Berliner Features
Man hätt’s jetzt halt doch schon mal gerne gewusst, was es denn mit diesem Bundestrojaner wirklich so auf sich hat.
Das sollte eigentlich in einem Staat, der Bundesrepublik heißt, selbstverständlich sein, dass die Leute sich in der res publica, also den öffentlichen Angelegenheiten, auskennen.
Aber über das digitale Ungeziefer im Staatsdienst weiß man noch immer nichts Genaues. Der Sicherheitsexperte der Gesellschaft für Informatik Professor Hartmut Pohl fasste unlängst in Radio Bremen den aktuellen Kenntnisstand, den die sachkundige Öffentlichkeit haben kann, so zusammen: “Das ist kein Virus, das ist kein Trojaner, es ist auch kein Wurm.”
Aber was ist er dann? Und welche Features hat er?
Diejenigen, die zum Wohl der res publica bestellt – und meist auch ganz ordentlich bezahlt – sind, vertreten die Meinung, dass die Leute das gar nicht so genau zu wissen brauchen. Und sie beklagen sich statt dessen über die Konsequenzen, die ihre Auffassung hat.
“Wir müssen wegkommen von diesen Gespensterdebatten”, forderte am Samstag Beate Merk. “Bayerns Justizministerin mahnt zur sachlichen Debatte im Streit um Online-Durchsuchungen” überschrieb der Deutschlandfunk das Interview. – Aber wie, wenn man nirgendwo erfährt, was Sache ist?
Sei’s drum. Zwar wird die deutsche Öffentlichkeit über die Features des Bundestrojaners im Dunkeln gelassen. Aber die Features derjenigen, die ihn einsetzen wollen, sind in der Debatte – welcher Art die auch immer sein mag – klar zu Tage getreten.
Da ist zum einen der Innenstaatssekretär August Hanning, der ein doch sehr proprietäres Verständnis von demokratischer Öffentlichkeit hat. Laut dem Magazin Der Spiegel will er die Diskussion über den Trojaner mit der Begründung beenden: “Kriminaltechnische Details haben in der Öffentlichkeit nichts zu suchen.”
Der Mann ist ein echtes Legacy-Problem! Der könnte auch mal ein Update seiner politischen Firmware vertragen. Denn das, was er immer noch im Kopf hat, stammt aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, als es Friedrich dem Große Kurfürst gefiel, anzuordnen: “Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen.”
Ein anderer, der Chef des Bundeskriminalamts Jörg Ziercke, wiederum ist ein veritabler Downsizer. Als der die obligatorische Mahnung zur Sachlichkeit abgab – im Magazin Stern – da tat er dies mit den Worten, dass es bei der Online-Durchsuchung “schlicht und einfach um fünf bis maximal zehn solcher Maßnahmen im Jahr” gehe. – Als ob sich die Unbedenklichkeit einer polizeilichen Maßnahme danach bemisst, wie oft sie ergriffen wird.
Gerhard Baum jedenfalls sieht da keinen Zusammenhang und sagte gleichfalls dem Stern: “Ein Fall genügt, um einen Verfassungsverstoß feststellen zu können.” Der Mann ist in der FDP, deren nordrhein-westfälischer Innenminister die Online-Durchsuchung bereits eingeführt hat.
Baum hat dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Was zeigt, dass die Liberalen seit den Zeiten eines Innenministers Baum bis zu jenen eines Ingo Wolf ein konsequentes Down-Grading betrieben haben.
Die SPD hat sich auch zum Thema geäußert. – Ein Hoax!
Und dann ist da natürlich noch die Hauptperson: Wolfgang Schäuble. Rein von seinen Features her betrachtet, ist der Mann ja ein High-Performance-System. Ein richtiges Multitasking-Talent. Nebenbei und nebenläufig bringt er es auf einen schier unvorstellbaren Output – an Vorschlägen, die mit dem hiesigen Grundgesetz inkompatibel sind: Bundeswehr im Innern – Erschießung auf Verdacht – Online-Durchsuchung ohne Richterbeschluss.
Und nichts davon bringt ihn zum Absturz. Kein Politiker ist derart fehlertolerant wie Wolfgang Schäuble, jedenfalls was die eigenen – für einen Verfassungsminister – fatal Errors anbelangt.
Nicht einmal sein Amtsvorgänger Otto Schily. Der war mehr ein Echtzeit-System. Zwischen Instruction und Execution gab’s bei dem keine Latency, auch nicht die, die notwendig gewesen wäre, um einen Gesetzgebungsprozess aufzusetzen – wie bei der Online-Durchsuchung.
Ach ja. Das sind die Features unserer Innenpolitiker. Trustworthy ist von denen kaum einer.
Die bayerische Justizministerin sorgt sich denn auch über den Vertrauensverlust. Im Deutschlandfunk-Interview formuliert sie mütterlich, wie es sich für CSU-Politikerinnen gehört. Und – befragt nach den technischen Möglichkeiten des Bundestrojaners – sagt sie: “Wir müssen sehr viel mehr unseren Menschen sagen, wozu wir fähig sind…”
Nein, Frau Merk. Das ist bekannt. Und eben darin liegt das Problem.