Nehmen wir das Beispiel Tagungen und Konferenzen. Diese führt man schon seit Jahrzehnten nach dem Schema F durch. Man kennt und kann das. In unserer IT-Branche sucht man sich einen männerfreundlichen, ansprechenden Veranstaltungsort – irgendwas mit Auto und Sport kommt immer gut an – gewinnt einen prominenten Keynote-Sprecher, der zieht, und präsentiert natürlich seine gewohnten Produkt- und Firmenvorträge. Im Idealfall berichten einige Kunden aus der Praxis – und das ist schon ein riesiger Qualitätsgewinn. Trotzdem – es tut mir leid – kann ich mich eines gewissen Gähnens nicht erwehren.
Ich glaube, dass sich die Zeiten dieser Art von Konferenzen dem Ende zuneigen. Verstohlen halten mehr und mehr neue Tagungselemente Einzug: Das Open Space-Modul im Rahmen der Tagung, die Twitter-Wand, über die die Konferenz online begleitet wird, oder der Video Stream, über den wichtigsten Vorträge und Diskussionen live ins Netz übertragen werden (und oft auch danach noch abrufbar sind). Gerade das immer normaler werdende Live Streaming führt dazu, dass Konferenzen noch interessanter und interaktiver werden müssen. Warum soll ich mich aus meinem Sessel erheben, wenn ich doch die Vorträge per Livestream bequem daheim oder im Büro sehen kann? Tagungen müssen zu einem wirklichen Kommunikationserlebnis werden. Ich weigere mich noch, neudeutsch Event dazu zu sagen, obwohl in dem Wort einiges von dem mitschwingt, was geschehen muss.
Nicht falsch verstehen: Ich bin ein absoluter Freund davon, sich live und in persona zu treffen. Der direkte menschliche Dialog ist durch die virtuelle Welt und die sozialen Kanäle nicht zu ersetzen (nur zu ergänzen). Ich plädiere aber dafür, mutiger zu werden, Experimente (wie beispielsweise unsere letztjährige IBM JamCamp Bustour) zu wagen, viel stärker mit den Besuchern in Dialog zu treten und diese auch einmal zu fordern. Natürlich können viele Besucher noch nichts mit der Twitter-Wall oder dem Barcamp-Element anfangen, aber trotzdem sollte man sie mutig einbauen und ausprobieren. Und neue Wege der Konferenzvorbereitung und
-Nachbereitung gewinnen an Bedeutung und fördern hoffentlich auch an Qualität.
Doch die Marketing Manager müssen nicht nur Tagungen und Konferenzen adaptieren. Auch andere Elemente des gewohnten Marketingmix unterlaufen einer Veränderung. Wer kennt es nicht? Auf einer Tagung oder Messe hat man seine Visitenkarte abgegeben oder aber man hat seine E-Mail-Adresse auf einer Webseite hinterlassen, um beispielsweise ein White Paper herunter zu dürfen. Adressdaten, insbesondere E-Mail-Adressen, waren und sind die Nuggets des E-Mailmarketings, denn jetzt kann es losgehen: Werbe-E-Mails, Veranstaltungseinladungen (siehe oben) und E-Mail-Newsletter fluten den Posteingang.
Ich bin unterdessen konsequent dazu übergegangen, diese E-Mails abzubestellen und wenn das nicht hilft, werden die Absender in die Spam-Liste des E-Mail-Klienten gesetzt. Warum tue ich das? Weil diese Nachrichten in der Mehrzahl keinen Mehrwert bieten. Meist sind es platte Werbebotschaften und Produktpromotionen. Genau deshalb “unsubscribe” ich sie mit dem Risiko, dass mir auch mal eine nützliche Information entgeht.
Unterdessen perfektionieren wir Marketiers den E-Mail-Versand weiter, indem wir
E-Mail-Marketing-Software einsetzen und darüber die Empfänger noch systematischer bombardieren. Im Idealfall könnte das dazu führen, dass die Empfänger aufgrund ihres Interessenprofils oder Klickverfahrens wirklich nur die Nachrichten und Informationen bekommen, die sie interessieren. In der Realität ist es aber wohl eher so, dass wir als Marketiers lieber eine Nachricht mehr denn weniger verschicken…
Wir beschallen die Empfänger und potentiellen Kunden auf Veranstaltungen, per E-Mail und auf unseren hochglanzbroschürigen Webseiten mit Marketing-Spam. Und wir machen nicht halt und verbreiten diesen Spam auch auf Plattformen wie Xing, LinkedIn, Facebook oder Twitter. Wie genervt bin ich unterdessen über die unzähligen, ungefragt zugeschickten Veranstaltungseinladungen auf Xing. Wie lästig sind die Tweets und Direktnachrichten, die mir Erfolg in Beruf und viel Geld versprechen. Wie oft fragen mich Kollegen, doch über meine persönlichen Social-Media-Konten zu einer Veranstaltung einzuladen. Einen Teufel werde ich tun, ständig solche Promotions an meine Follower oder Fans zu verteilen.
