Schon 1959 glaubte der britische Wissenschaftler und Schriftsteller C. P. Snow, dass die Welt grundsätzlich in zwei Kulturen geteilt sei – Natur- und Geisteswissenschaften. Er vertrat die Meinung, dass wir diese Lücke schließen müssten, um die größten Probleme der Welt zu lösen. Das Thema ist angesichts der dynamisch fortschreitenden Entwicklung rund um Künstliche Intelligenz (KI), Robotik und Maschinelles Lernen aktueller denn je.
Viele Herausforderungen, die durch den zunehmenden Einsatz von KI und Robotic Process Automation entstehen, liegen gerade darin begründet, dass Technologien von Programmierern und Analytikern entwickelt werden, die nicht ausgebildet sind, um über die gesellschaftlichen oder ethischen Auswirkungen ihrer Arbeit nachzudenken. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Personen, die versuchen, philosophische, ethische und rechtliche Fragen im Hinblick auf neue Technologien zu beantworten, Personen, die letztlich keine Ahnung haben, wie Algorithmen, die etwa Facebook zugrunde liegen, überhaupt funktionieren.
Wie werden wir jemals zu einem Punkt kommen, an dem wir verstehen können, wie Technologie innerhalb einer Gesellschaft verantwortlich eingesetzt werden kann, wenn wir keine Menschen haben, die diese beiden Kulturen überbrücken können? Es wird nicht funktionieren. Wir müssen deshalb aufhören, Informatiker auszubilden, die sich ausschließlich auf die Software-Entwicklung fokussieren, und Wirtschaftswissenschaftler, die nichts über Data Science wissen. Da die Technik zunehmend in unseren Alltag eingebettet ist, müssen die Natur- und Geisteswissenschaften heute stärker denn je miteinander verflochten werden.
Auch wenn die Trennung nach wie vor existent ist, so sind doch bereits Veränderungen erkennbar: Vielfach verschwimmen die Grenzen, etwa auf dem C-Level von Unternehmen. CFOs sind von reinen Accountants, die sich mit Budgets und Kosten befassen, zu Verantwortlichen für alles geworden, von der Einhaltung von Compliance-Anforderungen bis zum Risikomanagement. CMOs sind zu Mitarbeitern geworden, die das gesamte End-to-End-Kundenerlebnis verwalten müssen. Und CEOs haben sich zu Chief-Enablern entwickelt, die horizontal über Geschäftsbereiche, Abteilungen und Zeitzonen hinweg führen müssen, um auf Marktveränderungen in Echtzeit zu reagieren. Auch für alle anderen Führungskräfte gilt: Die erfolgreichsten werden diejenigen sein, die zwischen verschiedenen Kulturen und technischen und gesellschaftlichen Anforderungen hin und her wechseln.
Doch wie kann dieser Wandel erreicht werden? Wir brauchen zum einen Programmierer und Data Scientists, die sich um die ethischen Auswirkungen der von ihnen entwickelten Algorithmen Gedanken machen. Und wir brauchen zum anderen Marketing- und Vertriebsmitarbeiter, die verstehen, wie die Technologie, die sie vermarkten, tatsächlich funktioniert.
Und welche Maßnahmen sind erforderlich, um diese Ziele zu erreichen. Ich sehe dabei vor allem drei wichtige Aspekte:
1. Ausbildung
In erster Linie ist eine interdisziplinäre Ausbildung erforderlich. Bereits Kinder müssen lernen, wie Geisteswissenschaften und MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik)-Themen miteinander verbunden sind. Und Informatikstudenten sollten dazu angehalten werden, einen Philosophie- oder Ethikkurs zu besuchen. Wirtschaftswissenschaftlern hingegen sollten Grundlagen der Programmierung vermittelt werden.
2. Persönliches Engagement
Ein Erfolgsrezept liegt in der Fähigkeit, sich zwischen den beiden Kulturen hin und her zu bewegen. Der erste Schritt besteht darin, nicht mehr in Entweder-Oder-Kategorien zu denken, sondern gewissermaßen zu „Technologie-Mensch-Hybriden“ zu werden. Programmierer müssen sich in die Lage ihrer Benutzer versetzen und sich auf die Lösung von Problemen konzentrieren, nicht nur auf die Programmierung um der Programmierung selbst willen. Und die Benutzer müssen die Komplexität und Leistungsfähigkeit der von den Programmierern gelieferten Lösungen schätzen. Um in Zukunft erfolgreich zu sein, sollten wir alle bestrebt sein, mehrdimensional zu werden.
3. Recruitment
Wichtig ist auch, dass Unternehmen mit der Rekrutierung von Mitarbeitern beginnen, die „beide Sprachen sprechen“ können. Sie sollten diesbezüglich auch Schulungen für ihre Mitarbeiter anbieten. Wenn mehr Unternehmen aktiv Kandidaten suchen und entwickeln, die in beiden Welten effektiv arbeiten können, werden die richtigen Impulse gesetzt.
Die mit technologischen Neuerungen immer verbundenen Herausforderungen und Risiken sollten folglich nicht nur kritisch betrachtet, sondern vor allem auch als Chance verstanden werden, die traditionell vorhandene Kluft zwischen Geistes- und Naturwissenschaften zu überbrücken.
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