Manchmal fühle ich mich so allein (nein, keine Sorge, nicht schlimm). Ich bin Jahrgang 1967. In den Dimensionen der “Digital Natives” (die es meiner Ansicht nach gar nicht gibt, sondern nur Netznutzer und Netzverweigerer) bin ich alt.
Aber eigentlich ist mein Konflikt eher der, dass mir meine Altersgenossen so alt erscheinen. Und ich merke, dass es scheinbar eine gewisse Altersgrenze gibt, an der viele aufhören bereit zu sein für Veränderung.
Mit dieser Erkenntnis passen so manche Bilder, die ich bislang nicht verstand. Die Seitenhiebe, wenn ich ein neues Gadget bei mir habe in Richtung “Na? Neues Spielzeug?”. Die Irritation, wenn ich im Meeting auf mein Tablet blicke und gelegentlich etwas nachschlage, während alle anderen mit Papier und Bleistift arbeiten (und sich dann gleichzeitig darüber beklagen, wie verschwenderisch wir mit unseren Ressourcen umgehen, während sie die Ausdrucke ihrer E-Mails durchschauen, um sie nach den Meetings dann im Papierkorb zu entsorgen).
Wenn Altersgenossen mir mit stolz geschwellter Brust erzählen, sie fänden sich in einer fremden Stadt auch ohne Navigationssystem zurecht. Und dann bei der nächsten Veranstaltung gute zwei Stunden zu spät kommen, weil der Veranstalter den Weg dorthin so schlecht ausgeschildert habe (WTF for the world). Aber solche Reaktionen erlebe ich auch bei 20-Jährigen und kenne einige Altersgenossen, die genau wie ich stetig an Veränderung interessiert und neuem aufgeschlossen sind.
Die ZEIT hat in einem Debattenartikel postuliert: Wir, die Netz-Kinder, stellt eine Generation dar, die mit dem Internet aufgewachsen ist und deshalb eine andere Erwartungshaltung an Regierungen, Institutionen und die Gesellschaft hat. Aber Moment, ich bin über 40, also sicher nicht mehr der “jungen Generation” im herkömmlichen Sinne angehörig, dennoch würde ich über 90 Prozent der Aussagen des Zeitartikels auch für mich postulieren.
Für mich ist der Begriff der “Generation” abgegriffen und falsch (was übrigens auch der Autor des Zeitartikels mit den Worten: “wir sind eine Generation, welche die Kriterien für diesen Begriff gleichsam in einer Art Umkehrung erfüllt. Es gab in unserem Leben keinen Auslöser dafür, eher eine Metamorphose des Lebens selbst. Es ist kein gemeinsamer, begrenzter kultureller Kontext, der uns eint, sondern das Gefühl, diesen Kontext und seinen Rahmen frei definieren zu können.” bestätigt) . Es gibt Sichtweisen, Einstellungen, Strömungen, die sich erst in Bevölkerungsteilen entwickeln um dann in die Gesamtgesellschaft abzustrahlen. Dass hier oft die Jungen viel mehr vertreten sind, liegt weniger an der Generation als an einem sozio-kulturellen Bruch, der erst in den letzten Jahren stärker hervortritt. Noch meine Eltern konnten sich darauf verlassen, dass gewisse Errungenschaften, gesellschaftlich anerkannte Verhaltensregeln und ja, sogar Technologien sich zu ihrer Lebenszeit nicht wesentlich wandeln. Insofern war es einfach, sich zurückzulehnen und irgendwann zu glauben, man brauche nichts mehr lernen, sich nicht mehr zu verändern.
Aber in meinem Empfinden mit dem Aufkommen des World Wide Web als einfach benutzbare Bedienoberfläche für das weltweit vernetzte Internet entstand eine Bruchkante. Diejenigen, die sich nicht auf das Abenteuer Internet einlassen, seien sie nun 15, 35 oder 75 sind plötzlich außen vor, verstehen viele Entwicklungen nicht mehr. Denn der Wandel ist in die Zeitdimension “Generation” eingebrochen. Der Wandel hat sich dergestalt beschleunigt, dass schon innerhalb einer Generation verschiedene soziale wie auch technologische Umbrüche stattfinden. Die Wiedervereinigung, Obama als Präsident, Schnurlostelefone, die zu Mobiltelefonen, die wiederum zu Smartphones werden. Computer für jedermann, dann Notebooks, dann Tablets. Wir erleben einen Wandel, der den sicheren Generationenhafen zerstört. Wir Netzkinder sind mehrere Generationen.
Wer heute nicht auf dem Laufenden bleibt, wird lange vor dem Rentenalter kulturell und gesellschaftlich abgehängt. Lebenslanges Lernen ist längst kein Buzzword mehr sondern eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. Ebenso wie lebenslange Veränderung. Die Zeiten, in denen ich mir mein kuscheliges Heim einrichten und mir meine (Gedanken-)welt so einrichten konnte widewidewie sie mir gefällt, die sind vorbei. Die Zukunft ist jetzt und wer nicht nach vorne schaut, wird zwangsweise zum Außenseiter.
Wir Netzkinder sind Menschen mit einer zutiefst nach vorne gerichteten Denkweise. Das ist vielleicht das Merkmal, das uns vereint. Wir wollen keinen Status quo, keine Sätze wie “Das haben wir schon immer so gemacht” mehr hören. Wir hinterfragen, stellen auf den Prüfstand, experimentieren mit neuen Formen des Zusammenlebens, des Kommunizierens und ja, auch der Politik. Wir sind Piraten, aber auch Liberale. Wir sind Technokraten wie Künstler, Frauen, Männer, Jugendliche, Erwachsene. Man trifft uns auf Barcamps und Konferenzen, auf Facebook und Twitter aber auch im Verein, in der Kneipe und im Büro.
Wir kommen in Großkonzernen vor ebenso wie in Kreativagenturen.
Und tut mir leid, nein, “von außen” erkennt man uns nicht. Da braucht es schon etwas mehr Engagement und den Willen, zu diskutieren, sich auf andere Meinungen und Lebensmodelle einzulassen.
Was wirklich passiert ist: Mit der Vernetzung durch Internet und moderne Technologien wie Smartphone ist es einer Gruppe, die sonst meist in der Mehrheit der Status-quo-Bewahrer und Veränderungshasser untergingen, plötzlich in die Öffentlichkeit gespült wird, weil ihre Instrumente und ihre Technologien gesellschaftlich relevant und damit ihre Stimme lauter geworden ist.
We are here to stay. Und um euch noch mehr zu verwirren: Wir sind keine Generation, wir sind viele, wir sind Zukunft: Erwartet uns!
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