Sun setzt mit radikalem Strategiewechsel neue Zeichen
Mit einem exotischen Abo-Modell und Solaris à la Open Source kämpft Sun gegen den Abstieg in die 2. IT-Liga. Die anfängliche Skepsis der Analysten ist vorsichtiger Neugier gewichen.
Als ‘Dot in Dotcom’ bezeichnete sich Sun Microsystems in den Hoch-Zeiten des Internet-Booms. Dass der Konzern tief in die Krise rutschte, als die Dotcom-Blase platzte, hat vor diesem Hintergrund eine gewisse Logik. Vor einigen Monaten dann der Paukenschlag: kostenlose Software und Gratisrechner sollen die Konkurrenz das Fürchten lehren. Als Zusatzbonbon lockt Sun mit der Veröffentlichung des Solaris-Quellcodes. Das verschlug auch Brancheninsidern erst einmal die Sprache – doch der Strategiewechsel scheint aufzugehen.
Die Grundidee ist relativ simpel. Die Kunden sollen auf Software, Rechner und Speicherplatz genau so zurückgreifen können, wie auf Strom und Wasser. Wenn die Nutzer die Technik benötigen, soll sie zur Verfügung stehen, abgerechnet wird im Abonnement-Verfahren. Der Preis, den der Kunde für sein Abo zahlt, hängt von der Größe seines Unternehmens und der Anzahl seiner Mitarbeiter ab. Die Regierung eines Entwicklungslandes würde nach diesem Modell beim Kauf einer Software auf Basis der Bevölkerungszahl und des Entwicklungsstandards zahlen.
Das Sun Java Enterprise System gibt es für Behörden und öffentliche Einrichtungen für 0,33 bis 1,95 Dollar pro Jahr und verwaltetem Staatsbürger. Ein Gigabyte Speicherplatz kostet pro Monat 1,65 Dollar. Für die Hardware fallen keine zusätzlichen Kosten an. Überhaupt Hardware. “Bill Gates und ich sind uns darin einig, dass binnen vier, fünf Jahren die Hardware kostenlos sein wird”, sagte Suns neuer COO Jonathan Schwartz kürzlich in einem Interview. Der ehemalige McKinsey-Berater sitzt seit Anfang April im Führungsgremium. Anlässlich seiner Beförderung lobte ihn CEO Scott McNealy für “zerstörerische Innovationen”.
Dabei geht es vor allem darum, zu retten was zu retten ist. Einst Pionier der vernetzten Welt schreibt Sun seit 2002 rote Zahlen, der Umsatz hat sich in den vergangenen vier Jahren halbiert. Die kreativen Geschäftsmodelle sind die letzte Möglichkeit, um den einstigen Herrscher des Netz-Universums vor einem Nischendasein zu bewahren. “Zum ersten Mal sehen wir Sun als eine Firma, die Angriffe der Konkurrenz mit Initiativen abwehrt, die dem Unternehmen helfen könnten, wieder als eine Macht am Markt aufzutreten”, kommentiert die Gartner Group den Stand der Umbauarbeiten.
“Sie hinken der Konkurrenz ein bisschen hinterher, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung”, so Illuminata-Analyst Jonathan Eunice. Schließlich gebe es auch von Hewlett-Packard (HP), EMC oder IBM kreative Finanzierungs-Modelle. Der Grundgedanke ist dabei immer derselbe. Hardware, Software und Services werden im Paket angeboten und sollen dem Kunden ein besser kalkulierbares und letztlich billigeres Arbeiten ermöglichen. Doch Sun gibt sich selbstbewusst. “Wir gehen hierbei sehr klug vor und haben eine völlig andere Strategie als Hewlett-Packard und IBM”, sagt Marissa Peterson, Executive Vice President Network Services und oberste Kundenstrategin bei Sun.
Tatsächlich gibt es immer wieder Erfolgsmeldungen. So hat das US-Finanzhaus First State Bank kürzlich angekündigt, seine IBM-Mainframes samt dem dazugehörigen Betriebssystem VSE auszumustern und zu Suns Sparc-basierten Servern und der Solaris-Software zu wechseln. Die Zeiten freilich sind vorbei, in denen Sun für die einst konkurrenzlose Kombination das Doppelte als die Konkurrenz verlangen konnte. Selbst Lieferzeiten von mehreren Monaten ließen sich die Kunden gefallen.
