Kein anderes Gesetz hat bei den Abgeordneten des Europäischen Parlaments so hohe Wellen geschlagen, darüber ist sich Dr. Angelika Niebler sicher. Die Abgeordnete der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) bekommt immer noch Hunderte E-Mails am Tag zu dem Thema, von Befürworten als auch von Gegnern der Richtlinie des EU-Rats über die “Patentierung computerimplementierter Erfindungen”.
Nicht sicher ist sie sich darüber, wie sie die mittlerweile äußerst emotional vorgetragenen Argumente beider Seiten zum Zweck der eigenen Meinungsbildung bewerten soll. Ähnlich geht es den meisten Besucher des Seminars über Softwarepatente in der Münchner Zweigstelle der Anwaltskanzlei Bird & Bird – und das obwohl es sich beim Publikum überwiegend um Leute mit Sachverstand in Sachen Patente und/oder Informationstechnologie handelt.
Angelika Niebler muss während ihres Vortrags zum Stand der Verhandlungen in Brüssel zugeben, dass die schon fast zweijährige Debatte die meisten Abgeordneten rein fachlich völlig überfordert. Die letztes Jahr von der irischen Sozialdemokratin Arlene McCarthy verfasste Entwurf der Richtlinie klang für die meisten schlüssig: Sie sollte grundsätzlich Software patentierfähig machen, aber Trivialpatente verhindern. Doch dann regte sich Widerstand. Zu vehement war der Sturmlauf von mittelständischen Softwareproduzenten und des Open-Source-Lagers, um deren Bedenken nicht ernst zu nehmen.
Nicht “der Technik zugehörig”?
Die Debatte resultierte in einen Gegenentwurf des Europaparlaments, der auch die Zustimmung der meisten Abgeordneten fand und “computerimplementierte Erfindungen nicht automatisch “der Technik zugehörig” einordnete und dem Patentrecht unterwarf. Das wiederum konnte der EU-Rat nicht akzeptieren und arbeitet seit fast einem Jahr an einen Kompromissvorschlag. In der Zwischenzeit werden die Europaparlamentarier von Lobbyisten beider Seiten bearbeitet, bis sie sich gar nicht mehr auskennen.
Ende des Monats soll nun die neue Fassung des EU-Rats vorliegen, und dann haben die Abgeordneten wieder das Wort. Angelika Niebler mag nicht voraussagen, wie die Abstimmung ausgehen könnte. Die Hälfte des Parlaments ist durch die EU-Erweiterung und die Wahlen neu besetzt.
Eine sachliche Debatte über Softwarepatente zu führen, wie es die Anwälte von Bird & Bird auf ihrem Seminar versuchten, scheint mittlerweile unmöglich. Zu sehr ist sie von Ängsten geprägt. Unternehmen, die viel Geld in die Entwicklung von patentierfähiger Technik gesteckt haben, befürchten, dass eine nach den Vorstellungen der Patentgegner verwässerte Richtlinie die Patentierung von Verfahren, die generell Software beinhalten, unmöglich machen wird. “Nach der Version des EU-Parlaments wäre kein Patentschutz mehr für eine Erfindung möglich, die mit Hilfe eines programmierbaren Prozessors implementiert wird”, mahnt Dr. Kai Brandt, Patentanwalt bei Siemens.
Auf der anderen Seite geht unter den mittelständischen Softwarehäusern die Angst vor “amerikanischen Verhältnissen” um. Konkret befürchten sie, eines Tages mit Anwälten eines Software-Großkonzerns wie Microsoft konfrontiert zu werden, die behaupten, der von ihnen erstelle Code würde Patente des Konzerns verletzen und daraufhin mit einem Verfahren drohen. Dabei wäre es völlig zweitrangig, ob die Vorwürfe stichhaltig wären oder nicht. Allein beim Gedanken, sich mit einem Großkonzern vor Gericht auseinander setzen zu müssen, vergeht den meisten die Lust zur Weiterführung ihrer Firma.
Geschützt: Das “Abspielen” von Software
Auf der Strecke bleibt, wie immer bei so geführten Diskussionen, der Inhalt. Und es gibt grundlegende Fragen, die wahrlich noch nicht hinreichend beantwortet wurden – weder von bisherigen Entscheidungen deutscher Gerichte noch vom Gesetzgeber. Ist Software mit dem Urheberrecht, das geistiges Eigentum wie Literatur und Musik schützt und eine Lizenzgebühr für deren “Abdrucken” und “Abspielen” vorsieht, am besten bedient? Wenn Software dazu da ist, technische Probleme zu lösen, warum soll sie nicht patentfähig sein wie jede andere Technologie?
