EAI: Ein Markt verschwindet
Enterprise Application Integration (EAI) ist rein technisch gesehen längerfristig ein heißes Thema. Doch die etablierten Player sind in Gefahr.
Die Kombination aus Business Process Management (BPM) und Applikations-Integration ist für Analysten aller Couleur bestechend. Statt Schnittstellensalat gibt es eine Mittlerschicht, auf der sich Geschäftsprozesse konfigurieren und konstant verbessern lassen. So erwarten die Marktforscher seit geraumer Zeit nicht nur Kooperationen wie im Falle Vitria und IDS Scheer, sondern auch Übernahmen. Gestern kündigte der Integrationsspezialist Tibco Software den Kauf der BPM-Company Staffware an.
Die Situation von Firmen wie Tibco, Vitria, Seeburger, Webmethods und See Beyond ist grotesk. Zum einen empfehlen Berater und Analysten ihre Produkte für das Enterprise Application Integration (EAI) als wesentlichen Bestandteil moderner IT-Architekturen: Unter der Präsentationsschicht, einem Portal, sichert EAI den Datenaustausch zwischen den diversen Applikationen mit Hilfe von Integrationsservern und Messeging-Brokern. Die Middleware löst somit herkömmliche Punkt-zu-Punkt-Verbindungen ab. Hier besteht ein Markt.
Zugleich aber prognostizieren dieselben Analystenhäuser seit etwa einem Jahr den bevorstehenden Tod dieses Marktsegments. Dazu gehört auch Ian Charlesworth, Integrationsspezialist beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Butler Group: “In drei bis vier Jahren wird der EAI-Markt verschwunden sein.”
Tatsächlich mussten die EAI-Anbieter zum Teil erhebliche Umsatzeinbußen hinnehmen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verzeichnete etwa Vitria im vierten Quartal des vergangenen Jahres einen Einbruch von 37 Prozent, bezogen auf das Gesamtjahr ein Minus von 20 Prozent. Auch das erste Vierteljahr in diesem Jahr beginnt mit flauem Geschäft.
Der Widerspruch zwischen steigendem Bedarf und Niedergang eines Marktes hat mehrere Ursachen. EAI-Tools sind teuer, Integrationsprojekte komplex. In der Regel leisten sich nur große Firmen die servicestarken EAI-Produkte: die DaimlerChrysler-Bank etwa setzt Vitria ein und BMW See Beyond. Außerdem haben sich Webservice-Standards für die Applikationskommunikation herausgebildet: das Datenaustauschformat Extended Markup Language (XML) und das Simple Object Access Protocol (Soap) oder auch J2EE zum Beispiel. Neue Produkte wie der Enterprise Service Bus von Sonic Software oder seit kurzem auch Webmethods setzen auf diese Standards und können erheblich billiger anbieten. Außerdem sehen sich die EAI-Anbieter mit Softwareriesen wie Microsoft, Bea, Sun und IBM konfrontiert, die auf allen Ebenen im Integrationsmarkt konkurrieren können.
Schließlich verändert sich die IT-Struktur im Unternehmen. Die nach Bereichen gegliederte funktionale Ausrichtung weicht peu à peu einer Prozessorientierung. Nach Aussagen von Christian Helfrich, Professor an der Fachhochschule München und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu Prozess-Managment und Business Process Reengineering, sei hier sehr viel Potenzial: “Die Firmen stehen noch immer am Anfang.”
Lieferanten von EAI-Tools können zwar bereits einen Prozess auf technischer Ebene durch die Reihenfolge der Datenübergabe von einer Applikation zur anderen abbilden. Doch das sei im Sinne von Anwendern zu wenig, sagt Analyst Charlesworth: “Die Verknüpfung einer SAP-Anwendung mit einer Siebel-Applikation mit Hilfe eines EAI-Systems ist noch keine Lösung.”
Hier kommen die Werkzeuge ins Spiel, mit denen sich Geschäftsprozesse modellieren lassen, etwa die von Metastorm, Staffware und IDS Scheer. Die sind derzeit zweifelsfrei gefragt und können zum Teil ausgezeichnete Wachstumszahlen vorweisen. Staffware hat im vergangenen Jahr rund 62 Millionen Euro eingenommen. Das entspricht einem Plus von 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Gehen BPM-Tools und EAI-Werkzeuge eine Verbindung ein, lassen sich Geschäftsprozesse auf der Management-Ebene gestalten und in Middleware gießen. “Die gesamte Integrationswelt bewegt sich auf einen service- und prozessorientierten Kosmos zu”, erörtert Charlesworth. So erkläre sich, dass alle Integrationsfirmen heftig investierten, um integrierte Prozesse abbilden zu können. Das gelte auch für IBM, wo Websphere mit Modellierungs- und Workflow-Komponenten kombiniert werde, und auch für Microsoft. Hier bekomme der Biztalk-Server Workflow-Funktionen.
Insofern mache der Aufkauf von Staffware durch Tibco Sinn, bestätigt Simone Sinz, Analystin bei Pierre Audoin Consultants (PAC). Ganz nebenbei kaufe sich Tibco Umsatz hinzu. Das sieht John O’Connell, Vorsitzender und CEO von Staffware ähnlich: “Nach Prüfung einiger alternativen Strategien für Staffware, im besonderen um eine hinreichende Bedeutung im US-Markt zu erlangen, glauben wir, dass das Tibco-Angebot einen attraktiven Wert für die Aktionäre von Staffware darstellt.” Der Support für das Produkt I-Process von Staffware und Business Works von Tibco sei im Übrigen ohne Unterbrechung gewährleistet.
Die Firmen einigten sich auf 840 Pence für jede Staffware-Aktie, 504 Pence in bar und 0,6902 Anteile einer Tibco-Aktie im Wert von 336 Pence, basierend auf einem Umrechnungskurs von 1,7932 US-Dollar für ein britisches Pfund und 8,73 Dollar pro Tibco-Aktie. Damit entspricht das Angebot dem gesamten ausgegebenen Aktienkapital von Staffware und beläuft sich auf rund 122,8 Millionen Pfund (183 Millionen Euro).
Während Tibco offensichtlich versucht, zu Anbietern wie IBM aufzuschließen, will sich Vitria mit Branchenlösungen und insbesondere mit der IDS-Scheer-Kooperation im Markt behaupten. Zum einen gibt es über eine XMI-Schnittstelle ein Zusammenspiel des Aris Toolset von IDS Scheer zu Vitria. Hierbei werden die ereignisgesteuerten Prozessketten (EPK), also die Modellierungsmethode von Aris, in State-Diagramme des Modellierungsstandard UML 1.1 überführt. Änderungen in der Vitria-Implementierung oder in den Aris-Modellen bewirken jeweils Anpassungen im Gegenstück. Ermöglich wird das über ein gemeinsam genutztes Repository.
Zugleich gibt es die Möglichkeit, mit Aris Process Performance Monitoring (PPM) die in Vitria ausgeführten Prozesse zu überwachen. Soll/Ist-Vergleiche lassen erkennen, an welche Stelle im Prozess nachgebessert werden muss.
Olaf Kexel Stellung, Emea Alliances Technical Manager bei Vitria, sieht sich durch die Staffware-Akqusition erst mal nicht bedroht: “Wir können bereits eine funktionierende Integration vorweisen. Staffware und Tibco müssen sie erst erarbeiten.”
Ob allerdings die Partnerschaft mit IDS Scheer dem Unternehmen das Überleben im dynamischen Integrationsmarkt sichert, ist zumindest für Analystin Sinz zweifelhaft: “Vitria wird allgemein als Übernahmekandidat gehandelt.”