Gesucht: Verkehrsregeln fürs Web

Das Internet ist kein Kinderspielzeug mehr – es ist sogar dem liebsten Spielzeug der Deutschen, dem Auto, höchst richterlich gleichgestellt. Der Bundesgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Verbraucher Schadensersatz verlangen können, wenn ihr Internetanschluss ausfällt und der Provider den Fehler zu verantworten hat. In seiner Begründung verwies das Gericht auf die Bedeutung, die das Internet mittlerweile gewonnen hat: “Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist.”

Internet gehört zur “materialen Grundlage der Lebenshaltung”

Damit haben die Richter ein Prinzip, dessen Gültigkeit bis dato nur Wirtschaftsgüter wie Kraftfahrzeuge und Wohnhäuser umfasste, auf das Internet ausgedehnt: “Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Ersatz für den Ausfall der Nutzungsmöglichkeit eines Wirtschaftsguts grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben, in denen sich die Funktionsstörung typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt.” Somit besteht, ohne dass ein konkreter Schaden nachgewiesen werden muss, bei Internet-Nutzungsausfall ein Ersatzanspruch. Dessen Höhe hat der III. Zivilsenat des BGH in seinem Urteil nicht festgelegt. Doch analog zur geltenden Rechtsprechung bei Autoschäden, die den Verursacher bis zu 40 Prozent des Mietwagenpreises kosten können, ist laut den Bundesrichtern im Falle des Internetausfalls ein bestimmter Prozentsatz des Monatstarifs als Schadenersatz einklagbar.

Ist das Internet damit aber auch juristisch “erwachsen” geworden? Bei der Beantwortung dieser Frage kommt es darauf an, welchen Vergleichsmaßstab man anlegt. Bleiben wir beim Auto, dann ergibt sich ein auffallender Unterschied in der rechtlichen Behandlung zweier Wirtschaftsgüter, die doch für die Lebenshaltung gleichermaßen von “zentraler Bedeutung” sind. Auf der einen Seite gibt es eine Fülle von Regelungen zum Straßenverkehr, die alle systematisch in einem Gesetzeswerk zusammengefasst sind, dem Straßenverkehrsgesetz. Es “deckt zusammen mit der Fahrerlaubnisverordnung (FeV), der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV), der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) und der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) weitestgehend das Straßenverkehrsrecht ab”.

Beim Begriff “Internetrecht” herrscht Fehlanzeige

Ein ähnlich systematisches und detailliertes Gesetzeskonvolut wird man in Sachen Internet hingegen vergeblich suchen. Für gerichtliche Bekanntmachungen und Bundesgesetze gibt es das Bundesgesetzblatt und den Bundesanzeiger, für “Internetrecht” bleibt offensichtlich nur der “Fehlanzeiger”. Denn es existiert kein spezielles Gesetzeswerk, das auf das Internet und seine Eigenheiten zugeschnitten wäre. Nicht einmal als Begriff ist “Internetrecht” (oder “Online-Recht”) definiert: “Es stellt kein eigenes Rechtsgebiet dar, sondern ist die Schnittstelle aller Rechtsgebiete im Bereich des Internets”, so die Wikipedia-Erläuterung zum Stichwort “Internetrecht”. In den entsprechenden gesetzlichen Regelungen ist stattdessen teilweise noch von Datenfernübertragung die Rede – ein Begriff, der eigentlich eher ins Museum als in einen Gesetzestext gehört.

In technischer Hinsicht wird Internetrecht häufig den Bestimmungen des Telekommunikationsrechts zugeordnet, inhaltlich dem Medienrecht (das seinerseits wiederum eine so genannte Querschnittsmaterie bildet). Damit ist die Liste der Rechtsgebiete, die für das Internet relevant sind, aber noch längst nicht vollständig. Zahlreiche Delikte von Computerkriminalität bis Volksverhetzung werden gemäß dem Strafrecht behandelt. Themen wie E-Commerce, Haftung und Gewährleistung unterliegen den Bestimmungen des Zivilrechts, Online-Werbung und -Marketing dem Wettbewerbsrecht. Rund um das Thema Domains ist das Namens- und Markenrecht zuständig; das gerade in Deutschland hoch sensible Thema der Speicherung und Weitergabe von Daten fällt unter das Datenschutzrecht.

Womit wir auf die internationale Ebene wechseln können, denn das weltumspannende Netzwerk Internet macht bekanntlich nicht vor Landesgrenzen halt: Bei grenzüberschreitenden Rechtsfällen beziehungsweise “Kollisionen” ist das Internationale Privatrecht gefragt, um zu klären, ob deutsches oder ausländisches Recht anzuwenden ist. Nicht zu vernachlässigen ist in diesem Zusammenhang übrigens auch das Mietrecht, das nach deutscher Gesetzgebung in aller Regel den Vereinbarungen zwischen Anbieter und Nutzer von Cloud-Diensten zugrunde liegt. Wie die auf IT-Recht spezialisierte Anwaltskanzlei Bird & Bird in einer Untersuchung gezeigt hat, tun sich insbesondere viele US-amerikanische Cloud Computing-Anbieter mit den hierzulande geltenden Gesetzen sehr schwer: Die Klauseln zu Haftungsausschluss und Gewährleistungsfristen in ihren Standardverträgen sind mit dem deutschen Mietrecht nicht vereinbar.

Mehr Klarheit und Systematik im Rechtsdickicht Internet

Angesichts der Vielfalt der für das Internet relevanten Rechtsgebiete und seiner mittlerweile auch gerichtlich bestätigten Bedeutung wäre eine systematische Bündelung und Ordnung der entsprechenden Gesetzestexte also sehr wünschenswert, allen Schwierigkeiten zum Trotz, die damit aus Sicht von juristischen Experten verbunden sein dürften. Sicher ist die Materie komplex; es geht nicht einfach um Rechts vor Links, sondern unter anderem um Recht für Links. Dennoch sollten die zuständigen Gesetzgeber von Bund und Ländern einen Anfang wagen bei der Vereinheitlichung der Regelwerke für die Datenautobahn. Damit der Verkehr möglichst unfallfrei fließt und im Falle des Falles für alle Teilnehmer gleichermaßen größtmögliche Rechtssicherheit herrscht.

Redaktion

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  • ... bei dem Wort Vereinfachung musste ich hellauf lachen, das bei einem Artikel, der alles nur nicht lustig ist. Wer unsere politische Klasse länger als ein paar Jahre kennt, der weiß, dass das zur Vereinfachung vorgesehene Gesetzeswerk zuletzt ein gigantischer Moloch wird.

    Herzlichst, der PMa

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