Zumindest das deutsche Patentgesetz spricht Software diese Fähigkeit ab: “Programme für Datenverarbeitungsanlagen” werden nicht als Erfindungen angesehen, heißt es in §1 Absatz 2. Immerhin schließt das Europäische Patentamt die “Patentfähigkeit technischer Problemlösungen, die Computerprogramme einsetzen” nicht aus, sofern sie “als ganzes technischen Charakter” haben. Nach welchen Kriterien dieser technische Charakter dann beurteilt wird, ist Patentanwälten, Patentprüfern und den Gerichten überlassen. Letztere haben aber in der Vergangenheit nicht gerade durch ein großes Verständnis der Informationstechnologie in ihren Urteilsbegründungen geglänzt.
Professor Manfred Broy, Informatiker an der Technischen Universität München, kann über das Gleichsetzen von Software mit sprachlichen Werken nur lachen. “Software ist per se technisch, die ‘Technizität’ ist immer gegeben”, betont er. Mehr noch: In den letzten Jahrzehnten sei es eher so gewesen, dass Software der größte Innovationsträger war und künftig diese Rolle ausbauen wird – warum also sollte eine technische Problemlösung, die rein auf Software basiert, nicht patentfähig sein?
An Beispielen für die Bedeutung der Software mangele es nicht. Da wäre der 7er BMW mit seinen 18 Steuerrechner und 10 Millionen Zeilen Software-Code, der etwa ein Viertel des Fahrzeugwertes ausmache. Broy zitiert auch gerne eine Neuerung von Kuka, eines bayerischen Herstellers von Produktionsanlagen für die Automobilindustrie, dessen alter Laser-Schweißroboter durch eine neue Version der Steuerungssoftware dieselbe Leistung und Qualität in einem Bruchteil der bisher nötigen Zeit liefert.
Weder Broy noch Kai Brandt von Siemens sind auch um Beispiele verlegen, die den Wert von Softwareneuerungen als Alleinstellungsmerkmal und Wettbewerbsvorteil darstellen. Oder der neueste Siemens-Tomograph, der mit dem altbekannten Scan-Verfahren, aber einer neuartigen Bearbeitung der gesammelten Daten, dreidimensionale Einblicke in den menschlichen Körper gewähren kann, in jedem erdenklichen Detail.
Patentierung nicht unproblematisch
Professor Broy weist allerdings auf einige Schlüsselprobleme bei der Patentierbarkeit hin und versucht eine Linie zwischen technischen Neuerungen und Trivialpatenten zu ziehen. So soll die bloße Implementierung von allgemein bekannten mathematischen Formeln und Algorithmen in Software nicht patentierbar sein. Es müsse sich schon um echte Neuerungen handeln, nicht um bekannte Funktionalitäten, die plötzlich durch deren Adaption in Software ein Patent für sich beanspruchen.
Genau da zog die Grenze auch die erste Version der Richtlinie durch Arlene McCarthy. Trivialpatente, die nach US-Recht möglich sind und nicht zuletzt dank der Naivität der US-Patentprüfer großzügig vergeben werden. Auch Patente auf Geschäftsmodelle sollten mit der Richtlinie nicht möglich sein.
Allerdings ist die Tatsache, dass die Patentierung von Software in den USA immer wildere Blüten treibt, nicht von der Hand zu weisen und schürt auch hierzulande massive Ängste. Die Klage der Softwareherstellers Eolas gegen Microsoft, der ein Patent für das Aufrufen von Webseiten durch den Softwaregiganten verletzt sah, ist nur ein kleines Beispiel für das, was vor Gericht möglich ist, wenn keine klaren Grenzen gezogen werden. Nicht die 521 Millionen Dollar Strafe für Microsoft wären das Problem, wenn die Klage durchginge, sondern die Tatsache, dass ein Großteil aller Seiten im Internet umprogrammiert werden müsste.
Microsoft füllt derweil seinerseits sein Arsenal an Patenten auf und niemand kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wie diese Waffe einmal eingesetzt werden soll. Dabei scheint es der Monopolist beim Hamstern von Patenten gerade auf die Trivialpatente abgesehen zu haben. So gehören Microsoft inzwischen das Patent auf den Doppelklick und auf das Browsen mithilfe der Tabulatortaste. Schon 4500 Patente sind im Besitz von Redmond oder gerade in der Bearbeitung. Man möchte allgemein Microsofts Aussagen Glauben schenken, dass die Patente eher wie ein Schild als wie ein Schwert eingesetzt werden sollen, aber auch Schilder können sehr scharfkantig sein.
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