Open Source setzt Java einer Zerreißprobe aus
Kommt Java als nächstes dran? Ohne Quellcode-Öffnung geht bei Sun nichts mehr, doch die Kontrolle soll im Haus bleiben. Sun-Chef Scott McNealy beschreibt den Spagat.
Während das Java-basierte Projekt ‘Looking Glass’ der Open-Source-Gemeinde geöffnet wird, sträuben sich die Java-Meister bei Sun vor einer allgemeinen Öffnung des Java-Codes. Ihre Befürchtung geht dahin, dass das Markenzeichen von Java, nämlich auf allen denkbaren Plattformen einssatzbereit zu sein, Schaden nehmen könnte. Die Kompatibilität könnte verloren gehen bei Solaris und Java – dennoch halten sich seit Wochen Gerüchte bezüglich der Öffnung von Solaris. Und Scott McNealy scheint sich in der Frage Offenheit gegen Proprietät einen neuen Feind ausgesucht zu haben, nachdem er mit dem Erzfeind, Microsoft, Frieden geschlossen hat. IBM, so scheint es, hat sich weitgehend selbst in die Schusslinie gebracht und muss sich nun empfindliche Fragen nach der eigenen Open-Source-Ernsthaftigkeit gefallen lassen.
Dabei geht es vor allem um die Pflege der Entwickler und die Zukunft der Projekte Netbeans und Eclipse. Im Frühjahr hatte IBM Sun in einem offenen Brief aufgefordert, Java als Programmiersprache an die Open-Source-Gemeinde zu übergeben. Damals sagte ein europäischer Sun-Softwaremanager, er wage sich nicht auszudenken, was dann mit Java passiere. “Wenn IBM Java in die Finger bekommt, na dann: Gute Nacht!”, sagte er im Frühjahr gegenüber silicon.de. Diese Gefahr scheint Scott McNealy genauso zu sehen.
Der Konzern mit den seit Jahren weltweit meisten Patenten solle sich doch selbst darum kümmern, sein eigenes, umfassendes geistiges Eigentum produktiv werden zu lassen. Und das könne durch eine Öffnung der betreffenden Quellcodes ganz gut geschehen, sagte der Sun-CEO auf der Konferenz JavaOne. “Wir wollen, dass IBM damit beginnt, sein geistiges Eigentum der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen”, meinte er. Statt dessen könne aber IBM nur Sun kritisieren. Sun gilt seinerseits als eines der Unternehmen, die bislang die meisten Zeilen Code freigegeben und unter die diversen Open-Source-Lizenzen gestellt hat.
Und somit will sich McNealy gerade auf diesem Gebiet keine Kritik von einem Konzern gefallen lassen, der seiner Ansicht nach eine weitere höchst proprietäre Welt innerhalb der Linux-Umgebungen aufbaut. Schließlich verwende IBM statt der Eigenentwicklungen fast ausschließlich vorgefertigte Versionen von Linux-Vertrieben wie Red Hat oder Suse. Offenheit, ja sogar eine echte Linux-Unterstützung, die eine Modifikation und die Rechtevergabe an jeden beliebigen Programmierer weltweit unter den Linux-Lizenzen erlaubt – all dies spricht Sun dem Konzern IBM also ab. IBM müsse im Gegenteil erst noch beweisen, dass sie wie Sun ein gutes Mitglied der Open-Source-Gemeinde seien.
McNealy lädt folgerichtig sowohl Red Hat als auch Microsoft und IBM ein, als aktive Mitglieder zur Java-Programmiergemeinschaft beizutragen. Java, so sagte er, sei von essentieller Bedeutung für Sun und daher werde das Unternehmen einiges dafür tun, die Gemeinschaft blühen und gedeihen zu lassen. Sollten sich die Firmen dazu entschließen, könnte Großartiges für die Programmierergemeinschaft geleistet werden. Die 2 Milliarden Dollar, die Sun von Microsoft erhalten wird, sollen auch deshalb in die Java-Weiterentwicklung gesteckt werden – zur Freude der Programmierer, wie ein Filmchen auf der Homepage zeigen soll.
