Vor einigen Tagen hat der Bitkom die aktuellen Daten zur ITK-Ausbildung in Deutschland veröffentlicht: Vordergründig sehen die Zahlen gut aus, aber bei genauer Betrachtung wird das Dilemma der IT-Ausbildung in Deutschland offensichtlich. Zur Beseitigung des Fachkräftemangels ist sie nur bedingt geeignet.
Die Erfolgsmeldung lautete: Die Zahl der Studienanfänger im Bereich der Informatik hat im letzten Jahr um mehr als 17 Prozent auf gut 48.400 zugelegt. Für sich genommen wäre das vor dem Hintergrund des aktuellen Fachkräftemangels in der Branche eine mehr als gute Nachricht. Leider gibt es jedoch eine Reihe von Einschränkungen: Zum einen kamen in zwei Bundesländern die doppelten Abitur-Jahrgänge auf den Ausbildungsmarkt, was die Statistik verzerrt. Zum anderen geht es nicht um die Zahl der Studienanfänger, sondern um die der Absolventen. Denn die erschreckende Wahrheit ist: Fast 50 Prozent der IT-Studenten in Deutschland brechen ihr Studium vor dem Examen ab. Die Gründe sind vielfältig und reichen von falschen Erwartungen an das Studium bis hin zu Finanzierungsproblemen. Einige Hochschulen haben aber auch den Anspruch, möglichst nur eine Top-Elite zum Examen zu bringen.
Etwas mehr als 16.000 IT-Absolventen haben die deutschen Hochschulen im letzten Jahr mit Examen verlassen. Selbst wenn alle Studienanfänger ihr Studium erfolgreich beenden würden, wäre das nicht genug, um den momentanen Bedarf der IT-Wirtschaft zu befriedigen. Mehr als 43.000 offene ITK-Stellen haben die Unternehmen laut Bitkom zu besetzen. Gut für die Absolventen, schlecht jedoch für die Wirtschaft und damit für den Standort Deutschland.
Wir haben drei Stellschrauben, an denen wir zur Behebung des Fachkräftemangels drehen können und sollten:
Die erste Stellschraube ist, mehr junge Menschen für die ITK-Berufe zu begeistern. Das ist nicht einfach, besonders vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung , da andere Branchen vor denselben Problemen stehen und wir alle immer stärker um immer weniger junge Leute werben werden.
Die zweite Aufgabe besteht darin, mehr ausländische Fachkräfte anzuwerben und Deutschland als Arbeitsplatz attraktiv zu machen. Die Hürden hierfür sind mit den Blue-Card-Regelungen im August zwar gesenkt worden, doch die Resonanz der potenziellen Kandidaten aus dem Ausland ist sehr gering. Die ausländischen Fachkräfte müssen auch zu uns kommen wollen – und Deutschland besteht nicht nur aus Berlin, München und Hamburg, sondern auch aus Meppen, Herne, Herzogenaurach und Walldorf. Hier müssen wir also im Ausland für den Standort Deutschland werben und zwar für das gesamte Land und nicht nur für die Metropolen.
Schließlich geht es darum, die Quote der Studienabschlüsse zu erhöhen. Natürlich ist nicht jeder für unsere anspruchsvolle, schnellebige Branche geeignet. Und auch nicht jeder Studienabbrecher ist für die Branche verloren, der eine oder andere hat es bekanntlich in der IT-Industrie weit gebracht. Aber wir sollten uns schon die Frage stellen: Warum geben gerade im Bereich Informatik – verglichen mit den meisten anderen Fachrichtungen – soviele Studierende vorzeitig auf? Es darf nicht sein, dass sie aufgrund von rein theoretisch-akademischen Themen die Flinte ins Korn werfen: Die Arbeitswirklichkeit in der IT-Branche hat sich in den letzen Jahren stark gewandelt. Soziale Fähigkeiten, wirtschaftliches Verständnis und projektorientiertes Denken rücken immer stärker in den Vordergrund.
Hierauf müssen sich die Hochschulen bei ihren Studienplänen einstellen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich wünsche mir keine Vereinfachung der Ausbildung, um auch ungeeignete Kandidaten durch das Examen zu schleppen. Wir können es uns allerdings nicht leisten, potenzielle Top-Experten zu verlieren, nur weil realitätsfremde Lehrpläne eingehalten werden. Der Erfolg der dualen Studiengänge beweist es: Die Verknüpfung der akademischen Ausbildung mit beruflicher Praxis ist ein richtiger Weg, um die Abbrecherquote zu reduzieren.
Die Zunahme der Studienanfänger ist also nur vordergründig ein Erfolg. Wir müssen uns gemeinsam anstrengen, dieses Potenzial auch zu nutzen. Denn jede offene Stelle gefährdet ein IT-Projekt in unserem Land, und irgendwann werden die Projekte eben nicht mehr in Deutschland durchgeführt. Immer weniger Leistungen müssen wirklich am Ort durchgeführt werden, da die IT-Industrie immer globaler wird. Sie wird sich weiterhin rasant entwickeln, viele Arbeitsplätze schaffen und keine Rücksicht auf ein Land im “alten Kontinent” mit inflexiblen Strukturen nehmen. Wir sollten diesen Zug (alternativ: Wachstumsmotor) nicht einfach an uns vorbeifahren lassen.
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Ich bin Student der Wirtschaftsinformatik an einer FH.
Die Kommilitonen wollten z.T. eigentlich BWL studieren, sind aber wegen des BWL NCs in WiInfo gerutscht.
