Die Auswirkungen der Atomkatastrophe in Fukushima waren dramatisch, die Katastrophe hatte weitreichende Auswirkungen auf die Risikoeinschätzung der Energieproduktion. Wirtschaft und Politik in Deutschland hoffen durch einen Wechsel auf Erneuerbare Energien auf einen Standortvorteil gegenüber den Mitbewerbern, die von nuklearer Energie abhängig sind.
Denn mit den neuen Energien kommen neue Technologien und neue Konzepte auf den Markt, mit denen die Wirtschaft vom Energieüberfluss zu einem sogenannten “nachhaltigen” Umgang mit Energie wechseln kann. Dabei kommt der Systemwechsel von der manuellen Schaltung der Versorgungsnetze zu einem europaweiten computergesteuerten “Smart Grid” vor allem der IT-Industrie entgegen.
Tatsächlich sind Netzausbau und Smart Grid nur sekundäre Kosten für die CO2-reduzierten Energien und Erneuerbaren Energien. Aber genau hier setzen die neuen IT-Modelle an, mit denen die Industrie Kosten und Verbräuche erheblich reduzieren kann.
“Wir haben ein funktionierendes elektrisches System. Nun sind wir veranlasst Änderungen vorzunehmen. Wir kommen von einem einfachen, simplen, klar strukturierten elektrischen Energieversorgungssystem von der Erzeugung hin zum Verbraucher. Unsere Zukunft ist ein unbekannter Mix – wer wann welche Größe, welche Stärke liefert oder benötigt ist unbekannt”, erklärt Wilfried Fischer Vizepräsident des Ingenieurverband IEEE Power and Energy Society Deutschland. Also sei die nächste Frage, ob die Netzbetreiber es schaffen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, die Versorgungssysteme stabil zu halten.
“Hier kommt die Informationswirtschaft ins Spiel – deren Rolle wird es sein, die Datenmengen über die Verbräuche der Industrie und der Haushalte aufzunehmen und zu verarbeiten und zu analysieren. Und zwar alle Daten, die man braucht, um das gesamte elektrische System in doppelter oder dreifacher Redundanz auszubalancieren.”
Der Qualitätsanspruch der Netzbetreiber sei, dass der Strom immer da ist, immer die richtige Frequenz habe und im Spannungsband liege. “Darüber hinaus soll er möglichst kostengünstig, effizient und umweltverträglich sein. Das ist die große Herausforderung vor der die Ingenieure stehen.”
Versorger, Netzbetreiber und IT-Hersteller betreten Neuland
“Wir wachsen mit Smart Grid und Smart Grid Communities”, erläutert Rolf Adam, Director Sales Business Development Europe, Cisco. “Unsere Absicht ist es aus dem Enterprise Geschäft kommend in den operativen Betrieb der Energieversorger hinein zu wachsen. Und wir wollen zukünftig auf diesem Fundament Netzwerke bauen, auf denen Managementsysteme zur Steuerung der Energieversorgungssysteme laufen.”
Cisco biete Produkte, die es allen Geräten, die in einem Industrieunternehmen Daten produzieren, erlauben, diese Daten untereinander auszutauschen. “An dieser Stelle transportieren die Netzwerke hunderte von Protokollen und unsere Stärke ist es, die Vielfalt zusammenzubringen, zu sammeln, zu vereinfachen – hierzu nutzen wir auch das Internet-Protokoll.” Die Kriterien für ein Netzwerk seien “Verfügbarkeit”, zweitens “Interoperabilität” und geringe Betriebskosten. “Wir wollen bei Smart Grids Komplexität verringern und damit Kosten senken”, so Adam weiter.
Netzqualität wird in Zukunft ein strategisches Thema sein
Doch nicht nur Netzbetreiber und Stromversorger müssen sich auf die neuen Technologien einstellen. “Auch die Verbraucher der Energie – insbesondere des Stroms – werden umdenken”, gibt Professor Carl B. Welker, Leiter des Instituts für Informationswirtschaft – IIW – in Langenfeld zu bedenken. “Denn Netzqualität ist bei Unternehmen zurzeit kein Thema. Der Grund ist, dass wir in Industrieländern sehr, sehr verwöhnt sind, was die Qualität der Stromversorgung und der Energieträger angeht. Wir kennen im Alltag keine signifikanten Ausfallsituationen.”
Im Rahmen verschiedener Untersuchungen hatte Welker Energiemanager interviewt und sie auch zur Energieeffizienz befragt. “Ergebnis sind fünf Facetten, eine davon ist die Qualität und die rangiert nicht an Nummer eins. Das ist ein Ergebnis in verschiedenen Branchen über mehrere Jahre – Energiequalität, speziell Netzqualität gemäß EN 50160 ist in der Industrie kein Brennpunkt.”
Andererseits sei “Information” eine strategische Ressource. “Informationsmanagement ist eine Fertigkeit, die ein Unternehmen intelligent macht. Das gilt für alle betrieblichen Anwendungen – diese Überlegung führt uns auch zum Energiemanagement. Wenn wir beide Bereiche verbinden, stellt sich die Frage, wie viel und was ein Energiemanager mit digitalen Instrumenten machen wird, um die Versorgung mit elektrischem Strom sicherzustellen.”