Aus der eigenen Werkstatt kommt dafür ein neues Programm zur Entwicklerpflege, das Neumitgliedern zu einem verbilligten Tarif eine Opteron-basierte Workstation als Einstiegsgeschenk mitliefert und Rundumbetreuung bei allen Fragen. Und auch ‘Kitty Hawk’ (genannt nach dem berühmten Flugzeug der Gebrüder Wright), ein Projekt für die Integration von Verwaltungs-erleichternden Code-Elementen in die Java-Umgebungen soll die Nutzerbasis verbreitern. Hier sind jedoch vor allem die Geschäftsanwender gefragt, die sich für die Idee der Service Oriented Architecture (SOA) interessieren.
Die Kitty-Hawk-Strategie soll in den nächsten zwei Jahren greifbar werden. John Loiacono, Executive Vice President bei Suns Software Group, versprach den anwesenden Java-Entwicklern, dass erste Komponenten des Projekts in das Java Enterprise System, wie auch in die Java Studio Enterprise-Entwicklerumgebung integriert werden und dafür sorgen sollen, dass der SOA-Ansatz klappt. SOA wiederum heißt die Strategie, die die Architektur der Kunden so generalüberholen soll, dass sie in einzelnen Schritten eine IT-Systemumgebung neuester Machart verfügen können.
“Wir sagen, dass niemand auf Knopfdruck für SOA-reif erklärt werden kann; 99 Prozent unserer Kunden haben schließlich Altsysteme, die wir neu verpacken und weiternutzen müssen”, nähert sich Sun-Techniker John Crupi an das Thema an. Sicher scheint bislang nur zu sein, dass die Kitty-Hawk-Komponenten zum Erreichen einer Service-orientierten Architektur beitragen können und dass sie die ‘Java Business Integration’, basierend auf der Regel ‘Java Specification Request 208’ beherrschen sollen. Darunter versteht Sun die neue Generation der Infrastruktur zur vollen Integration der Geschäftsprozesse. Oder, in den Worten von JBI- und Sun-Designer Mark Hapner ausgedrückt: “Eines der wichtigen Dinge bei SOA oder auch Web-Services ist es, dass die Semantik einer Dienstleistung eingefangen wird und als davon getrennte Einheit verstanden werden kann, ohne dabei die Flexibilität der Programmierer zu beeinträchtigen.”
Eine genauere Definition wird in der ersten Jahreshälfte 2005 erwartet, wenn die ersten Kitty-Hawk-Splitter verfügbar gemacht werden sollen. Erste Werkzeuge für die Java-basierte Entwicklung von Web Services, genannt Projekt ‘Disco’, scheinen der Marktreife schon näher zu sein und befinden sich derzeit im Betatest. Dies soll den Programmierern verstehen helfen, welche Schichten von Technik hinter den Services liegen und wie deren Parameter objektorientiert angepasst werden können.
Aber hier wird wieder transparent, warum sich Sun die Java-Geschäfte nicht ganz aus der Hand nehmen lassen will: Die Vermarktung des Namens hängt mit eigenen Produkten zusammen – und die haben weniger mit frei verfügbaren Software-Stückchen zu tun, denn mit dem Geschäft. Das geht auch aus der etwas genervten Aussage von McNealy hervor, der nicht müde wird, den Wall-Street-Analysten zu unterstellen, sie könnten Zwei und Zwei nicht zusammenzählen. “Wir haben im ersten Quartal 2004 etwa 22 Prozent mehr Server verkauft, unsere Preissenkungen hielten die Umsatzzahlen aber am Boden; achten Sie bitte auf die Juni-Verkaufszahlen im Jahresvergleich – wir haben eine sehr aggressive Preisstrategie, deshalb tut sich die Wall Street so schwer, hinterherzukommen.”
Zum Thema Microsoft hat McNealy abschließend noch – mit in der Hosentasche geballter Faust – zu sagen, dass die Welt nicht von Computerviren, sondern von Microsoft-Viren geplagt würde. Und außerdem, dass er über die Sicherheitslücken der Redmonder entsetzt sei. Dennoch klang seine Microsoft-Kritik vor Abschluss des Vertrags im April (der, wie er zugab, “einige draußen schwer erschreckt hat”) etwas schärfer. An die guten Absichten, die Hauptbeweggrund der Kooperation waren, lässt er aber nichts kommen: “Je besser unsere Produkte zusammenarbeiten, desto besser für euch alle.”