Die IT-Branche boomt. 2017 wurden in ITK-Unternehmen 45.000 neue Jobs geschaffen, 2018 erwartete die Bitkom weitere 42.000 Stellen. Es wären auch noch mehr drin gewesen, nur fehlen geeignete Fachkräfte. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) zählte im April 2018 insgesamt 486.000 unbesetzte Stellen in den MINT-Berufen – 55.000 davon in der ITK-Branche. Und laut IW sind es doppelt so viele offene Stellen wie noch vor vier Jahren. Dieser Mangel ist nicht nur unangenehm und setzt die vorhandenen Mitarbeiter unter einen enormen Leistungsdruck, sondern kostet deutsche Unternehmen bares Geld – elf Milliarden Euro im Jahr.
Wer soll diese Lücke stopfen? Fragt man Arbeitgeber und Industrieverbände, so hört man, dass die Politik mehr tun soll. Hochschulen sollen aufstocken, die Bitkom spricht von 40 neuen Professuren für KI, die Große Koalition will fünf Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren für den „Digitalpakt“ in die Bildung investieren. Aber das reicht noch lange nicht. Gerade die Hochschulen klagen darüber, dass Studenten ohne notwendige Vorkenntnisse zu ihnen kommen. Drei Verbände stimmen mit ein – der Bundesverband der deutschen Industrie, die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und die Arbeitgebervereinigung Gesamtmetall – sie alle fordern: Alles muss bereits in der Schule beginnen. Schüler müssen mehr digitale Kompetenzen aufbauen.
Digitale Schulen? Fehlanzeige
Die Erwartungen an unsere Schulen sind groß. Seit Jahren geben Bildungspolitiker Lippenbekenntnisse ab, wie wichtig die Digitalisierung ist und wie neue Lehrmittel eingesetzt werden sollen, um die Schulen ins 21. Jahrhundert zu holen. Fragt man jedoch die Schüler, so fühlt sich nur knapp die Hälfte durch den Umgang mit Technik in der Schule gut für das Arbeitsleben vorbereitet: Citrix hat im April und Mai 2018 gemeinsam mit Censuswide mehr als 1.000 Schüler in Deutschland zwischen 12 und 15 Jahren befragt. Das Ergebnis: Es gibt noch viel zu tun.
Technologie ändert sich so rasant, dass die starren Prozesse in unserem Bildungssystem dafür sorgen, dass Schulen selten am Puls der Zeit sind. Doch wie sehr sie hinterherhinken, ist bezeichnend: Die Spitze der technischen Ausstattung in vielen deutschen Schulen sind Desktop-PCs, die gerade einmal ein Drittel der befragten Schüler im Unterricht einsetzt (34 Prozent). Die umwerfend neue Technologie der Laptops dürfen 24 Prozent nutzen; und immerhin 27 Prozent können sich über interaktive Whiteboards statt Kreidetafeln freuen.
Weniger als ein Drittel aller Schüler arbeiten also mit Technologien, die in keiner Definition mehr als neu gelten. Doch sie haben es immer noch besser als ein Fünftel (22 Prozent) aller Schüler, die gar keine Technik im Unterricht nutzen. Stift und Papier müssen dort reichen. Noch länger kann man nach innovativen Technologien suchen. Nur 13 Prozent haben ein Raspberry Pi oder ähnlichen Devices im Unterricht genutzt und nur 4 Prozent mit Video-Calls oder Virtual Reality experimentiert.
Das erste Problem: Zu wenig Unterricht
Es sieht also nicht gut aus. Der erste Impuls ist, mehr Geld in das Schulsystem zu leiten – doch löst das die Probleme? Nicht wirklich, denn die Herausforderung ist zweigeteilt. Erstens ist es nicht damit getan, das vorhandene System zu optimieren, also statt dem Desktop-PC im Klassenzimmer ein interaktives Whiteboard an die Wand zu hängen. Denn selbst wenn Schulen technisch besser ausgestattet sind, ändert das nichts daran, dass Technik in der Schule nach wie vor in separaten Fächern wie Informatik stattfindet. Das mag früher ausgereicht haben, als Technologie noch nicht in alle Lebens- und Arbeitsbereiche hineindiffundiert war. Mit der digitalen Transformation wird die Trennung im Arbeitsalltag gerade aufgehoben – es wäre hilfreich, auch Schüler bereits darauf vorzubereiten.
Dieser Appell richtet sich im Übrigen nicht an Schüler, denn diese wissen oft nur zu gut, was ihnen fehlt. 41 Prozent der befragten Schüler wünschten sich mehr IT-Unterricht. Der kann zum einen breiter und fächerübergreifend angelegt sein – mit Lehrkräften, die selbst begreifen, welche Tragweite Technologie in unserer Gesellschaft und Wirtschaft erreicht hat. 50 Prozent halten ihre Lehrer für nicht ausreichend geschult, um dieses Wissen zu vermitteln. Hier sind Lehrer, Schulen, Lehrerfortbildungsanstalten und am Ende die Kultusministerien gefordert, für agile Fortbildungen zu sorgen, die aktuelles Wissen ebenso vermitteln wie Lehrkräften einen pädagogischen Ansatz zur Vermittlung der digitalen Transformation mitzugeben.