“Die Anforderungen von Unternehmen an das Energie- und Emissionsmanagement sind sehr heterogen, abhängig von der Industrie, der Größe, dem Energieverbrauch der Unternehmen und den gesetzlichen Regelungen”, analysiert Gero Bieser, Produktverantwortlicher Energy Management, SAP. “Das fängt mit Unternehmen an, die monatlich pro Standort die Energieverbräuche messen und Informationen über die Emissionen sammeln und geht bis hin zu Unternehmen, die den Energieverbrauch ihrer Produktion mit tausenden von Zählern – die alle paar Minuten einen Wert liefern – optimieren.”
So dienten SAP-Lösungen beispielsweise für das Gebäudemanagement, für Energie- und Emissionsmanagement oder die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten und Zertifizierungsanforderungen. “Zudem ist eine Lösung in Planung, die sich speziell an Großunternehmen richtet und neben der Steigerung der Energieeffizienz auch den Energieeinkauf unterstützen soll.”
Strom-Produktion und -Verbrauch synchronisieren
Wie dieser verbesserte Energieeinkauf aussehen könnte, erklärt Stephan Lindner, Mitglied des Vorstandes der Entelios. “In Industrieunternehmen gibt es riesige Anlagen, die mit mehreren Megawatt am Stromnetz hängen und die nicht immer laufen müssen. Wir gehen in unterschiedliche Branchen, identifizieren diese Anlagen, die Bedingungen, unter denen sie an- und ausgeschaltet werden können und setzen das IT-technisch um.” Dabei stehe nicht die Beratung im Vordergrund, “wir sehen die technische Anbindung als unsere zentrale Aufgabe”, so Lindner weiter.
“Das grundsätzliche Anliegen ist die Industrieproduktion mit der Produktion Erneuerbarer Energien zu synchronisieren.” Basis sei die IT-Steuerung der vom Kunden benötigten Energie in Abstimmung mit der Nachfrage nach Energie von den Netzbetreibern. “Wir ermöglichen den Unternehmen einen finanziellen Vorteil, wenn sie das Flexibilisierungspotential ihrer Anlagen – beispielsweise Großverbraucher aber auch vorhandene Blockheizkraftwerke – zur Verfügung stellen. Das ist ein Zusatzgeschäft, das bei kleinen Margen und steigenden Energiepreisen für viele Industriezweige wichtig wird.” Konkret sieht das Konzept vor, dass Unternehmen den Strom nur dann abnehmen, wenn er günstig ist. Oder im Umkehrschluss Strom aus eigenen Anlagen liefern, wenn die Netzbetreiber Energie nachfragen.
Fischer dagegen bleibt skeptisch. “Die Chance ist, die Schwankungen in der Stromversorgung abzufangen – beispielsweise mit einem riesigen Datennetz in das alle Erzeuger und Verbraucher Informationen liefern. Aber wer kann uns so ein doppelt oder dreifach redundantes Datennetz zur Verfügung stellen?” In Deutschland gäbe es heute im Schnitt weniger als 23 Minuten Stromausfall pro Jahr, die Verfügbarkeit liege bei 99,999999 Prozent. “Die anstehenden Entscheidungen sind dieses Datennetz zu entwerfen und einen Zeitplan zu schreiben, bis wann es einsatzbereit ist. Außerdem brauchen wir ein Konzept, wie wir die Stromwirtschaft und die Verbraucher mit einbinden.”
Investoren werden zu Key Playern der Energiewende
“In Deutschland haben wir mehr als 42 Millionen Haushalte, die Informationen liefern. Die Datenübertragung der Smart Meter erfolgt – je nach Konzept – in fünf, zehn oder fünfzehn Minutenzyklen”, so Frank Schwammberger, Energieexperte in der Unternehmensberatung der IBM. Eine vergleichbare, derart komplexe IT-Installation gebe es heute nirgends. “Die Herausforderungen, diese Datenflut zu beherrschen, sind nur mit dem Finanzmarkt vergleichbar. Und um die Infrastruktur des Finanzmarktes aufzubauen, wurden in mehreren Jahrzehnten Milliarden Euro investiert”, so Schwammberger weiter. “Wenn jemand bereit ist in ein Smart Grid zu investieren, dann können wir auch anfangen über einen Zeitplan zu diskutieren.”
Aber falls Politik und Wirtschaft so weitermachen würden wie bisher werde nichts passieren. “Denn wenn die Versorger keinen Investor finden, können alle Unternehmen testen und entwickeln und forschen und produzieren – aber sie werden es nicht schaffen irgendeinen Zeitplan festzuschreiben.” So erhalte mit der Suche nach Investoren der Finanzmarkt in diesem Spiel eine große Bedeutung – denn nur mit Unterstützung der Banken könnten alle Unternehmen gemeinsam einen Zeithorizont entwerfen, ist sich Schwammberger sicher.
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Verfügbarkeiten ...
Wenn hierzulande - wie im Artikel dargestellt - die durchschnittliche Ausfallzeit der Stromversorgung 23 Minuten pro Jahr beträgt, so ergibt dies eine Verfügbarkeit von 99,995624 Prozent.
Im gleichen Satz wird dargestellt, dass die Verfügbarkeit 99,999999 Prozent betrage. Irgendwie müßte da noch mal nachgerechnet werden ... (;-))