Wer ist fanatischer? iFans oder Pinguine?
Die Pawlowschen Hunde des Internets zerreißen sich nur zu gerne das Maul. Im Kampf gegen die Feinde Jehovas ist nämlich jedes Mittel geheiligt. Ein Leidartikel.
Auf dem Grünenparteitag werden sie schlimmstenfalls in eine Diskussionsrunde integriert oder müssen eine Friedenspfeife mitrauchen. Im Internet spielen umgangsformliche Hemmschwellen aber keine Rolle, dort weiß niemand, dass du ein Hund bist (um eine alte Weisheit aus der Steinzeit des WWW zu zitieren). Der Fanatiker kann verschanzt hinter seinem PC/iMac/Linux-Rechner endlich mal die Sau raus lassen. Alles, wofür man im echten Leben vor den Kadi gezogen oder Prügel riskieren würde, darf hier mal gesagt werden.
Beliebteste Unterstellung dabei: “Immer!”. “Immer” werde gegen die eigene Religion geschrieben, nun sei es höchste Zeit, “zuröckzuschößen”! Dabei ist Polen längst nicht verloren. Jeder einigermaßen geschulte Beziehungscoach rät bereits in der ersten Therapiestunde, beim Streiten das “immer…” mal einfach wegzulassen. Pauschalieren ist der Tod des Differenzierens, was gerade bei Auseinandersetzungen oft und gerne zum Tod des Zorns führen würde.
Damit mir jetzt keiner beleidigt ist, weil sein Religionsersatz nicht in den Schmutz gezogen wurde – jeder hat das Recht auf eine Verarsche, sogar Behinderte –, wollen wir schnell noch ein paar aussterbende Nischenbewegungen erwähnen. Sie haben es in der Regel auf nur wenige tapfere Terroristen gebracht. Zu erwähnen wären vielleicht die Solaris-Sudler, aber mit denen hat man ja nur noch Mitleid. Die haben Artenschutz und dürfen hetzen! Eng verwandt war der gemeine Unix-User. Führte in jedem Rechenzentrum das Wort wie einen Dolch. Er ist aber ebenso am Aussterben wie Mammuts in “Ice Age” und Mainframe-Verfechter. Letztere stellen eine ganz eigene Gattung dar, ihr Auftreten ist aber vergleichsweise dezent, was auch an ihrem Alter liegen könnte: Sie haben einfach keine Erfahrung mit dem Internet.
Im Übrigen sei mit Bezug auf den gestrigen Kommentar
– eigentlich war es ja nur eine süffisante Zusammenfassung der iPad-Preis-Hysterie, die am Wochenende durchs deutschsprachige Internet schwappte – gesagt, dass ich durchaus Apple-Nutzer bin. Bis zum Mac-OS 7.6 war ich sogar ein fanatischer (sic) Verfechter der Politik des Unternehmens. Und das, obwohl mein Mac viel öfter “bombte”, also abstürzte, als der verachteten Windows-Rechner meines Nachbarn, dem BWL-Schnösel. Ich weiß also, von welcher Krankheit ich spreche.
Meinen Angeber-G3-Rechner – das Nonplusultra für Macianer im ausgehenden 20sten Jahrhundert – mit zugehörigem Trinitonröhrenmonitor war sündteuer. Meine Mama hatte ihn mir gekauft, dafür dass ich so brav studiert habe. Dabei hing ich die meiste Zeit nicht in Seminaren und Vorlesungen sondern im Rechenzentrum der Uni ab, um über die Nutzer anderer Betriebssysteme zu lästern. Als ich später mein Geld selbst verdiente und für mein Equipment eigenbrieftaschig sorgen musste, stieg ich ganz schnell und ganz pragmatisch auf die Software des Erzfeindes mit seiner unschlagbar billigen Hardware um.
Ich bin ein Abtrünniger, erschießt mich!
Der Autor ist promovierter Medienwissenschaftler und seit rund vier Jahren Chefredakteur von silicon.de, zuvor war er viele Jahre bei ZDNet.de, der Computerwoche, für die Springer-Presse und eine oben genannte Partei tätig. Er kennt somit das Phänomen des (Internet-)Fanatismus sowie den journalistischen Umgang damit von allen Seiten und aus vielen eigenen Erfahrungen. Persönliche Hassmails und Beschimpfungen bitte an dietmar.mueller@cbs.com oder unten in die Kommentar-Funktion.