gehörte der/die Verstorbene zu der wachsenden Zahl von Singles ohne familiäre oder sonstige feste Bindungen? Welche Vorkehrungen wurden für das digitale Vermächtnis getroffen, sind beispielsweise die Passwörter in einem verschlossenen Briefumschlag hinterlassen worden? Oder liegen gar analog zu einem Testament oder einer Patientenverfügung Anweisungen vor, wie mit den Inhalten auf Social-Media-Profilen, You-Tube-Channels und Homepages umgegangen werden soll? Kann alles gelöscht werden oder sollen sich Profil, Channel oder Webseite in einen Platz der Erinnerung verwandeln?
Ob wir es wollen oder nicht, diese Fragen werden uns über kurz oder lang beschäftigen. Einerseits ließe sich argumentieren, dass auch für „Internet-Friedhöfe“ Platz sein müsse. Bei Facebook besteht beispielsweise die Möglichkeit, die Seiten Verstorbener als eine Art digitale Gedenksteine weiter zu betreiben. Andererseits stehen das Netz und seine Dienste vor allem für Leben, Austausch und Aktivität. Datensätze und Bilder von Menschen, die nicht mehr leben, lassen unwillkürlich an die TV-Serie „The Walking Dead“ denken. Die Vorstellung, dass Profile und andere elektronische Existenzformen von Toten weiter aufrufbar sind, als ob nichts gewesen wäre, dürfte weder im Sinne der Verstorbenen noch ihres Freundes-, Bekannten- oder Verwandtenkreise sein. Natürlich haben auch die Anbieter der Social Networks ein Interesse daran, dass die Daten ihrer Mitglieder möglichst aktuell sind – ebenso wie die Provider von Cloud-Speichern oder Mail-Diensten, die nicht gerne „tote Briefkästen“ verwalten möchten, in die unter Umständen unbegrenzt weiter elektronische Werbepost und Newsletter zugestellt werden.
Denn die Frage nach dem „Abschaltknopf“ oder dem „Haltbarkeitsdatum“ für Datenbestände hat noch eine weitere nicht ganz unproblematische Dimension: Die Datenberge, die die Menschheit produziert, sind schon jetzt gigantisch. In ihren Digital Universe-Studien untersuchen die IDC-Analysten regelmäßig die Menge an Daten, die weltweit innerhalb eines Jahres erzeugt oder kopiert wird. 2011 ermittelte IDC ein Volumen von 1,8 Zettabyte, oder anders ausgedrückt: 1,8 Billionen Gigabyte. Um die Zettabyte-Zahl mit den 21 Nullen begreiflich zu machen, haben die Analysten ein paar anschauliche Vergleiche angeboten: 1,8 Zettabyte entsprechen mehr als 200 Milliarden HD-Filmen mit einer Länge von je zwei Stunden. Wer sie hintereinander am Stück gucken möchte, bräuchte dafür 47 Millionen Jahre. Und wenn man die 1,8 Zettabyte auf iPads mit 32 Gigabyte Speicherplatz verteilen wollte, benötigte man dafür 57,5 Milliarden Geräte. Laut den Ende letzten Jahres von IDC veröffentlichten Zahlen hat das Wachstum im Tempo noch einmal zugelegt: Danach belief sich das weltweite Datenvolumen 2012 bereits auf 2,8 Zettabyte und soll bis 2020 40 Zettabyte erreichen. Für diese exorbitanten Mengen fallen einem keine spontanen Vergleiche zur Veranschaulichung mehr ein.
Eine Grenze scheint es für das rasante Datenwachstum nicht zu geben. Im Gegenteil: Der weltweite Siegeszug von Rechnern und Smartphones dürfte angesichts der steigenden Zahl von Internetnutzern in den Schwellenländern und der wachsenden Verbreitung vernetzter Geräte ungebremst weitergehen. Umso dringlicher wird die Frage, wie wir mit dem digitalen Erbe umgehen. Immer mehr Daten haben ihren Speicherplatz in Cloud-Rechenzentren, die trotz aller Techniken zur Verbesserung der Energieeffizienz weiterhin intensive Stromverbraucher bleiben. Die Menschheit kann nicht bis in alle Ewigkeit die Datenberge aller vergangenen Generationen horten, genauso wenig wie sie immer weiter Müll produzieren kann, der nicht recycelt wird.
Google hat seinen Nutzern kürzlich ein Werkzeug an die Hand gegeben, mit dessen Hilfe sie selbst festlegen können, was mit ihren Daten nach ihrem Ableben geschehen soll. Über die Funktion mit der sperrigen Bezeichnung „Kontoinaktivität-Manager“ kann der Nutzer Google beispielsweise anweisen, seine Gmail-Nachrichten und andere Daten nach einer bestimmten Zeit zu löschen, beispielsweise nachdem das Konto drei, sechs, neun oder zwölf Monate inaktiv war. Oder er bestimmt eine Person seines Vertrauens, an die nach Ablauf der Frist Daten geschickt werden sollen. Vor der avisierten Löschung oder Weiterleitung erfolgt aber sicherheitshalber noch eine Vorwarnung per SMS und E-Mail an eine angegebene zweite Mail-Adresse des Nutzers.
Die Idee, ein Verfallsdatum für seine Daten festzulegen, ist nicht neu. Die damalige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hatte sie bereits Anfang 2011 zur Diskussion gestellt. Getan hat sich seitdem allerdings kaum etwas; eine gesellschaftlich akzeptierte Ablaufzeit für Daten ist derzeit nicht in Sicht. Technisch wäre es durchaus machbar, Daten so zu präparieren, dass sie ihre Gültigkeit gemäß eines definierten Haltbarkeitsdatums plattformübergreifend verlieren und nirgendwo mehr Spuren beziehungsweise Kopien von ihnen im Internet zurückbleiben. Ob sich jeder im Ernst- oder Todesfall daran hielte, ist freilich eine andere Sache. Das Sammeln und Horten von Daten ist nicht nur eine Angewohnheit außer Kontrolle geratener Geheimdienste. Auch im Internet-Normalverbraucher kommt beim Thema Daten häufig der Jäger und Sammler zum Vorschein. Es wird daher einiger Anstrengungen bedürfen, Nutzer dazu zu bringen, beim Umgang mit ihren Daten an die Endlichkeit des eigenen Lebens zu denken und Vorsorge zu treffen. Hier haben Politik und Gesellschaft offensichtlich noch Nachholbedarf.
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Was ändert sich denn Grundlegend zu früheren Zeiten?
Menschen hinterlassen z.B. Korrespondenz, die evtl. auch veröffentlicht werden kann. Der Unterschied ist, dass die Anzahl der Teilhaber potentiell höher ist, vom Grundsatz bleibt alles wie gehabt...