Ich glaube, wir Marketiers brauchen viel mehr Mut zur Qualität, zum Dialog statt zur Einwegbeschallung, Mut zum Beziehungsmarketing. Kunden orientieren sich – auch im
B2B-Umfeld – immer mehr über soziale Kanäle, Communities of Interest und Bewertungsportale über die Angebote der Anbieter. Dort müssen wir präsent sein, nicht im Sinne erneuter Werbung, aber als Experten und dialogwillige, dialogwütige, kompetente Ansprechpartner, die Interessenten einen Mehrwert bieten. Hier zieht das althergebrachte Modell des Massenmarketings nicht mehr. Menschen wollen mit Menschen sprechen. Kunden oder Interessenten wollen mit möglichst kompetenten Ansprechpartnern sprechen, die weiterhelfen. Genau das muss man ihnen einfach machen.
Wir müssen dieses unsere Marketingmodell im Zeitalter des Social Business adaptieren und die Kollegen aus Vertrieb und Service in das neue Modell eines beziehungsgetriebenen Marketings integrieren. Ohne diese Kollegen geht es nämlich nicht. Alle kundenorientierten Bereiche eines Unternehmens – und nicht nur die Marketingabteilung – müssen sich dem Dialog mit dem Kunden öffnen, auf Veranstaltungen, in relevanten Communities, auf sozialen Kanälen und auf der eigenen Webseite.
Dazu gehört Mut und Veränderungswille im gesamten Unternehmen, besonders natürlich im Marketing. Der Marketingmix muss neu gemischt und damit einhergehend müssen, die Kriterien, wie wir Marketingerfolg messen, überdacht und angepasst werden. Die Marketingabteilung im sozialen Zeitalter ist nicht mehr das T-Shirt- und Tassenproduktions-Department. Und auch die Zeit der Marktschreier neigt sich dem Ende, denn die Kunden sind mehr und mehr spam- und werbephrasen-müde. Mehr denn je ist heute das Marketing als kompetenten Moderator und Kommunikator gefragt.
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Lieber Herr Pfeiffer,
die ersten vier Abschnitte unterschreibe ich sofort. Den Rest mit Einschränkung :-)
Nach wie vor kommunizieren über diese Kanäle imho viel zu oft ausschließlich Marketing Mitarbeiter. Das originäre Wissen bzw. die eigentliche Kompetenz liegt doch aber wo anders. Selbst Vertrieb und Service können meist nur Schnittstellen zum operativen Bereich sein. Dort tut man sich aber meist schwer den Einstieg zu finden bzw. man darf erst gar nicht "interagieren". Die Chance der Kommunikation auf Augenhöhen mit dem Kunden geht verloren...
Sollte sich das Marketing in diesem Zusammenhang nicht eher als Dienstleister, Koordinator und als "Enabler" sehen? Denn in der Regel führt alles andere doch nur wieder zu "Marketing blabla".
Viele Grüße
Christian Retz
Hallo Herr Pfeiffer,
zunächst vielen Dank für Ihren Beitrag, der mir als IT-Marketier zu weiten Teilen aus dem Herzen spricht!
Aber auch vielen Dank an Herrn Retz, der einen ganz wichtigen Punkt anspricht, denn auch ich sehe mich als Dienstleister, der Experte in Kommunikation ist und die richtigen Kanäle für die unterschiedlichen Messages auswählt und bedient. Aber was zunächst mal zählt sind Inhalte! Wenn ich keine gute, kundenorientierte Story habe, bringt mir auch die innnovativste Zielgruppenansprache nichts. D.h. wir sind auf gute Inhalte angewiesen und da ist die Vernetzung des Marketiers innerhalb und außerhalb des Unternehmens von entscheidender Bedeutung. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auch eine klassische Konferenz sehr gut funktionieren kann, wenn man einen Sponsor hat, der mit Kunden auf Augenhöhe arbeitet und entsprechende Inhalte bereitstellt.
Ich denke daher, dass die Herausforderung an Marketiers darin liegt, zum einen natürlich die neue Möglichkeiten zu verstehen, aber zum anderen vor allem auch darin, wertvolle Inhalte für die jeweiligen Kanäle zu identifizieren.
Beste Grüße
Andreas Stangl
Hallo Herr Pfeiffer,
nach dem ersten Abschnitt habe ich doch tatsächlich gedacht - jetzt geht es los und auch die weibliche Komponente kommt im Marketing, zumal von einem Profi, zu Wort und Ehren. Weit gefehlt, schade!
Auch stimme ich Herrn Retz zu, daß Marketing eine Schnitstelle nach außen, also zum Kunden, und nach innen zur Produktion o.ä. und somit eher Dienstleister ist. Dieses Zusammenspiel von außen und innen ist meines Erachtens in erster Linie ausschlaggebend.
Sonnige Grüße, Gabriele Kühl
Hallo Frau Kühl, hallo Herr Retz und Herr Stangl,
lieben Dank für die Kommentare. Und ich widerspreche Ihren Bemerkungen nicht: Ich bin ein absoluter Freund qualitativ hochwertiger und interessant aufbereiteter Inhalte. Wir haben viel zu viel Marketing-Blabla.
Und natürlich sollten wir als Marketiers coachen und Dienste leisten. Jedoch möchte ich dazu ermutigen, die eingelaufenen Trampelpfade zu verlassen und zu verstehen, dass wir uns in einem neuen Zeitalter der sozialen Kommunikation befinden.
Grüsse aus dem regnerischen Amsterdam
Stefan Pfeigger