silicon.de: BSI hat Customer Managed Data als Trend im CRM ausgemacht. Was ist darunter zu verstehen – ist das so etwas wie ‘Ikea für Daten’?
Brunold: Hier müssen wir unterscheiden zwischen Self-Service und Customer Managend Data. Ikea hat das Konzept Self-Service – “Jeder hilft mit, dafür geben wir den Kostenvorteil an den Kunden weiter” – global verbreitet. Dieser Mithilfe-Gedanke ist längst in anderen Wirtschaftsbereichen angekommen: Der Kunde verwaltet seine Daten und Produkte online, um nicht “Strafgebühren” bezahlen zu müssen oder von günstigeren Preisen zu profitieren. Aber auch der Convenience-Gedanke steht im Vordergrund: Kunden von heute möchten selbst bestimmen, welches Angebot sie zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort kaufen möchten. Dazu gehören Annehmlichkeiten, wie 24-Stunden-Öffnungszeiten, die Möglichkeit, Tätigkeiten zu der Zeit auszuführen, die dem Kunden passt.
Hinzu kommt nun die Spezialform Customer Managed Data: Kunden behalten die Richtigkeit ihrer Daten im Auge und passen gegebenenfalls selbst über Webformulare an. Sie nehmen somit auch den Datenverantwortlichen bei Unternehmen Arbeit ab. In diesem Sinne ist es nicht allzu weit her geholt, von einem Ikea für Daten zu sprechen.
silicon.de: Können Sie ein paar Beispiele für Customer-Managed-Data-Lösungen nennen?
Brunold: Mit entsprechendem Kundenlogin können unkritische Stammdaten bei Kreditkartenherausgebern und Mobilfunk-Anbietern online verwaltet, Rechnungen online eingesehen und heruntergeladen werden. Versicherer nutzen Self-Service-Schnittstellen in der Kundenberatung: Angebotsanfragen können mit wenigen Daten online ausgefüllt und angefordert werden. Teilweise werden Erstanfragen auch über Chat-Tools beantwortet. Der Kunde bleibt zunächst anonym und muss seine echten Daten erst preisgeben, wenn die Vertragsverhandlungen konkret werden. Logistik-Dienstleister nutzen das Prinzip Customer Managed Data für die Online-Abfrage des Paketstatus. Manchmal erlauben diese Tools auch die Umleitung von Sendungen an andere Adressen.
Bei all diesen Szenarien geht es immer darum, einfache, für das Unternehmen häufig wiederkehrende Anfragen, die früher in einem Call Center oder einer Filiale entgegen genommen wurden, ins Internet und die Pflicht des Kunden quasi “outzusourcen”. Der Kunde wird über Anreize auf diese Kanäle umgepolt. Er macht diesen Schritt allerdings nur, wenn er seinen eigenen Nutzen darin sieht Ein Nutzen können tiefere Gebühren sein. Vielfach sind die günstigen Angebote aber auch nur noch online verfügbar. Dann hat der Kunde gar keine andere Wahl.
silicon.de: Wird die Hinwendung zu Customer Managed Data vor allem von wirtschaftlichen Erwägungen getrieben oder spielt auch der Datenschutz eine Rolle?
Bucher: Beide Faktoren spielen für Unternehmen eine Rolle. Einerseits verlangt das Datenschutzgesetz den jederzeitigen Einblick in die eigenen Daten. Welche Daten werden gespeichert und sind sie richtig? Andererseits ist die Wirtschaftlichkeit ein großer Treiber: Personalzeit soll eingespart werden, indem einfache, oft wiederkehrende Anliegen nicht mehr im Call Center landen. Die Mitarbeiter können mehr Zeit für die komplexen Anliegen verwenden.
Unternehmen stehen heute vor einem Dilemma: Sie sollen einen tadellosen Service zu einem möglichst niedrigen Preis liefern. Self-Service-Schnittstellen und das Prinzip Customer Managed Data können diesen Spagat erleichtern. Ein breit verfügbares, schnelles Internet – auch mobil, der globale Wettbewerb und ein verändertes Verbraucherverhalten haben die Voraussetzungen dafür geschaffen – neue Datenschutzgesetze verlangen sogar die Einsicht in die Daten. Moderne CRM-Lösungen stellen sicher, dass gleiche Prozesse nicht in mehreren Systemen abgebildet und Daten nicht mehrfach gehalten werden – sie bieten eine Schnittstelle zum Web.
silicon.de: BSI betont, es sei wichtig, nicht so viele Daten über einen Kunden zu sammeln, wie möglich, sondern nur wichtige Daten. Wie wollen Sie dies unterscheiden – vielleicht werden manche Daten erst zu einem späteren Zeitpunkt wichtig?
Bucher: Die verschärften Datenschutzbestimmungen gebieten es, Daten angemessen zu erfassen, zu speichern und nach einer bestimmten Zeit wieder zu löschen oder zu anonymisieren. Dies veranlasst die Unternehmen, ihren Umgang mit Daten zu überdenken. Gerade im Kundenservice werden meist nur sehr wenige Daten benötigt – manchmal nicht einmal der Name des Kunden.
Dafür ist es aber umso wichtiger, die richtigen und wichtigen Daten zu erfassen, etwa die Filiale, in der ein fehlerhaftes Produkt gekauft wurde. Bei gewissen Prozessen, zum Beispiel die Zusendung einer Gutschrift, dürfen persönliche Daten erfasst und müssen sogar länger gespeichert werden: Ein Gutschein soll zum Beispiel drei Jahre einlösbar sein. Hier ist wichtig, dass das CRM-System das Zugriffsrecht garantiert, also sicherstellt, dass nur berechtigte Personen die Daten einsehen können.