Zum anderen wünschen sich viele Schüler einen IT-Unterricht, der mehr in die Tiefe geht. 46 Prozent möchten Kurse, die sie stärker fordern und 14 Prozent verlangen mehr Kurse in Programmieren und App-Entwicklung. Auch wenn die breite Schulform oft weder dazu geeignet noch gedacht ist, in die Tiefe zu gehen – Lehrer und Schulen sollten darüber nachdenken, ihr eigenes Angebot durch optionale Online-Kurse zu ergänzen. Gerade wenn bereits Interesse bei den Schülern vorhanden ist, sind Online-Kurse in Kombination mit eigenen Projekten erfolgversprechende Lernmittel.
Das zweite Problem: Zu abstrakter Unterricht
Die zweite große Herausforderung der Schule ist ihr abstrakter Ansatz der Wissensvermittlung. In vielen Fächern und Disziplinen lernt es sich durch ausprobieren besser als durch das Lernen von Theorien. Gerade im technischen Bereich ist experimentieren eine Grundvoraussetzung, um die neuen Werkzeuge der Digitalisierung wirklich zu begreifen. So sehen es auch die Schüler: Ganz oben auf ihrer Wunschliste an die Schulen, was sich ändern soll, steht ein praktisch ausgerichteter IT-Unterricht. Wie oben erwähnt, nutzt nur eine verschwindende Minderheit in Deutschland Technologien wie Raspberry Pi und Virtual Reality, zwei Beispiele für experimentierfreundliche und kostengünstige Technologien – wie gemacht für die Schule.
Hier klafft eine gefährliche Lücke zwischen Lebenspraxis und dem, was die Schule im Moment leistet. Es ist leicht, hier einen Vergleich mit der Unternehmenswelt zu finden: Die digitale Transformation zwingt Unternehmen heute dazu, zu experimentieren und neue, unbekannte Dinge auszuprobieren. Wer nicht bereit ist, sich mit der Disruption auseinanderzusetzen, den wird sie hinwegfegen.
Umgekehrt belohnt die Digitalisierung jene, die neue Konzepte umsetzen – und sei es nur als Pilotprojekt. Der Verpackungsspezialist Maag aus dem Sauerland ist ein Beispiel. Er hat mit einem Projekt angefangen und seine Verpackungsfolien per Artikelnummer im GTIN-Format durch die Produktion verfolgt. Diese Artikelnummer plus Chargeninformation wird in einem Barcode verschlüsselt und bei Lieferung erhält der Kunde ein elektronisches Lieferavis. Auch Bestellungen und Rechnungen kann Maag künftig elektronisch empfangen und versenden, da die Produkte darin eindeutig identifiziert werden. Ein weiterer Vorteil für Maag und seine Kunden ist die Schaffung von Prozesssicherheit.
Das Beispiel zeigt: Digitale Transformation muss weder von heute auf morgen noch zu 100 Prozent geschehen – doch der Wille zur Veränderung muss da sein. Und dann heißt es: Anpacken. Nicht jedes Projekt ist ein Erfolg, und das ist auch in Ordnung. Doch ohne Experimente und den Antrieb, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, werden Mittelständler ebenso scheitern wie Schulen.
Fazit: Vom Mittelstand lernen
Mit der Digitalisierung dringt Technologie in alle Lebensbereiche vor. Unternehmen brauchen daher schon heute deutlich mehr technisch versierte Mitarbeiter – sowohl in der IT als auch in anderen Bereichen. Auch im Marketing, Sales und in der Produktion kommt heute kaum einer ohne IT-Kenntnisse aus, und seien es „nur“ erweiterte Cloud-Lösungen oder Roboter, die bedient werden müssen. Diese Fachkräfte fehlen der Wirtschaft – und einer der Gründe ist, dass unsere Schulen nur selten Technik im Unterricht einsetzen. Damit entsteht eine de facto Trennung von Technik und Lebensalltag, die heute nicht mehr aktuell ist, statt Kinder und Jugendliche für Technologie zu interessieren und bei ihren Experimenten damit anzuleiten.
Wie lässt sich dieser Mangel beheben? Hier zeigt sich eine Parallele zur Arbeitswelt: Auch viele deutsche Unternehmen tun sich noch immer schwer damit, in der digitalen Transformation weiter zu kommen. In beiden Fällen ist es oft weder möglich noch sinnvoll, mehr Geld auf das Problem zu schütten. Stattdessen ist ein Wandel der Einstellung, der notwendig ist.
Wer Digitalisierung als „ganz oder gar nicht“ versteht, wird scheitern. Erfolgreiche Unternehmen sind deswegen erfolgreich, weil sie etwas wagen. Weil sie loslegen, auch mit einem kleinen Projekt – und selbst experimentieren. Mittelständler, die kleine Pilotprojekte einfach mit kostengünstigen Cloud-Lösungen testen und bei Erfolg hochskalieren, sollten ein Vorbild für unsere Schulen sein. Die Citrix-Umfrage zeigt, dass deutsche Schüler dazu bereit wären, mehr auszuprobieren und mehr IT im Unterricht gerne anzunehmen. Nun ist es an den Schulen und dem Bildungssystem, dies auch in die Tat umzusetzen.
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