Viele Studenten haben auch fachfremde Hintergründe: Da gibt es z.B. Schreiner und Verkäufer. Nicht, dass ich denen das Studium nicht zutrauen würde, aber vielleicht ist es nicht die richtige Weiterbildung...
Zumindest entscheiden das viele für sich selbst.
Ich hoffe für mich, dass ich das richtige Fach gewählt habe, bislang macht es Spaß.
Es ist ja schön über einen Fachkräftemangel zu klagen und hier sinnvolle Ausbildung zu fordern, aber gleichzeitig auf der gleichen Seite eine studierte Fachkraft für eine befristete Position ohne PErspektive zu suchen (http://itjobs.silicon.de/4420/it-allrounder-mw/).
Auch mangelde Zukunftsaussichten tragen dazu bei das Studium abzubrechen. Gerne wüsste ich auch wie Sie bzw. die Bitkom auf 43.000 offene Stellen kommen. Ich denke ähnlich wie der VDI mit sehr fragwürdigen Annahmen. Wenn man die Stellenanzeigen beobachtet hat man oft mehr das Gefühl es wird eine ganz bestimmte Person gesucht oder es handelt sich um Marketing, es gibt Stellen die tauchen seit Jahren regelmäßig im gleichen Wortlaut wieder auf, sind aber angeblich schon immer besetzt.
Auch müssen die Unternehmen mehr von den oft überzogenen Anforderungen an die Position abgehen, nicht jeder kennt alle ach noch so exotischen Systeme.
Dieser Blog meines Erachtens zu kurz gegriffen und schiebt die Probleme auf die Ausbildung in der Uni ab.
Aus eigenen Erfahrung als IHK Prüfer kann ich nur untersteichen, dass die innerbetriebliche Ausbildung zum Fachinformatiker in den letzten Jahren auf ein erbärmliches Niveau, sowohl von der Anzahl der Prüflinge als auch vom Kenntnisstand, herabgefallen ist. Auch hier muss unbedingt angesetzt und die Industrie Vorleistungen tätigen.
Mittlerweile kann ich die ewige Leier des angeblichen Fachkräftemangels nicht mehr hören. Solange die Unternehmen die eierlegende Wollmilchsau im Alter von 25 Jahren suchen mit mind. 10 Jahren Erfahrung bei natürlich niedrigsten Löhnen, hat man natürlich einen Mangel. Aber wie man hier http://www.heise.de/tp/artikel/37/37355/1.html nachlesen kann, werden viele Fachkräfte nicht mal adäquat beschäftigt.
Bevor ich meine jetzige Tätigkeit aufgenommen habe (IT), musste ich über ein halbes Jahr suchen. Auf viele Bewerbungen kam nicht mal eine Eingangsbestätigung geschweige denn eine Absage. Wer so mit potentiellen Mitarbeitern umgeht, muss sich nicht wundern, wenn man bei diesen Unternehmen nicht arbeiten will. Kam man bei einem Gespräch auf Themen wie Einarbeitung oder gar Weiterbildungen zu sprechen, wurden die Aussagen bei den meisten Firmen sehr nebulös. Und das man mit einem Alter von 49 gewissen Lebenserfahrungen mitbringt und dementsprechend auf eine paar andere Punkte Wert legt, als ein Mittzwanziger, scheint auch nicht überall angekommen zu sein. Da sitzt man einer 30-jährigen Führungskraft gegenüber, die ins schwimmen gerät, wenn praktische Erfahrung auf theoretisches Wissen trifft.
Solange die Unternehmen einerseits nicht ihre Anforderungen überdenken und andererseits bereit sind, in Weiterbildungen zu investieren sowie adäquate Gehälter zahlen, wird es diesen ominösen Fachkräftemangel weiter geben.
Der Erfolg der berufsintegrierten Studiengänge ist m.E. in erster Linie darauf zurückzuführen, dass hier eine Vorselektion der Studierenden stattfindet. Würde man die Zulassung zu einem "normalen" IT Studium in ähnlicher Weise von einer Eingangsprüfung abhängig machen, dann würde die Abbrecherquote wohl sofort drastisch sinken. Mehr Absolventen gäbe es deshalb aber immer noch nicht.
Wenn -und ich betone das "wenn"- ein potenzieller Top-Experte unbedingt ein Hochschulstudium (also eine *wissenschaftliche* Ausbildung) absolviert haben muss, um erfolgreich zu sein, dann bleibt nur die erste Stellschraube: mehr junge Menschen für ein IT-Studium zu begeistern. Nach meiner Beobachtung ist es ein Mangel an genau dieser Begeisterung für das IT-Fach, der den meisten Studienabbrechern letztendlich das Genick bricht. Das Fach gilt als "uncool", es ist in der Wahrnehmung vieler junger Menschen mittlerweile in die gleiche Schmollecke abgeschoben, in der die übrigen Ingenieurwissenschaften schon seit Jahren stecken.
Ein Patentrezept zur Abhilfe habe ich nicht, aber klar ist, dass solche Maßnahmen auf jeden Fall *vor* dem Studienbeginn, also zum Beispiel in der Schule greifen müssen.
Die Inhalte des Studiums noch weiter von "theorielastigem Ballast" zu befreien ist kaum möglich. Das hat spätestens die Umstellung von den Diplom- zu den Bachelorstudiengängen ziemlich umfassend erledigt. Die Abbrecher scheitern heute nicht an der Mathematik, sondern an Kernfächern wie "Programmieren". Wenn wir das auch noch weglassen, dann kann man das, was übrig bleibt wohl kaum noch als IT-Studium bezeichnen und die "Fachkräfte" die dabei herauskämen würden wohl kaum den Fachkräftemangel der Industrie beseitigen.