Doch anstatt die Cash Cow mit genügend frischer Energie zu versorgen, badete man in Kalifornien in Selbstzufriedenheit und verpasste glatt den Anschluss. IBM und HP machten bei den Servern Boden gut und bei der Software griffen die Kunden zu Microsoft-Produkten – oder aber zu Linux. Bei Sun hatte man das kostenlose Betriebssystem lange unterschätzt, zu sehr war man von den Vorteilen der eigenen Sparc/Solaris-Kombination überzeugt. Um die Kunden zur Rückkehr zu bewegen, gibt es für das Unix-Derivat Solaris inzwischen eine Reihe neuer Funktionen.
Doch der Einfluss der Open-Source-Bewegung auf das eigene Geschäftsmodell ist nicht mehr zu stoppen. So kündigte Sun Anfang Juni auch für sein Betriebssystem einen radikalen Kurswechsel an. Das Unternehmen wird seinen Solaris-Quellcode offen legen und damit zu Open Source machen. Damit nimmt Sun offenbar Abschied von der Strategie, mit einem eigenen Betriebssystem am Markt anzutreten.
Zwar hatte Schwartz noch vor vier Monaten auf einer Analystenkonferenz angekündigt, dass der Quellcode von Solaris auf keinen Fall offen gelegt werden soll. Dies ist jedoch nicht – wie von manchen Beobachtern behauptet – ein Zeichen für mangelnde Planung. Schließlich wird das Betriebssystem hauptsächlich im Bündel mit Hardware und den passenden Support- und Serviceverträgen vertrieben. Ein proprietäres Solaris hat in diesem Zusammenhang – der ja genau das oben beschriebene Abonnement-Modell verwirklicht – keine Notwendigkeit mehr.
Dass sich der COO vor nicht allzu langer Zeit noch in Schweigen gehüllt hat, ist möglicherweise vielmehr ein Zeichen für den erbitterten Widerstand, mit dem der Reformer Schwartz innerhalb des Unternehmens zu kämpfen hat. Laut Sun-Insidern ist der Grundstock für das Open Source Solaris längst gelegt, nur die Frage nach der genauen Form der Lizenz sei noch ungeklärt. Sun will auf jeden Fall vermeiden, dass es von Solaris ähnlich wie von Linux unterschiedliche Distributionen gibt, die zum Teil inkompatibel sind.
Doch Solaris ist – vielleicht sogar noch mehr als die Programmiersprache Java – die heilige Kuh im Hause Sun. Auch die von Schwartz durchgesetzten umfassenden organisatorischen Veränderungen – inklusive der weiteren 3000 gestrichenen Stellen letzten Monat – machen es ihm nicht leichter, die notwendigen Veränderungen der Unternehmenskultur durchzusetzen. “Seien sie sich sicher, wir werden Solaris Open Source machen”, sagte Schwartz vor einigen Wochen, nicht nur zu den anwesenden Entwicklern auf einer Konferenz in Shanghai, sondern wohl auch in Richtung der hausinternen Hardcore-Verteidiger eines proprietären Solaris.
Fest steht, dass die Lawine, die Linux in der IT-Welt losgetreten hat, längst rollt. “Suns Ankündigung könnte ein Signal sein, dass die Tage der kommerziellen Betriebssysteme gezählt sind”, sagte Michael Haney von der IT-Beraterfirma Celent gegenüber der Financial Times Deutschland. Möglicherweise könnten auch andere Hersteller durch den Erfolg von Linux zu einem Kurswechsel gezwungen werden.
Fragt sich nur, ob Sun das Steuer nicht doch zu spät herumgerissen hat. Denn während man dort damit beschäftigt war, das Klima für eine Quellcode-Veröffentlichung zu testen, haben IBM und HP ihren eigenen Unix-Varianten längst den Rücken gekehrt und auf Linux gesetzt. Und so übt man sich bei Sun schon mal in ungewohnter Bescheidenheit und kehrt zu alten Tugenden – beziehungsweise zu einem alt bewährten Werbeslogan – zurück: “Das Netz ist der Computer.”