Reporting und Analysen, zum Beispiel für die Verbesserung von Abläufen, können problemlos mit anonymisierten Daten gefahren werden. Hier kann es allerdings notwendig sein, dass man gewisse Daten beim Erstkontakt erfasst, sie aber erst zum späteren Zeitpunkt der Analyse verwendet. Hier müssen die Agenten bei der Datenerfassung optimal unterstützt werden. Für jeden Prozess muss zwischen Muss-, Soll- und Kann-Feldern unterschieden werden: Bei einer Produktreklamation sind die Adressdaten Muss-Felder, für Rückfragen. Die Chargen-Nummer ist ein Soll-Feld: Sie erlaubt dem Händler nützliche Rückschlüsse auf die Produktion, der Kunde hat diese Information aber nicht immer zur Verfügung. Im Idealfall wird komplett auf Kann-Felder verzichtet. Das sind unnötige Daten, die Zeit und Ressourcen binden.
silicon.de: Derzeit halten Social Media in CRM-Software Einzug. Damit steigt die Informationsflut und es wird noch schwieriger, relevante Daten herauszufischen…
Brunold: Generell zieht auch hier das Datenschutzgesetz Grenzen: Daten dürfen nicht wahllos eingesammelt und gespeichert werden. So begrenzen die Anbieter von Social-Networking-Plattformen den Zugang zu nicht-öffentlichen Daten aus Gründen des Datenschutzes sehr stark. Bei öffentlich zugänglichen Daten, beispielsweise bei Tweets, gilt es dagegen in der Tat, aus dem Rauschen das Relevante herauszufiltern. Die Aufgabe eines CRM-Systems ist es hier, gute Suchroutinen anzubieten und die eingelesenen Informationen übersichtlich aufzubereiten. Im nachfolgenden Schritt sollte die Software effiziente Möglichkeiten der Abarbeitung von Geschäftsvorfällen bieten. Wenn sich zum Beispiel jemand bei Twitter negativ über mein Produkt äußert, sollte mein CRM diesen Tweet nicht nur erfassen, sondern auch eine schnelle, geführte Reaktion ermöglichen: So öffne ich per Mausklick einen Geschäftsvorfall “negative Meinung zu Produkt”, der einen vordefinierten Prozessleitfaden enthält und der darüber hinaus Textbausteine anbietet und eine Linksammlung zu nützlichen Informationen enthält.
silicon.de: Im Mai 2010 hat BSI die Entwicklungsplattform Eclipse Scout
der Open Source Community zur Verfügung gestellt. Auch andere Unternehmen können Eclipse Scout für kommerzielle Software-Projekte nutzen. Schneiden Sie sich damit nicht ins eigene Fleisch?
Zimmermann: Unser Kerngeschäft ist die Entwicklung und Integration von Business-Software-Lösungen, nicht die Vermarktung des zugrunde liegenden Frameworks. Das Open-Source-Tool Eclipse Scout soll die Investitionen unserer Kunden in unsere Produkte und Projekte erhöhen, denn mit Scout können die Kunden in Eigenregie Veränderungen an ihrer Lösung vornehmen. Selbstverständlich ist auch die Implementierung völlig eigenständiger Lösungen möglich. Wenn sich aus Schulung, Beratung und Support Einnahmen ergeben, ist das erfreulich. Kurzfristig steht dies aber nicht im Fokus. Wichtiger ist der positive Image-Faktor von Eclipse Scout für unsere Mitarbeiter: Junge Leute wollen mit modernen und offenen Werkzeugen arbeiten. Insofern unterstützt uns die Initiative bei der Mitarbeitergewinnung.
silicon.de: Wie ist denn die Resonanz der Open Source Community?
Zimmermann: Wir sind recht gut unterwegs. Viele Leute sind von Eclipse Scout begeistert: Mit dem Framework lassen sich in kurzer Zeit Geschäftsapplikationen entwickeln. Auf der letzten EclipseCon USA haben wir dies in einem zweistündigen Tutorial demonstriert. Die Einstiegshürde ist dank einem umfangreichen Tooling und einer intuitiven Oberfläche niedrig.
Zuweilen begegnen wir aber auch einer abwartenden Haltung. Man will den Erfolg von Scout zuerst auch außerhalb von BSI sehen. Dies ist insofern verständlich, dass die Entscheidung, Scout im eigenen Unternehmen einzusetzen, viel weiter gehende Konsequenzen hat, als beispielsweise die Einführung einer neuen Logging-Technologie. Hinzu kommt die Tatsache, dass Scout als Eclipse-Projekt noch sehr jung ist. Wir müssen uns gegenüber der Community auch über einen längeren Zeitraum beweisen. Was uns hier sicherlich helfen wird, sind unsere Anstrengungen, dass Scout diesem Juni das erste Mal Bestandteil des jährlichen Eclipse Release Train sein wird.
silicon.de: BSI hat im März das zweite Büro in Deutschland eröffnet. Warum?
Rusche: Deutschland ist neben der Schweiz zum wichtigsten Markt für uns geworden. Hier verbuchen wir mittlerweile über einen Drittel unseres Umsatzes. Kundennähe ist eines unserer wichtigsten Prinzipien. In München und Nürnberg betreuen wir momentan vier große, langfristig angelegte Projekte, zu denen wir natürlich noch einige weitere hinzugewinnen wollen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Auch ist München ein hervorragendes Pflaster für gute Nachwuchskräfte. Daher war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis wir hier einen Standort eröffnen.
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